Warum hat der Bund eine Maritime Strategie?

Die Schweiz hat zwar keinen direkten Anschluss ans Meer, vertritt aber «vielfältige Interessen» im maritimen Bereich, wie der Bundesrat feststellt. Der Bund hat aus diesem Grund fünf Schwerpunkte definiert, die zum ersten Mal in einer Strategie verankert werden. Dazu gehören die Teilnahme an Forschungsmöglichkeiten sowie Umweltschutz, der Schutz des Völkerrechts und wirtschaftliche Interessen.

Im Zentrum steht der Handel. Rund 90 Prozent des gesamten interkontinentalen Warenverkehrs werden über die Meere und die Ozeane abgewickelt. «Als global orientierte Volkswirtschaft ist die Schweiz auf reibungslose, weltweite Logistikketten und den Seehandel angewiesen», schreibt der Bund. Ziel der Maritimen Strategie ist es darum, allen Akteuren (zum Beispiel Reedereien) und Institutionen (etwa Universitäten) ein gemeinsames Verständnis der Bundespolitik in diesem Bereich zu geben.

Ziel: Eine starke Schweizer Flagge

Die Maritime Strategie wird vorläufig bis 2027 umgesetzt und am Ende der Laufzeit noch einmal geprüft. Fünf spannende Punkte daraus:

Die Stärkung der Schweizer Flagge gehört zu den fünf Schwerpunkten der maritimen Strategie. Das derzeitige Gesetz über die Seeschifffahrt unter der Schweizer Flagge stammt aus dem Jahr 1953 und ist sehr streng. So muss der Eigentümer eines Schiffs unter Schweizer Flagge die schweizerische Nationalität besitzen. Zudem muss das Aktionariat zu 51 Prozent in der Schweiz den Wohnsitz haben. Derzeit fahren 14 Schiffe von zwei Reedereien unter Schweizer Flagge.

Diese Schifffahrtsgesetzgebung soll laut der Maritimen Strategie gelockert werden. Durch die Revision sollen «offenere Registrierungsbedingungen» sowie «hohe Nachhaltigkeitsstandards» für Schiffe unter Schweizer Flagge geschaffen werden. 

Das schaffe auch wirtschaftspolitische Vorteile, heisst es beim Bund, denn wenn die Schweiz eine Flagge mit einer Handelsflotte besitzt, könne sie sich damit in der International Maritime Organization (IMO) besser Gehör verschaffen. Die Einhaltung der internationalen Umweltschutzstandards, sagt der Bund, sei ein zentrales Anliegen der Maritimen Strategie. 

Apropos Umwelt: Wird der CO2-Ausstoss der in der Schweiz registrierten Schiffe in der Schweizer Klimabilanz erfasst?

Nein. Die Treibhausgasemissionen aus der Hochseeschifffahrt werden «nach dem Territorialitätsprinzip» nicht an die Gesamtemissionen der Schweiz angerechnet. Diese Antwort gab der Bund auf eine Interpellation der Grünen-Nationalrätin Aline Trede zur Klimastrategie für Schweizer Hochseeschifffahrt. 

Auf Nachfrage erklärt ein Sprecher des Departements für Auswärtige Angelegenheiten (EDA), was das Territorialitätsprinzip in diesem Kontext bedeutet. Nach internationalem Recht werden die CO2-Emissionen nämlich dem Land zugerechnet, in dem der Treibstoff getankt wird, unabhängig davon, unter welcher Flagge das betreffende Schiff fährt. Es handle sich um das gleiche System wie bei der Luftfahrt.

Grünen-Politikerin Trede zeigt sich denn auch mit dem Umweltaspekt der Strategie nicht zufrieden. Sie kritisiert unter anderem den darin angestrebten Schutz von «mindestens 30 Prozent der Meeresflächen für die Biodiversität» als viel zu tief. Dass lediglich «hohe Umweltstandards im Tiefseebergbau» gelten sollen, ist ihr ebenfalls ein Dorn im Auge. «Gerade der Tiefseebergbau darf gar nicht mehr stattfinden, wenn die Klimaziele ernst genommen werden sollen.»

Der Bundesrat betont seinerseits, dass sich die Schweiz im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) für ein Netto-null-Klimaziel für die globale Seeschifffahrt bis 2050 einsetzt. 

Grösste Flotte aller Binnenländer

In der Schweiz «sitzt» mit ungefähr 900 Schiffen die neuntgrösste Handelsflotte der Welt und die viertgrösste Europas. Die Schiffe gehören rund 60 grossen Seetransport- und Logistikunternehmen, die in der Schweiz ihren Sitz haben. Ihre Interessen vertritt die Swiss Shipowners Association. Ein bekanntes Beispiel ist das Logistik-und Kreuzfahrtunternehmen MSC mit Sitz in Genf. In der globalen Rangliste der Eigentümerländer von Seeschiffen figuriert die Schweiz, gemessen am kumulierten Wert ihrer Schiffe, an 13. Stelle.

Unter den Ländern ohne eigenen Zugang zum Meer verfügt die Schweiz sogar über die grösste Flotte. Gefolgt von der Mongolei. Nun sind diese Schiffe zwar in der Schweiz registriert – sie fahren aber nicht unter Schweizer Flagge. Die Maritime Strategie und die angestrebte Lockerung der Schifffahrtsgesetzgebung könnten aber dazu führen, dass ein Teil der 900 Schiffe unter Schweizer Flagge registriert werden.

Die Schweizer Handelsmarine selbst umfasst aktuell noch 14 Schiffe. Gegenüber 50 vor sieben Jahren, wie «Swissinfo» berichtet. Die beiden verbliebenen Schweizer Reedereien sitzen in Zürich und Morges VD.

Die Handelsmarine, 1941 gegründet, blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück. Der Betrieb von Frachtschiffen unter Schweizer Flagge geht auf den Zweiten Weltkrieg zurück und war versorgungspolitisch motiviert. Der Warenverkehr war damals ins Stocken geraten, Nahrungsmittelströme über den Seeweg rissen ab. Als Heimathafen der Schiffe galt Basel am Rhein, auch wenn keines der Schiffe aufgrund seiner Grösse jemals dort vor Anker gehen konnte.

Im Kriegsfall können Schiffe «verstaatlicht» werden 

Die Aufsicht über die Schweizer Handelsflotte hat das Schweizerische Seeschifffahrtsamt SSA. Die Schiffe befinden sich in privatem Eigentum, doch es gibt eine Besonderheit: Der Bund kann die Schiffe nämlich in Krisen- und Kriegszeiten in den Dienst der wirtschaftlichen Landesversorgung stellen. «Grundprinzip der Landesversorgung ist, dass die Bevölkerung der Schweiz während sechs Monaten völlig autark leben kann. Wenn die Schweiz von ausländischen Frachtschiffen abhängig ist, kann dieser Auftrag nicht erfüllt werden», sagt Eric André, Präsident des Verbands Schweizerischer Seereedereien, gegenüber «Swissinfo».

Eine solche Indienstnahme trat bisher nie in Kraft. Doch die Regelung soll durch die Revision gar noch erweitert werden, schreibt ein Sprecher des EDA auf Anfrage. «Neben Hochseefrachtern könnten im Rahmen der geplanten Interventionsmassnahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung auch Rheinfrachter in deren Dienst gestellt werden.» 

Schweizer Beitrag an Meeresforschung soll gefördert werden

Schweizer Forschende sind in mehreren internationalen Forschungsgruppen vertreten, darunter im Scientific Committee for Antarctic Research (SCAR) oder im European Polar Board. Die Schweizerische Kommission für Polar- und Höhenforschung (SKPH) und das Swiss Polar Institute (SPI) spielen eine wichtige Rolle in der Polarforschung. Die Maritime Strategie will die Schweizer Wissenschaft in internationalen Meeresgremien stärken und den Zugang zu Forschungsschiffen und -plattformen sicherstellen.

Die Schweiz und das Meer – Fakten

  • Schiffe, die unter Schweizer Flagge fahren, haben diese am Heck befestigt; sie ist anders als die Landesflagge rechteckig. Diese Besonderheit ist im Bundesgesetz über die Seeschifffahrt festgehalten.
  • Die Schweiz ist durch ihre Flüsse an drei Meeresregionen angebunden. Durch den Rhein an die Nordsee, durch die Rhone ans Mittelmeer und durch den Inn via Donau an das Schwarze Meer.
  • Der Traum von einem «Alpenkanal». Der schweizerisch-italienische Ingenieur Pietro Caminada wollte um 1900 ein gigantisches Kanalprojekt in die Alpen fräsen, um einen direkten Schiffstransport zwischen Rotterdam und Genua quer durch den europäischen Kontinent zu ermöglichen. Mittels grosser Doppelschleusen sollten die Lastkähne allein mit Wasserkraft über den Splügenpass gehievt werden, berichtet SRF. Das Projekt wurde schliesslich begraben: zu teuer.
  • In den 1980er-Jahren gehörte der Slogan «Freier Blick aufs Mittelmeer – sprengt die Alpen» zu den provokativen Slogans der Jugendbewegung, die sich mit Rhetorik und Wortwitz gegen die Mythen und Symbole der Schweiz richteten.