Ärztinnen und Ärzte müssen «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich» arbeiten – so steht es im Krankenversicherungsgesetz. Doch was heisst das konkret?

Krankenkassen und Ärzte haben sich bereits vor sieben Jahren auf eine «Screening-Methode» geeinigt, um für jeden Arzt einen «Gesamtkostenindex» zu berechnen. Liegt ein Arzt 30 Prozent über dem Durchschnitt einer Vergleichsgruppe, macht er sich verdächtig, unwirtschaftlich zu arbeiten. Kann er den Krankenkassen die Besonderheit seiner Praxis – und damit die überdurchschnittlichen Kosten – nicht schlüssig erklären, können die Versicherungen Gelder zurückfordern.

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Fehlerhafte Berechnungsmethode

Ganz so einfach ist dies aber für die Krankenkassen nicht, wie zwei neue Urteile des Bundesgerichts zeigen. In den vergangenen zwölf Monaten hat das Bundesgericht bereits in drei ähnlichen Fällen die Urteile von kantonalen Schiedsgerichten für Sozialversicherungsstreitigkeiten aufgehoben. 

Die beiden neuen Urteile betreffen die gleiche Ärztin aus dem Kanton Zürich. 20 Krankenversicherungen forderten für die Jahre 2016 und 2017 fast 135’000 Franken zurück. Während das kantonale Schiedsgericht den Krankenkassen grundsätzlich recht gegeben hatte, hob das Bundesgericht nun die Urteile auf. 

Die «Screening-Methode» sei nur ein «erster Schritt der Wirtschaftlichkeitskontrolle», hält das Bundesgericht fest. Aber: «Auffällige Kosten sind indessen nicht mit unwirtschaftlicher Behandlungsweise gleichzusetzen.» Vor der Beurteilung müsse eine Toleranzmarge von 20 bis 30 Indexpunkten abgezogen werden. Damit werde dem Grundsatz der «ärztlichen Behandlungsfreiheit» und dem «individuellen Praxisstil» des Arztes Rechnung getragen. 

Die Krux mit den Praxisbesonderheiten

Das standardisierte Screening-Verfahren sei dazu da, die Ärztinnen selbst darauf aufmerksam zu machen, dass sie womöglich gegen die gesetzlichen Wirtschaftlichkeitsanforderungen verstossen. Ob ein Arzt mit auffälligen Kosten unwirtschaftlich arbeite, sei dann «mittels Einzelfallanalyse» näher abzuklären. 

Das Bundesgericht verlangt, dass bei der Wirtschaftlichkeitskontrolle in einem zweiten Schritt die Praxisbesonderheiten ermittelt werden müssen, die sich auf die Kostenstruktur auswirken.

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Ein Arzt müsse «objektiv und nachvollziehbar» aufzeigen können, wie die höheren Behandlungskosten zustande kommen. «Erst die Einzelfallprüfung führt gegebenenfalls zur Feststellung eines Verstosses gegen das Gebot einer wirtschaftlichen Behandlungsweise», heisst es im Urteil.

Als solche Besonderheiten gelten beispielsweise, wenn ein Arzt besonders viele langjährige und/oder ältere Patienten betreut, eine überdurchschnittliche Zahl von Hausbesuchen vornimmt, einen hohen Anteil ausländischer Patienten hat oder wenn er keine Notfallpatienten behandelt.

Das Bundesgericht verlangt, dass bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit alle Kosten einer Praxis betrachtet werden. Es gibt nämlich zwei Arten von Kosten. Die erste Art sind die «direkten Kosten». Diese entstehen, wenn der Arzt einen Patienten selbst behandelt. Die zweite Art sind die «veranlassten Kosten». Diese entstehen, wenn der Arzt einen Patienten zu einem anderen Arzt oder Therapeuten weiterschickt.

Das Bundesgericht sagt nun, die Krankenkassen müssten beide Kostenarten beurteilen. Ein Arzt, der eine Behandlung selbst durchführt, hat vielleicht hohe «direkte Kosten». Ein anderer Arzt schickt Patienten für dieselbe Behandlung womöglich zu einem Spezialisten und weist folglich tiefere «direkte Kosten» aus. Wenn am Ende alles zusammen betrachtet wird, arbeitet die Ärztin, die viel selbst macht, womöglich sogar wirtschaftlicher als der Arzt, der Patienten oft weiterschickt.

Krankenkassen müssen über die Bücher

Weil das kantonale Schiedsgericht die Vorgaben für die Rückforderung nicht korrekt berechnet hat, muss es nun die Fälle neu beurteilen. Die unterlegenen Krankenkassen müssen nicht nur die Ärztin für das bundesgerichtliche Verfahren mit 1500 Franken entschädigen: Wollen sie künftig von Ärzten Geld zurück, müssen sie grundsätzlich über die Bücher.