Der Krieg in der Ukraine weckt die Angst vor Engpässen. Weil die Ukraine und Russland dieses Jahr keinen Weizen exportieren, droht weltweit eine Nahrungskrise. Die Schweiz ist davon kaum betroffen. Doch um unabhängiger zu werden, müsse die Schweiz die Selbstversorgung steigern, fordern SVP und Bauernverband. Dazu müsse man die Produktion hochfahren und Umweltstandards senken.

Heute importieren wir etwa die Hälfte unseres Essens. Es wäre möglich, den Selbstversorgungsgrad deutlich zu erhöhen. Wie auf den vorhandenen Flächen am meisten Nahrung produziert werden könnte, zeigt ein Modell, das die Bundesforschungsanstalt Agroscope im Auftrag des Bundes entwickelt hat. In diesem Notfallszenario werden weder Nahrungsmittel noch Tierfutter importiert. Dünger, Diesel und Maschinen sind aber frei verfügbar. Dank viel mehr Kohlenhydraten und weniger Fleisch ist es knapp möglich, die ganze Bevölkerung zu ernähren. Pro Person und Tag stehen 2300 Kalorien zur Verfügung. Das reicht zum Überleben.

Fertig mit Risotto und Polenta

Der Fleischkonsum müsste von 140 auf 40 Gramm pro Tag zurückgehen. Dafür gibt es mehr Bratkartoffeln oder Rösti, 300 statt 120 Gramm wie heute. Auch Getreide essen wir mehr – als Brot. Pasta, Reis und Polenta sind passé, sie werden importiert. Wir verspeisen mehr Gemüse: Rüebli und Chabis statt Avocado und Peperoni. Der Früchtekonsum bricht ein. Statt Orangen und Kiwi gibts Äpfel und Birnen. Fertig ists mit dem Feierabendbier. Wenn ausländischer Hopfen und Malz auch verloren sind, bleibt Wein. Etwa halb so viel wie heute.

Insgesamt ist das Menü weniger abwechslungsreich. Die Landwirte müssen mehr direkt verwertbares Essen anbauen – und kein Tierfutter mehr (wie etwa Mais), das heute auf 60 Prozent der Schweizer Ackerfläche wächst. Die Tierhaltung geht stark zurück, weil «die direkte Verwertung pflanzlicher Nahrung energetisch effizienter ist als die Verfütterung an Nutztiere», schreibt Agroscope. Der Bestand an Schweinen und Geflügel schrumpft auf einen Zehntel. Denn sie fressen – zur Hälfte importierte – Ackerfrüchte. Kühe gibt es etwa gleich viele. Sie ernähren sich von Grasland, dem Grossteil der hiesigen Agrarfläche.

Die wissenschaftliche Modellierung zeigt: Zur Erhöhung des Selbstversorgungsgrads müssen wir mehr Pflanzen selber essen, statt sie zu verfüttern. Davon wollen SVP und Bauernverband nichts wissen. Sie fordern den Verzicht auf Ausgleichsflächen, die zugunsten der Artenvielfalt extensiv genutzt werden. Dabei handelt es sich um weniger als ein Prozent des Ackerlandes. «Eine Intensivierung dieser Fläche bringt nicht viel», sagt Agroscope-Forscher Albert von Ow. Es seien eher ungünstige Produktionsstandorte, die ohnehin wenig hergäben.

Internationaler Aufruf von 400 Wissenschaftlern

Selbstversorgung sei kein Selbstzweck, betont ETH-Agronomieprofessor Robert Finger. Gemäss Bundesverfassung soll die Landwirtschaft Nahrung bereitstellen, aber auf nachhaltige Weise. Finger rät davon ab, ökologische Standards zu senken: «Wir schädigen die Ressourcen und damit die Produktionsgrundlagen, wenn wir nicht umweltfreundlich Landwirtschaft betreiben.»

Er unterschrieb einen internationalen Aufruf von 400 Wissenschaftlern. Angesichts der Krise solle man mehr pflanzliche statt tierische Produkte konsumieren, nicht die Landwirtschaft intensivieren. Es sei genug Nahrung da, wenn man sie richtig nutze.

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