Wer entscheidet, ob Gefängnisinsassen mit in Freiheit lebenden Personen Sex haben dürfen? Grösstenteils der Zufall. Denn Sex im Gefängnis ist nur möglich, wenn es in einer Anstalt sogenannte Intimzimmer gibt – Zimmer, die nicht überwacht werden und in denen sexuelle Kontakte erlaubt sind.

Haben Häftlinge denn ein Recht auf Sex? Nein, hat das Bundesgericht kürzlich entschieden. Ein Häftling in einem Waadtländer Gefängnis wünschte sich einen Sexbesuch von seiner Geliebten. Doch die kantonalen Vollzugsbehörden lehnten sein Gesuch ab.

Zu Recht, fand das Bundesgericht. Gefangene hätten zwar ein Recht darauf, Kontakt zu Familie und Nahestehenden zu haben, und sie sollten ihre Beziehungen auch in Haft aufrechterhalten können. Doch im konkreten Fall sei die Qualität der Beziehung nicht ausreichend gewesen. Zudem gibt es in der betreffenden Anstalt kein Intimzimmer – und ein Recht auf Verlegung für Sex habe der Gefangene nicht. Im Übrigen hielt das Gericht fest, die Kantone seien frei, die Bedingungen für solche Besuche aufzustellen.

Lediglich zehn Prozent der Schweizer Gefängnisse verfügen über Intimzimmer. Darunter kein einziges, in denen psychisch kranke Häftlinge ihre Strafe verbüssen. Nur Häftlinge, die sich tadellos verhalten, dürfen Intimzimmer nutzen. Weitere Voraussetzung ist eine feste Beziehung, die vielerorts bereits vor der Haft bestanden haben muss. Intimbesuche von Sexarbeitenden sind fast überall verboten. All das zeigt eine Publikation zum Strafvollzug in der Schweiz.

«Sexualität ist Persönlichkeitsentfaltung»

Rechtsanwältin Livia Schmid ist Leiterin der Beratungsstelle Freiheitsentzug von Humanrights.ch. «Die Möglichkeit, sexuelle Kontakte zu pflegen, ist Teil der Persönlichkeitsentfaltung. Und ein elementares Bedürfnis vieler Menschen», sagt sie.

«Es gibt keinen Grund, Inhaftierte da anders zu behandeln – schliesslich ist der Verzicht auf Sexualität nicht Teil der Strafe.» Zudem solle es keine Rolle spielen, mit welcher erwachsenen Person Inhaftierte einvernehmliche sexuelle Kontakte pflegen möchten. «Auch Sexarbeitende sollen unter Umständen zugelassen werden.»

Beziehungen zur Aussenwelt seien wichtig, um Isolation und psychische Probleme zu vermindern. «Wenn Insassen ihr Bedürfnis nach Sexualität befriedigen können, hat das einen Einfluss auf ihr Wohlbefinden – und letztlich auch auf ihr Verhalten im Vollzug.»

«In allen Strafvollzugsanstalten braucht es Intimzimmer, in denen Sexualität gelebt werden kann.»

Livia Schmid, Rechtsanwältin

Sexuelle Ausbeutung und Übergriffe auf schwächere inhaftierte Personen könnten reduziert werden, sagt Schmid. «Und unter den Gefängnisstrafen leiden auch Angehörige, deren Rechte nicht unnötig eingeschränkt werden sollten.»

Für Schmid ist klar: «In allen Strafvollzugsanstalten braucht es Intimzimmer, in denen Sexualität gelebt werden kann.» Damit steht sie nicht allein da. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) begrüsste immerhin die Tendenz der Mitgliedstaaten, Intimbesuche zuzulassen.

Und auch gefängnisintern wird auf die Dringlichkeit des Themas aufmerksam gemacht: Insassen in Thorberg organisierten 2017 einen Streik – und forderten unter anderem ein Intimzimmer.

Mehr Intimzimmer sind nicht geplant

Das Bundesgericht überlässt es mit seinem Urteil nun also den Kantonen, die Intimkontakte von Gefangenen zu regeln. Katja Schnyder-Walser, Geschäftsführerin der Konferenz der kantonalen Leitenden Justizvollzug, sagt: «Im Moment gibt es auf interkantonaler Ebene keine Bestrebungen, vermehrt Intimzimmer zur Verfügung zu stellen.» Der Fokus liege auf Angehörigenarbeit als Ganzem – insbesondere der Förderung zwischen inhaftiertem Elternteil und Kind.

Somit bleibt es wohl dabei: Wer in ein Gefängnis mit Intimzimmer kommt, hat Glück gehabt. Die anderen nicht.