Als Erich Bühler sein E-Bike verkaufen will, nutzt er die Onlineplattform Ricardo. «Da ich nicht alle Informationen rund ums Verkaufen lesen wollte, habe ich mich an den Chatbot auf der Website gewandt», erzählt der 69-Jährige, der tatsächlich anders heisst. Er will von der künstlichen Intelligenz wissen, wie viele Gebühren für ihn anfallen.

KI-Chatbot antwortet klipp und klar

Lange braucht Bühler nicht zu warten, wie er dem Beobachter erzählt. Der KI-Assistent – «Lea» mit Namen – antwortet etwas kryptisch, dafür prompt. Bühler hakt nach und fragt, ob tatsächlich keine Gebühren anfallen, wenn der Käufer das E-Bike bar bezahlt. So hatte er die erste Antwort von Lea nämlich verstanden. Und der Chatbot präzisiert: «Ja genau! Wenn Sie einen Artikel bar verkauft haben, fallen keine Gebühren von Ricardo an, da die Zahlung nicht über die Plattform abgewickelt wurde.»

Partnerinhalte
 
 
 
 

So weit, so gut. Klipp und klar. Erich Bühler verkauft sein E-Bike, der Käufer zahlt bar. Für Bühler hat sich die Sache damit erledigt. Nicht aber für Ricardo. Einige Tage später will die Firma 70 Franken Gebühren von ihm.

Ricardo hält an Erfolgsprovision fest

Damit ist Bühler nicht einverstanden. Er zahlt nicht, wendet sich an Ricardo und schickt der Plattform sogar die Screenshots von seiner Unterhaltung mit der künstlichen Intelligenz. Doch niemand nimmt sich seiner Fragen an. «Ausser automatisierten Antworten und Mahnungen habe ich keine Reaktion von Ricardo erhalten», so Bühler. Ricardo droht sogar, ihn von der Plattform auszusperren.

Auch nach Nachfrage des Beobachters hält Ricardo an der Forderung fest. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen und das Gebührenreglement seien klar, so Mojca Fuks. Sie ist Mediensprecherin von Ricardo, das zur Swiss Marketplace Group (SMG) gehört. An der SMG ist auch das Verlagshaus Ringier beteiligt, das den Beobachter herausgibt.

«Eine Erfolgsprovision fällt bei jedem Verkauf an.» Und: In den Chatbot-Nutzungsrichtlinien werde darauf hingewiesen, dass die Antworten – angesichts der Neuartigkeit der Technologie – nicht immer vollständig seien. «Dass es sich beim Output des Chatbots um eine verbindliche Auskunft oder gar eine individuelle Vereinbarung handelt, ist aus rechtlicher Sicht klar zu verneinen.»

«Verheerend für die Rechtssicherheit»

Das kann man auch anders sehen. Anwalt Martin Steiger, Experte für Recht im digitalen Raum, sagt: «Ich bin der Meinung, dass ein Unternehmen für die Auskunft durch einen eigenen Chatbot haften sollte, genauso wie bei Mitarbeitenden am Telefon.»

In der Schweiz erlauben die Gerichte den Firmen allerdings weitgehende Haftungsausschlüsse, so dass sich wohl auch Ricardo erfolgreich auf seine Nutzungsrichtlinien für den Chatbot stützen könnte. Steiger hofft darum auf ein Urteil, das diese Praxis ändert. «Denn die Verantwortungslosigkeit, die bei Chatbots von den Unternehmen häufig an den Tag gelegt wird, ist verheerend für die Rechtssicherheit und das Vertrauen.»

Ricardo denkt über Anpassung nach

Tatsächlich ist Erich Bühlers Vertrauen erschüttert. Ob er bezahlen wird, weiss er noch nicht. Immerhin: Nachdem der Beobachter nachgehakt hat, prüft Ricardo, ob der Hinweis zu den Chatbot-Nutzungsrichtlinien künftig direkt im Chatfenster publiziert werden soll. Das ist derzeit noch nicht der Fall.