Videos, in denen sich Menschen Ozempic spritzen, kursieren seit Monaten im Netz. Abnehmwillige erzählen auf Tiktok und Instagram von ihrer «Ozempic Journey», also ihren Erfahrungen mit der Abnehmspritze. Und wie die Kilos dank des Medikaments nur so purzeln. Das gefeierte Mittel wurde aber eigentlich gar nicht zur Bekämpfung von Übergewicht entwickelt, sondern für Diabetiker, um den Blutzucker zu senken.

Die Ozempic-Pens des Herstellers Novo Nordisk gelten als hochwirksames Medikament für Diabetes Typ 2. Menschen mit Zuckerkrankheit spritzen es einmal pro Woche. Nur senkt der darin enthaltene Wirkstoff Semaglutid nicht nur den Blutzuckerspiegel, er stillt auch das Hungergefühl. Die Folge: Immer mehr Ärztinnen und Ärzte verschreiben ihren Patienten mit Übergewicht das Medikament. Dieser Off-Label-Use führt seit Monaten zu Engpässen, wie die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) und der Apothekerverband Pharmasuisse bestätigen.  

Einige Apotheken haben bereits einschneidende Massnahmen ergriffen, da sie das Medikament nicht mehr erhalten. Pharmasuisse schreibt, dass laufende Therapien unterbrochen werden mussten. «Dass Apotheken Kunden wegen Lieferengpässen ablehnen müssen, hat es in der Vergangenheit noch nie gegeben und zeigt das Ausmass des Problems!», betont Pharmasuisse.

Krankenkasse übernimmt die Kosten nicht

Auch erste Spitäler wurden zum Handeln gezwungen, etwa die Berner FMI-Spitalgruppe (Frutigen, Meiringen, Interlaken). «Wir geben Ozempic nicht mehr an Patienten ab, die es selbst bezahlen müssten», sagt Enea Martinelli, Chefapotheker der FMI. Sprich: Übergewichtige erhalten das Medikament nicht mehr, sondern nur noch Diabetes-Patientinnen und -Patienten.

«Ein schweizweiter Appell ist längst überfällig, Ozempic und weitere solche Medikamente nur noch Diabetikern zu verschreiben», fordert Martinelli. Der Chefapotheker weist auch darauf hin, dass die langfristigen Folgen der Spritze auf Übergewichtige noch nicht erforscht sind. «Es gibt bisher keine Langzeitstudie, die die Nebenwirkungen von Ozempic auf Nichtdiabetiker untersucht hat.» 

Eine ähnliche Haltung nimmt auch die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) ein. Die Knappheit an Diabetes-Medikamenten sei problematisch, nicht nur bei Ozempic, sondern auch bei weiteren Diabetes-Medikamenten wie dem Präventivmittel Saxenda. Im Oktober richtete sie einen Appell an die Ärzteschaft: «Diese Medikamente sollten nur von Spezialisten zusammen mit einer strukturierten Lebensstil-Intervention verordnet werden», schreibt die SGED. So könne man nicht nur den Mangel bekämpfen, sondern eine effiziente Behandlung sicherstellen.

Keine Empfehlung der FMH 

Eine Forderung aufzustellen, bringe laut Chefapotheker Enea Martinelli jedoch wenig. «Hausärzte, Spitäler oder öffentliche Apotheken können frei entscheiden, wie sie mit Medikamenten wie Ozempic umgehen.» Eine Nachfrage bei Pharmasuisse bestätigt dies. Sie stellen keine Empfehlung an die Apothekerinnen und Apotheker aus. Es liege in der Kompetenz der Ärzteschaft, wem sie das Medikament verschreiben. Doch auch der Ärzteverband FMH gibt keine Empfehlung an seine Mitglieder weiter. Wie FMH-Präsidentin Yvonne Gilli auf Anfrage schreibt, halten sie sich an die Leitlinien der Diabetes-Fachgesellschaft SGED.

Entlastung gegen die Knappheit soll nun das Medikament Wegovy bringen, das seit Anfang November auf dem Schweizer Markt erhältlich ist. Wegovy enthält wie Ozempic den Wirkstoff Semaglutid, ist aber spezifisch für Menschen mit Übergewicht gedacht. Wegovy gilt als Nachfolgeprodukt von Saxenda, und es weist einen höheren Wirkstoffgehalt auf als sein Vorgänger. In den USA und der EU wird das Mittel seit längerem zum Abnehmen verschrieben. 

Wie der «Tages-Anzeiger» meldet, wird das Angebot in der Schweiz vorerst begrenzt zur Verfügung stehen. Der Hersteller Novo Nordisk appelliere an die Ärzteschaft, in erster Linie «Patientinnen und Patienten mit dem höchsten medizinischen Bedarf» zu behandeln. Ob dieses neue Medikament die Situation sowohl für Diabetiker als auch übergewichtige Menschen entschärfen kann, wird sich zeigen.