Wenn man heute ein Steuersystem erfinden würde, gäbe es dort keinen Eigenmietwert. Dazu ist seine Besteuerung zu kompliziert: Der Staat muss den Wert für jede Liegenschaft festlegen, ihn periodisch anpassen, Einsprachen prüfen und Lösungen für Härtefälle finden. Er muss unzählige Rechnungen kontrollieren: Welche Ausgabe für den Unterhalt ist steuerlich abzugsberechtigt? Welche ist wertvermehrend und damit nicht absetzbar? Und das ist nur der administrative Krampf.

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Auch wenn Fachleute es logisch finden, Steuern dafür zu zahlen, dass man im Eigenheim wohnt – die meisten Betroffenen verstehen es nicht. Für sie geht es vor allem um ihr Zuhause, nicht um ein Anlagevehikel. Was sie aber kapieren: Ein System, in dem man den Eigenmietwert mit Schuldzinsen kompensieren kann, belohnt Schuldner. Eigentlich ist es irre: Wer seine Hypothek abbezahlt, ist der Dumme.

Das hier ist die Argumentation für die Abschaffung des Eigenmietwerts. Die Argumentation gegen die Abschaffung des Eigenmietwerts finden Sie hier.

Besonders hart im Alter

Besonders schmerzhaft ist es für Pensionierte mit schuldenfreier Immobilie, aber geringem Einkommen. Bei ihnen erhöht der Eigenmietwert die Steuerrechnung überproportional. Im Extremfall können sie sich deshalb ihr über viele Jahre abbezahltes Zuhause wegen der Steuern nicht mehr leisten. Das soll fair sein?

Ungerecht sind auch die jetzigen Abzüge für Schuldzinsen und Renovationen. Zum Glück sollen sie bei einem Systemwechsel ebenfalls abgeschafft werden. Bisher lässt sich mit diesen Abzügen die Steuerbelastung durch den Eigenmietwert auch überkompensieren. Heisst: Man zahlt dann sogar weniger Steuern, als es dem Einkommen entspricht. So kann man sich Schulden und Renovationen von der Allgemeinheit mitfinanzieren lassen. Wie immer bei Steuerabzügen ist dieser Effekt umso grösser, je höher das Einkommen ist.

Eigenmietwert: Gut für die Banken

Ausserdem profitieren die Banken. Für sie sind die Hypotheken lukrativ. Und sie machen weitere Geschäfte mit dem Geld, das Eigentümerinnen anlegen können, weil sie ihre Schulden nicht abbauen. 

Der Systemwechsel, über den wir jetzt indirekt abstimmen, war noch vor einigen Jahren eine Forderung der Linken. Im Jahr 2017 kritisierte die SP: «Die geltende Besteuerung des fiktiven Einkommens stellt gerade Rentnerinnen und Rentner in bescheidenen finanziellen Verhältnissen, die ihre Hypothekarschulden abbezahlt haben und deren Einkommen sinken, vor grosse finanzielle Probleme.» Heute dagegen meint die Partei, bei der Abschaffung des Eigenmietwerts gehe es um «die Privilegien einiger reicher Immobilienbesitzer:innen». Eine erstaunliche Kehrtwende.

Steuerausfälle sind Momentaufnahme

Nun argumentiert die Linke vor allem mit den möglichen Steuerausfällen. Und richtig: Bei den aktuell tiefen Zinsen würde ein Systemwechsel die Eigentümer als Gruppe entlasten. Aber das ist eine Momentaufnahme. Kehrt die Inflation zurück, dann steigen die Zinsen wieder. Und ob Eigentümerinnen nach Inkrafttreten des Systemwechsels über die Jahre weniger, gleich viel oder sogar mehr Steuern zahlen würden als unter den jetzt geltenden Regeln, hängt stark vom Zinsniveau ab. Wie dieses in den nächsten Jahrzehnten aussieht, weiss aber niemand.

Bei dieser Abstimmung kommt es nicht so sehr darauf an, wie hoch die Zinsen heute sind und was das kurzfristig für die Steuereinnahmen bedeutet. Entscheidend ist vielmehr: Nun ist die historische Chance da, ein untaugliches System endlich abzuschaffen.

Hinweis: Beobachter-Redaktor Matthias Pflume ist seit fast zehn Jahren Eigentümer. Schon als Mieter fand er den Eigenmietwert fragwürdig.