Veröffentlicht am 25. Juni 2025 - 13:25 Uhr
«Ich möchte der Schweiz etwas zurückgeben, etwas leisten», sagt Mohammad R., der nun die Schweiz verlassen muss.
Mohammad R. ist traurig. Und er hat Angst – eine Angst so gross, dass er kaum mehr schläft und isst. Seit viereinhalb Jahren ist der 27-jährige Afghane in der Schweiz. Fast ein Jahr lang war er zu Fuss unterwegs. Weg aus einem Land, das ihm keine Zukunft bot.
Inzwischen spricht Mohammad R. fliessend Deutsch, er absolviert in Winterthur eine Lehre als Metallbauer. Seine Noten an der Berufsschule sind überdurchschnittlich. In seiner Freizeit lernt er mit einem Schweizer Ehepaar Schweizerdeutsch, seine ehemalige Deutschlehrerin lobt ihn für seinen Fleiss und seine bescheidene Art.
«Ich möchte der Schweiz etwas zurückgeben, etwas leisten», sagt Mohammad R. «Als Dank dafür, dass ich hier in Sicherheit leben darf.»
Rückkehr zu den Taliban «zumutbar»
Und nun Ende Mai dieser Brief. «Aufhebung der vorläufigen Aufnahme», steht da. Absender: Staatssekretariat für Migration (SEM). Gestützt auf eine aktuelle Lageanalyse, hat das SEM die Asylpraxis Mitte April 2025 – knapp vier Jahre nach der Machtübernahme durch die Taliban – angepasst.
Die Rückkehr nach Afghanistan wird wieder als zumutbar erachtet, wenn begünstigende Faktoren vorliegen. Bisher wurden nur Kriminelle zurückgeschickt.
«Was habe ich falsch gemacht?», fragt sich Mohammad R.
Zu diesen Faktoren gehören das männliche Geschlecht, ein gesunder Körper und ein tragendes Beziehungsnetz in der Heimat. Die Frist für die Einsprache ist kurz: Bis zum 23. Juni hat Mohammad R. Zeit für das rechtliche Gehör. Doch woher soll er mit seinem Lehrlingslohn das Geld für einen Anwalt nehmen? 250 Franken pro Stunde.
Kein Hinweis auf ungenügende Integration
Eine Anfrage des Beobachters beim SEM ergibt: 12’732 vorläufig aufgenommene afghanische Männer lebten Ende April in der Schweiz – der besagte Brief wurde 14-mal verschickt. «Was habe ich falsch gemacht?», fragt sich Mohammad. Er, der alles richtig machen will. Er, der einer ethnischen Minderheit angehört.
Der Beobachter hat Einblick in einen weiteren Brief, dieser bemängelt eine ungenügende Integration. Bei Mohammad fehlt dieser Passus.
Ethnische Minderheit besonders gefährdet
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe teilt Mohammads Ängste. Sie kommt im Frühling 2025 zu einer komplett anderen Einschätzung als das SEM: «Die Menschenrechtslage in Afghanistan hat sich seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 kontinuierlich verschlechtert. Die humanitäre Lage ist verheerend», sagt Länderanalyst Adrian Schuster.
Warum also soll ausgerechnet Mohammad R., der in Afghanistan als Ungläubiger gilt, zurück?
Die ethnische Minderheit der Hazara sei in der Vergangenheit von den Taliban verfolgt worden, seit ein paar Jahren auch im Visier der Terrororganisation IS. Die Hazara gelten als Ungläubige und seien daher besonders gefährdet. Warum also soll ausgerechnet Mohammad R. zurück?
SEM verweist auf individuelle Prüfung
Auch das SEM findet: Für die Hazara habe die Machtübernahme der Taliban Probleme und eine tendenzielle Verschlechterung ihrer Situation mit sich gebracht. Aber das Amt schreibt auch: «Dies betrifft nicht alle Angehörigen der Volksgruppe.» Da das SEM jedes Asylgesuch individuell prüfe, werde dabei auch solchen Problemen – wie auch der verschlechterten Menschenrechtslage – Rechnung getragen.
Warum trifft es diese 14 jungen Männer? «Darauf, wie genau wir diese Personengruppe definiert haben, möchten wir aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes nicht weiter eingehen.»
Auch Mohammad R. schreibt einen Brief
Was tut Mohammad R.? Er hat sich hingesetzt und selbst eine Stellungnahme geschrieben: «Viele Hazara werden gezielt angegriffen. Meine Familie lebt unter sehr schwierigen, unterdrückten Bedingungen und in grosser Armut. Eine Rückkehr würde für mich eine ernsthafte Gefahr für Leib und Leben bedeuten.»
Sein Brief schliesst mit: «Ich bitte Sie deshalb eindringlich, mir zu erlauben, meine Ausbildung abzuschliessen und mich weiterhin in die Schweizer Gesellschaft zu integrieren.»
Update: Nachdem der Beobachter über die drohende Ausweisung von Mohammad R. berichtet hatte, kam Bewegung in die Sache. Das SEM traf weitere Abklärungen und kam zum Schluss, «dass die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme nicht gerechtfertigt ist». Das steht in einem Schreiben, das R. vor wenigen Tagen erhalten hat. Somit darf der junge Mann bis mindestens August 2026 in der Schweiz bleiben – so lange, wie seine Lehre als Metallbaupraktiker dauert.
Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 6. Juni 2025 veröffentlicht und am 25. Juni 2025 aktualisiert.
- Gespräch mit Mohammad R.
- Mailverkehr mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe
- Mailverkehr mit dem Staatssekretariat für Migration
- Staatssekretariat für Migration: Informationen zu Afghanistan
5 Kommentare
Da läuft bei uns in der reichen Schweiz wieder etwas falsch. Da soll ein anständiger Flüchtling ausgewiesen werden, der schon fliessend deutsch kann. Zudem absolviert er erfolgreich eine Lehre und möchte der Schweiz für die Hilfe etwas zurückgeben. Das Verhältnis von 14 Ankündigungen zur Ausweisung zu den 12'732 vorläufig aufgenommenen Männern steht in keinem Verhältnis. Bei den mehrfach Delinquenten schaut man zu und findet offenbar kein Mittel für eine Ausweisung.
August Huber, Elsau
Ich begreife nicht, weshalb Menschen, die sich hier integriert haben, eine Lehre absolvieren, zurückgeschickt werden, während Kriminelle hier bleiben dürfen? Einfach nicht nachvollziehbar!
Bin dafür dass anständige integrierte Menschen bleiben. Aber die fie wegen Gewalt oder Drogendelikte erwischt werden, , überhaupt, bei der kleinster Gesetzeswidrigkeit, mit dem Pyjama wieder zurück gegligen werden, mit einem Chip, dass sie, falls sie wieder in die CH sind, dann 10 Jahre Arbeitshaft tätigen um den Staat den Schaden und Ausgaben, zurück zu bezahlen und dann zurück in die Heimat wieder gefligen. Wiederholt sich sein Aufenthalt, sollte es immer verzweifacht die länge der Arbeitshaft. Von 10 au 20,40,80 Jahren. Gewalt, Mord, Drogendeligte: sofar läbenslänglich, Arbeitslager und die Rekruten Schule, 10 Jahrelang dann Auch Arbeitslager. Ohne privilegien, den Dealen ist töten.
Ich bin auch traurig, sehr traurig für Herrn Mohammad R. aus Afghanistan! Er scheint doch sehr weit integriert zu sein und offensichtlich auch kein krimineller Mensch! Es betrifft mich, dass das SEM so etwas entscheiden kann (?) nur wegen der generellen Ansicht, dass es für gewisse Menschengruppen „wieder sicher sei“ zurückzukehren?! Das ist für mich wie ein Richter und Henker in einem Amt…..Ich bitte Sie daher, sehr geehrtes SEM, diesen Entscheid zurückzunehmen und Herrn Mohammad R. eine EHRLICHE Chance zu geben! Bitte 🙏🏼!!
Es werden immer die Falschen ausgewiesen😭