«Mein Vater war 90 und wollte das nicht mehr»
Unnötige und teure Massnahmen: Pflegefachfrau Vina Wyser erzählt, was sie beim Tod ihres Vaters erlebte.
Veröffentlicht am 13. September 2024 - 08:21 Uhr
«Ich bin diplomierte Pflegefachfrau HF und habe langjährige Berufserfahrung in diversen Institutionen. Nun stehe ich vor der Pensionierung und muss erkennen: Es läuft einiges schief in unserem Gesundheitswesen.
Es gibt viele unnötige Untersuchungen und überflüssige Behandlungen. Ich kann nicht beurteilen, um wie viel Geld es dabei geht. Aber es sind sicher Abertausende von Franken.
Nach der Visite wurde kräftig verordnet
Als ich im Akutbereich eines Spitals gearbeitet habe, war jeweils am Dienstagmorgen Visite der Kardiologen. Wir von der Pflege wussten damals: Praktisch alle Patientinnen und Patienten, die nicht vor der Visite entlassen worden waren, erhielten anschliessend eine Herzkatheteruntersuchung verordnet, eine sogenannte Koronarangiografie. Der Hintergrund der Betroffenen spielte meist keine Rolle.
Der Beobachter-Prämienticker
Das habe ich eindrücklich bei meinem Vater erlebt. Er war fast 90 und hatte eine Herzinsuffizienz, die sich stark verschlimmerte, als er etwa 85 war. So musste er sich einer Koronarangiografie unterziehen, obwohl er sagte, er wolle das nicht mehr. Die Ärzte hatten ihn und meine Mutter so lange bearbeitet, bis sie zustimmten. Drei Monate später ist er verstorben.
Untersuchungen, die er nicht wollte
Er hatte sich vor 25 Jahren eine künstliche Herzklappe einsetzen lassen und lebte lange beschwerdefrei. Seine Herzprobleme hatten nichts direkt mit diesem Eingriff vor Jahren zu tun, die Insuffizienz war altersbedingt.
In seinen letzten Lebensjahren musste er gleich eine ganze Reihe von Untersuchungen und Behandlungen über sich ergehen lassen, die er klar ablehnte. Er war immer wieder im Spital, weil er Wasser auf der Lunge hatte.
In seiner Patientenverfügung lehnte er die Intensivstation ab. Dennoch landete er dort.
Einmal hatte er einen Infekt, und die Werte der roten Blutkörperchen waren sehr schlecht. Da hiess es, man müsse das abklären, geplant war eine Bauch- und Magenspiegelung. Er hat diese Untersuchungen klar abgelehnt und hatte eine Patientenverfügung, in der er einen Aufenthalt auf der Intensivstation ablehnte. Dennoch landete er dort. Sein Kreislauf wurde unterstützt, und er wurde invasiv beatmet.
In dieser Zeit stellten die Ärzte auch noch eine Makuladegeneration fest. Er musste alle vier Wochen in die Klinik fahren, wo ihm jeweils eine Spritze verabreicht wurde. Diese Behandlung war sehr aufreibend für ihn. Vor allem aber war es absurd: Die Gefahr einer langsamen Erblindung war angesichts seiner schweren Herzerkrankung zweitrangig. Nach der dritten Spritze verweigerte er die weitere Therapie.
Der Ärztin erfolgreich widersprochen
Schliesslich konnte er mit 90 in ein Altersheim ziehen. Hier hatte er noch ein paar Wochen mit einer recht ordentlichen Lebensqualität.
Dann stürzte er an einem Freitagabend und benötigte starke Schmerzmittel. Die aufgebotene Ärztin der Mobile Ärzte AG wollte ihn ins Spital einweisen. Mitten in der Nacht führte ich mit ihr ein etwa 40-minütiges Telefongespräch. Wenn ich ihr dank meiner Berufserfahrung nicht so klar hätte widersprechen können, wäre mein hochbetagter Vater ins Spital verlegt worden – obwohl er schriftlich festgehalten hatte, dass er das ablehnte.
Schon wieder sollte er ins Spital
Knapp eine Woche später erhielt ich einen Anruf aus dem Altersheim, weil sich sein Allgemeinzustand stark verschlechterte. Er ass nicht mehr, wollte nicht mehr aufstehen und benötigte Sauerstoff. Es war klar, dass er im Sterben lag. Gegen 23 Uhr waren die verordnungspflichtigen Reserven von Morphin und des Beruhigungsmittels Temesta aufgebraucht. Erneut wurde die diensthabende Ärztin der Mobile Ärzte AG aufgeboten.
Der Beobachter-Prämienticker
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Weit nach Mitternacht informierte mich diese Ärztin, dass sie meinen Vater erneut ins Spital verlegen wolle. Als ich sie bat, die Medikation im Sinne einer palliativen Behandlung einzusetzen, beendete sie das Gespräch. Später rief sie mich erneut an und entschuldigte sich.
Praktisch zur gleichen Zeit ist mein Vater verstorben.»
Vina Wyser, Erschwil SO; aufgezeichnet von Otto Hostettler
Das sagt das Unispital Basel:
Auf eine Anfrage des Beobachters, weshalb gegen den Willen des Patienten eine Koronarangiografie sowie eine Therapie gegen Makuladegeneration vorgenommen wurden, nahm das Unispital Basel nicht Stellung. Eine Sprecherin betonte, das ärztliche Berufsgeheimnis gelte über den Tod hinaus – trotz einer vorliegenden Vollmacht.
Das sagt die Mobile Ärzte AG, Allschwil BL:
Die Verantwortlichen der Mobile Ärzte AG nahmen zur Frage, weshalb der hochbetagte Patient trotz einer vorliegenden Patientenverfügung hätte ins Spital verlegt werden sollen, nicht Stellung. Im November 2023 wurde über die Firma das Konkursverfahren eröffnet. Dieselben Verantwortlichen führen seit Anfang Dezember eine neue Firma unter dem Namen Mobile Ärzte Neo GmbH.
3 Kommentare
Genau davor fürchte ich mich, nicht vor dem Tod, aber vor dem, was Ärzte uns noch antun, bevor sie uns gehen lassen. Für viele Ärzte ist jeder Tote eine Niederlage. Dabei wären Ärzte dazu da, den Menschen ein menschenwürdiges Leben UND Sterben zu ermöglichen. Leider lebe ich in Deutschland, da ist es noch viel schlimmer.
In der Schweiz ist das Leben durch den Fiskus bestimmt. Egal worum es geht, die erste Frage lautet immer und überall "was sind die Kosten". Und niemand fragt "ist das überhaupt nötig, sinnvoll"? Die "armen " Ärzte sind verpflichtet das Leben um jedem Preis zu retten ( hippokratisches Eid) Leider wird oft das Wohlergehen eines Alten oder Kranken anders interpretiert als sich die/derjenige wünscht. Zum Glück gibt es noch EXIT wo man, gegen Bezahlung (selbstverständlich) über eigenes Leben und Tod bestimmen kann.
Fazit: in der schönen ( Schweiz (Ansichtkarten!) "Money makes the World go round". Willkommen im Kabarett.
Was nützt denn eine Patientenverfügung, wenn sie zwecks Geldmacherei der Ärzte und Spitäler NICHT eingehalten wird?! Das nenne ich Menschenverachtung! So nicht!