Tausende Chemikalien gefährden möglicherweise täglich unsere Gesundheit. Das zeigt ein Bericht der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Zusammenarbeit mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Über 13’000 Chemikalien haben die Forscherinnen und Forscher in Kunststoffen gefunden, die für die Herstellung von Plastik oder als Zusatzstoffe verwendet werden. 

Zehn Gruppen der Chemikalien sind besonders besorgniserregend, weil sie als schädlich gelten oder leicht in die Umwelt entweichen können. Dazu gehören zum Beispiel gewisse UV-Licht- und Flammschutzmittel, Biozide oder Phthalate, die als Weichmacher verwendet werden. Sie machen Kunststoffe flexibler und geschmeidiger. Sie werden darum in vielen Alltagsprodukten eingesetzt, zum Beispiel für Spielzeuge, Bodenbeläge oder Schläuche. 

Die beunruhigende Nachricht: Von den identifizierten Stoffen bezeichnet der Bericht mehr als 3200 Chemikalien als problematisch, weil sie bei Kontakt die Wirkung von Hormonen nachahmen, blockieren oder verändern. Sie können die Fruchtbarkeit beeinträchtigen, das Nervensystem schädigen oder Krebs verursachen. Bei über 7000 weiteren Stoffen ist deren Einfluss auf die Gesundheit und die Umwelt nicht bekannt, aber potenziell schädlich. 

Die im Bericht zitierte Literatur stammt aus verschiedenen Regionen weltweit. In Europa wurden einige Weichmacher aus der Gruppe der Phthalate von der Europäischen Kommission bereits verboten, da sie als giftig gelten. Auch in der Schweiz dürfen beispielsweise Spielzeuge einen festgelegten Grenzwert von giftigen Chemikalien nicht überschreiten.

Welche Kunststoffe besonders schädlich sind und ob bereits ein einmaliger Kontakt schädlich sein kann, erklärt Dr. Zhanyun Wang, Co-Autor der Studie und Forscher an der Empa im Interview.

Beobachter: In welchen Kunststoffprodukten sind Chemikalien besonders besorgniserregend?
Zhanyun Wang: Vor allem in Spielzeugen, Möbeln, Textilien, elektronischen Geräten oder Lebensmittelverpackungen, wegen ihrer Nähe zum Menschen. Wir sitzen zum Beispiel auf Stühlen, essen am Tisch oder verzehren Lebensmittel, die in Plastik eingewickelt wurden. Oder wir geben unseren Kindern Spielzeug, das sie in den Mund nehmen. Diese Chemikalien sind für Kinder besonders gefährlich, weil sie sich in einer wichtigen Entwicklungsphase befinden.
 

Inwiefern gefährlich?
Bestimmte Chemikalien beeinflussen unsere Gesundheit negativ. Viele Chemikalien sind nicht an die Kunststoffe gebunden und setzen sich bei der Herstellung, Verwendung und Entsorgung frei, was schädliche Auswirkungen haben kann.
 

Kann bereits der einmalige Kontakt schädlich sein?
Das hängt von der Art der Chemikalien ab. Bei gewissen Chemikalien ist jeder einzelne Kontakt problematisch, zum Beispiel bei vielen krebserregenden Chemikalien und Blei. Blei wird als Hitzestabilisator in PVC-Kunststoff und in einigen anderen Fällen als Pigment verwendet. Es ist bereits in kleinsten Dosierungen schädlich.

Für andere Chemikalien gibt es eine Sicherheitsgrenze, bei der wir wissen, dass sie erst ab einer bestimmten Menge wirklich schädlich sind. Zum Beispiel solche, die wir in Kunststoffen verwenden.


Gibt es auch Kunststoff, der frei von giftigen Substanzen ist?
Ja, das kann es geben. Nicht absolut unbelastetes Plastik, aber bestimmte Wasserflaschen zum Beispiel sind eine ziemliche Erfolgsgeschichte, weil sie nur minimale Mengen an Chemikalien enthalten. Das liegt daran, dass sich die wenigen Hersteller, die sie produzieren, zusammensetzten und sich auf optimierte Rezepte für ihre Herstellung einigen konnten.
 

Wie kann ich überprüfen, ob Gegenstände gefährliche Chemikalien enthalten?
Wenn Chemikalien nicht von den Regulierungsbehörden bewertet wurden oder die für sie festgelegten Kriterien nicht erfüllt sind, ist es für eine Privatperson praktisch unmöglich, das zu erkennen. In unserer Studie fanden wir über 7000 verschiedene Chemikalien, über die wir nur wenig wissen. Wir kennen nicht einmal ihre chemische Identität.


Und warum?
Es gibt einfach zu wenig Transparenz in diesem Bereich. Infolgedessen gibt es nur wenige Vorschriften. Das wiederum ist der Grund, warum es an Analysestandards fehlt, die es Wissenschaftlern ermöglichen, mit den Chemikalien zu arbeiten. Dennoch wird auf dem Gebiet viel geforscht. Doch die Forschung allein kann das Problem nicht lösen. Wir sind der Industrie und den Regulierungsbehörden ausgeliefert.


Was braucht es also zusätzlich? 
Es bedarf einer besseren Koordinierung zwischen den Herstellern von Plastikpartikeln. Und vor allem mehr Transparenz über die in allen Produkten verwendeten Chemikalien. Dies kann erreicht werden, indem die politischen Entscheidungsträger strengere Vorschriften erlassen.