Jeden Sonntag am Zürcher Hauptbahnhof die gleiche Szenerie: Weil sämtliche Läden in der Stadt geschlossen haben, stürmen die Menschen das «Shopville» im Bahnhof. Wegen einer Sondergenehmigung dürfen dort auch an Ruhetagen Konsumgüter wie Handys, Kleider, Lebensmittel oder Getränke verkauft werden. «Es ist schon verrückt, wie viele Leute hier sind», sagt ein junger Mann, der nach einer Flasche Rotwein sucht. «Da fragt man sich schon, warum der Coop gleich nebenan zwar jeden Tag bis 22 Uhr geöffnet hat, am Sonntag allerdings nicht. Das ist doch nicht mehr zeitgemäss!»

Seit vielen Jahren bereits diskutiert die Politik, ob und wie stark die Ladenöffnungszeiten liberalisiert werden sollen. Nach langem Hin und Her liegt nun eine Gesetzesvorlage auf dem Tisch, die eine neue schweizweit einheitliche Regelung vorsieht. Demnach dürfen Händler an Wochentagen von 6 bis 20 Uhr geöffnet haben, am Samstag zwischen 6 und 18 Uhr. Der Sonntag jedoch bliebe weiterhin ein Ruhetag. Der Nationalrat hat das Gesetz mit 122:64 Stimmen verabschiedet, nun liegt es beim Ständerat. Stimmt auch dieser zu, dürfte wohl das Volk entscheiden – die Gewerkschaften haben bereits das Referendum angekündigt.

Bis das neue Gesetz in Kraft treten sollte, sind die Öffnungszeiten weiterhin kantonal geregelt. Das hat zur Folge, dass der Aargau oder der Kanton Zürich beispielsweise viel liberalere Gesetze kennen als Luzern oder Solothurn (siehe Tabelle). Beim neuen Gesetz wären diese Zeiten vereinheitlicht – was aber dazu führen würde, dass in 14 Kantonen längere Öffnungszeiten möglich sind.

Stand heute: Ladenöffnungszeiten in den Kantonen

Kanton

Montag bis Freitag

Samstag

Bemerkungen

BS

6 – 20 Uhr

6 – 18 Uhr

 

BE

6 – 20 Uhr

6 – 17 Uhr

 

FR

6 – 19 Uhr

6 – 16 Uhr

 

GE

0 – 19 Uhr,
FR bis 19.30 Uhr

0 – 18 Uhr

 

GR

   

Regelungen auf Gemeindeebene.

JU

6 – 18.30 Uhr

6 – 17 Uhr

 

LU

0 – 18.30 Uhr

0 – 16 Uhr

 

NE

6 – 19 Uhr

6 – 18 Uhr

 

SG

6 – 19 Uhr

6 – 17 Uhr

Auf Gemeindeebene kann pro Woche an einem Abend ein Abendverkauf bis 21 Uhr bewilligt werden.

SH

5 – 22 Uhr (Sommer)
6 – 22 Uhr (Winter)

0 – 18 Uhr

 

SO

5 – 18.30 Uhr

5 – 16 Uhr

 

TG

6 – 22 Uhr

6 – 22 Uhr

 

TI

0 – 18.30 Uhr

0 – 17 Uhr

 

UR

0 – 18.30 Uhr

0 – 17 Uhr

Verkaufsgeschäfte dürfen zwischen Montag und Freitag an einem Abend bis 21.00 Uhr offen haben.

VD

   

Regelungen auf Gemeindeebene.

VS

0 – 18.30 Uhr

0 – 17 Uhr

Auf Gemeindeebene muss pro Woche an einem Abend ein Abendverkauf bis 21 Uhr bewilligt werden.

ZG

6 – 19 Uhr

6 – 17 Uhr

Auf Gemeindeebene kann pro Woche an einem Abend ein Abendverkauf bis 21.30 Uhr bewilligt werden.

ZH

0 – 24 Uhr

0 – 24 Uhr

 


Die Kantone AG, AI, AR, BL, GL, NW, OW und SZ kennen kein kantonales Gesetz.
Dort gilt, wie in allen anderen Kantonen auch, das Arbeitsgesetz des Bundes als Beschränkung. Dieses erlaubt schweizweit keine Ladenöffnungszeiten zwischen 23 und 6 Uhr. In dieser Zeit können Verkaufsstellen nur mit einer Sonderbewilligung geöffnet haben. Diese erhalten vereinzelte Apotheken, gewisse Tankstellen, Zentren des öffentlichen Verkehrs wie Bahnhöfe und Familienbetriebe, die an zentralen oder belebten Orten liegen, bspw. Quartierläden in einer Ausgangsmeile.

«Längere Ladenöffnungszeiten tragen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei», ist Bundesrat Johann Schneider-Ammann überzeugt. Ausserdem würden sich so die Rahmenbedingungen für den Detailhandel, der in den letzten Jahren Tausende Stellen verloren habe, deutlich verbessern. Ganz anderer Meinung ist dagegen SP-Nationalrat und Gewerkschafter Corrado Pardini: «Mit diesem neuen Gesetz werden sich die ohnehin schon prekären Arbeitsbedingungen des Verkaufspersonals weiter verschlechtern.» Über 90 Prozent der Verkäuferinnen und Verkäufer seien gegen längere Öffnungszeiten, ist Pardini überzeugt.

Auch wenn es nach Migros-Chef Herbert Bolliger geht, ist dieses neue Gesetz unnötig – allerdings aus anderen Motiven als bei Pardini. «Man sollte es überall streichen», sagte Bolliger in der «Schweiz am Sonntag». «Die Konsumenten sollen entscheiden, wo wir wie lange geöffnet haben. Wir öffnen doch nirgends einen Laden, wenn die Kunden nicht kommen!» Er setzt darauf, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt – und dass die Migros-Läden so in Städten automatisch länger geöffnet hätten als in ländlichen Regionen.

Falls seine Forderung dereinst durchkommen sollte, böte das Arbeitsgesetz des Bundes die letzte Schranke: Dieses sieht vor, dass Nachtarbeit zwischen 23 Uhr und 6 Uhr sowie Sonntagsarbeit einer Spezialbewilligung bedarf.

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Ebenfalls ein Thema ist die Sonntagsruhe. Doch auch dieses Tabu soll lieber früher als später fallen, wenn es beispielsweise nach dem Zürcher Tourismus-Direktor Martin Sturzenegger geht, wie er gegenüber der «Schweiz am Sonntag» sagte: «Aus Umfragen wissen wir, dass Sonntagseinkauf ein grosses Bedürfnis ist. Dass wir sonntags alles dichtmachen, ist ein bedeutender Standortnachteil gegenüber anderen europäischen Städten.»

Gleichzeitig zeigt sich an gewissen Orten, dass der Abendverkauf unter der Woche ein Auslaufmodell ist. In St. Gallen haben die meisten Läden am Donnerstagabend zwar bis 21:00 Uhr geöffnet – ohne allerdings zu profitieren. Im Gegenteil: «Was einst ein gesellschaftliches Ereignis war, ist heute nicht mehr gefragt», sagt Ralph Bleuer, Präsident des städtischen Detaillistenverbands Pro City. Sonntagsverkauf scheint also gefragt zu sein, Abendverkauf jedoch nicht mehr.

Ein Bedürfnis der Gesellschaft?

Doch stimmt das tatsächlich? Dass längere Öffnungszeiten ein Bedürfnis der Gesellschaft seien, ist das Hauptargument der Befürworter. Wenn man sich denn auch in Städten wie Zürich, Basel oder Bern umsieht und umhört – dann ja, dieses Bedürfnis scheint da zu sein. Analysiert man allerdings kantonale Abstimmungen, die sich in den letzten Jahren mit der 24-Stunden-Gesellschaft beschäftigten – dann nein. In den Kantonen Luzern, Zürich, Solothurn und Basel scheiterten in den letzten Jahren mehrere Versuche, längere Ladenöffnungszeiten einzuführen, am Veto des Stimmvolks. Und erst vor wenigen Wochen ist im Aargau eine Initiative, die die Aufhebung eines Tanzverbots an Feiertagen forderte, deutlich abgelehnt worden.