In Uttwil TG ist Ende April ein 17-jähriger Motorradfahrer in ein Auto geprallt. Er musste mittelschwer verletzt ins Spital gebracht werden. Anfang März fuhr in Kienberg SO ein Töfffahrer in die Leitplanke und verletzte sich schwer. Er musste mit der Rega ins Spital geflogen werden. Auch er war 17 Jahre alt.

Erst 16-jährig war der Jugendliche, der Mitte Februar in Pfäffikon SZ mit seinem Töff in das Heck eines Autos knallte und schwer verletzt liegen blieb.

Das sind möglicherweise die tragischen Folgen einer Verordnungsänderung, die der Bundesrat beschlossen hat. Seit dem 1. Januar 2021 dürfen Jugendliche bereits ab 16 Jahren statt wie vorher erst ab 18 Jahren Motorräder der 125er-Klasse fahren. Diese Töffs sind für Laien kaum von ihren grossen Vorbildern zu unterscheiden. Zwar ist ihre Leistung mit maximal 15 PS geringer als bei Motorrädern der grösseren Hubraumklassen. Sie erreichen aber trotzdem Beschleunigungen und Höchstgeschwindigkeiten von 120 Stundenkilometern. Damit können nicht alle Anfänger umgehen.  

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Bei der Altersgruppe der 16-Jährigen ist die Zahl der schwer und tödlich verletzten Personen nach der Gesetzesänderung von 18 auf 61 Personen angestiegen (238 Prozent mehr). Auch bei den 17-Jährigen ist der Anstieg von 31 auf 53 Personen beträchtlich (71 Prozent mehr). 

Bereits in der Vernehmlassung zur Verordnungsänderung hatten sich kritische Stimmen gemeldet. Vor allem Expertinnen und Experten, die in ihrem Berufsalltag mit Jugendlichen zu tun haben, wehrten sich gegen die Senkung des Mindestalters. Ablehnend äusserte sich etwa die Interessengemeinschaft der Verkehrszentren (IG WAB CH) und der Verband Schweizerischer Fahrlehrer-Berufsschulen (VSFB).

Auch die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) wollte die alte Regelung mit dem Mindestalter von 18 Jahren beibehalten. «Wir haben vor den Folgen der Senkung des Mindestalters gewarnt. Jetzt gelten die neuen Regeln», sagt Sprecher Christoph Leibundgut. Das Wichtigste sei nun, die Jungen für die Kraft der Maschine zu sensibilisieren und ihnen beizubringen, wie sie mit dieser umgehen müssen. Die BfU habe die Sensibilisierungskampagne «Don’t mess it up» entwickelt. Die Kampagne werde explizit auf den Kanälen der Jugendlichen wie Tiktok oder Snapchat ausgespielt.

Roadcross: Änderung muss rückgängig gemacht werden 

Auch die Stiftung Roadcross, die sich für Sicherheit im Verkehr einsetzt, hat befürchtet, dass mehr Jugendliche in Töffunfälle verwickelt werden könnten. «In diesem Alter erlangen Jugendliche immer mehr Selbständigkeit und haben weniger Hemmungen. Sie sind mutiger unterwegs und riskieren mehr», sagt Stiftungsratspräsident Willi Wismer. Er besitze selbst eine Fahrschule und beobachte diese Verhaltensweisen täglich im Unterricht. Für Roadcross ist klar: Die Änderung muss rückgängig gemacht werden. 

In Anbetracht der neuesten Entwicklung stellt sich die Frage: Warum wurde das Mindestalter überhaupt gesenkt? Die Antwort: Grund war primär die Harmonisierung mit der EU-Regelung. Auch eine Rolle gespielt habe laut dem Bundesamt für Strassen (Astra) der Umstand, dass man sich mit den 125er-Modellen besser in den Verkehr einfügen könne. Zudem würden sie über ein besseres Fahrwerk und bessere Bremsen als die Kleinmotorräder mit maximal 50 Kubikzentimeter Hubraum verfügen, die die Jungen früher fahren durften.  

Stark für die Änderung eingesetzt hatte sich damals SVP-Nationalrat Walter Wobmann, der die Föderation der Motorradfahrer der Schweiz (FMS) präsidiert. Wobmann warnt vor einer vorschnellen Interpretation der Zahlen. «Mit der Senkung des Mindestalters gab es eine starke Zunahme von Neulenkern, denn früher gab es diese Möglichkeit gar nicht. Es gibt also noch gar keine echten Vergleichszahlen.» Auch der TCS weist darauf hin, dass es mehrere Jahre brauche, bis neue Entwicklungen schlüssig interpretiert werden könnten. 

So lange will das Astra nicht zuwarten und eine Evaluation bereits nächstes Jahr vornehmen. Diese werde zeigen, ob die neue Regelung beibehalten werde oder geändert werden müsse.