Eigentlich ist es ja nicht so kompliziert. Einfach die Lebensgrundlage künftiger Generationen sichern. 

Aber im Alltag ist es eben komplizierter. In Plastik eingepacktes Biogemüse kaufen oder halt doch das herkömmliche, aber unverpackte Rüebli? Ist es gerechtfertigt, in die Ferien zu fliegen, wenn man vegetarisch lebt? Und muss ich das Licht wirklich jedes Mal beim Verlassen des Raumes löschen, auch wenn es eine effiziente LED-Lampe ist?

Wieso sollte ich mich darum kümmern, die Welt zu retten, wenn der Nachbar ja sowieso viel schlimmer ist? 

Gezielt eingesetzte Verwirrungstaktik

Es wird immer mit dem Finger auf andere gezeigt: Politik und Wirtschaft schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Und alle appellieren an die Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger, nur um sogleich festzustellen, dass einer allein eben doch nichts ändern kann. Dabei ist es doch eigentlich logisch, dass es alle braucht, um das Klimaproblem zu lösen. 

Der innere Zwist darüber, wie man denn nun richtig klimabewusst lebt, wird noch durch eine perfide und oft gezielt eingesetzte Verwirrungstaktik verschlimmert. Rund um ökologische Themen hat sie geradezu Hochkonjunktur. Mit einem rhetorischen Trick soll der Gesprächspartner bei unliebsamen Themen abgelenkt und diskreditiert werden. Statt konkret über etwas zu diskutieren und ernsthafte Argumente vorzubringen, lenkt das Gegenüber das Gespräch einfach auf anderes. Das ist gleichzeitig banal und hochwirksam.

«Und was ist mit den Bienen?»

Zum Beispiel: Fordert man mehr Klimaschutz im Flugverkehr, muss man nicht lange warten, bis jemand darauf hinweist, dass es «im Fall viel wichtiger» wäre, sich um die Gebäude und Heizungen zu kümmern. Dort wird nämlich etwa ein Viertel der Schweizer Treibhausgasemissionen verursacht. Worauf als nächstes gleich folgt: «Und was ist mit den Bienen? Wen kümmern ein paar Ölheizungen, wenn unsere Insekten schutzlos den Pestiziden Pestizide Gefahr in der Luft ausgeliefert sind?» Das eine hat mit dem anderen nichts oder wenig zu tun. Auf einen Missstand wird einfach mit dem Hinweis auf einen weiteren Missstand geantwortet und damit der erste relativiert. 

Solche Diskussionen kennt jeder. «Aber in China verschmutzen sie ungebremst die Umwelt!», «Aber du besitzt doch auch ein Auto!» oder «Ich trenne ja meinen Abfall Recycling Das gehört nicht in den «Güsel» !». 

Mit Whataboutism gegen Kritik

Für diese Vernebelungstaktik gibt’s einen Namen: Whataboutism. Der englische Ausdruck steht für die Frage «What about…?» mit der jeweils vom eigentlichen Thema auf ein anderes abgelenkt wird. Als Propagandastrategie hat das eine lange Tradition. US-Präsident Donald Trump Immer mehr Protestwahlen Wie ist die Demokratie noch zu retten? nutzte es beispielsweise im Wahlkampf 2016. Wenn er sich mit Kritik konfrontiert sah, kritisierte er im Gegenzug einfach Hillary Clinton, ohne auf die ursprüngliche Frage einzugehen. Aber auch am Esstisch von Herr und Frau Normalo, in der Kaffeepause oder in Sitzungen wird gerne auf Whataboutism zurückgegriffen.

Wie kann man damit umgehen?

Schnell wird es moralisch. Es geht gleich um das grosse Ganze. Wenn China, Indien und die USA mehr klimaschädliches CO2 ausstossen als die Schweiz, spielt es denn überhaupt eine Rolle, was wir in unserem kleinen Land tun? Das Ablenkungsmanöver Kritik an Klimastreiks «Das ist ein ziemlich gewieftes Ablenkungsmanöver» hinterlässt einen am Ende ratlos und verwirrt. Was kann man als Einzelne denn bewirken? Schlussendlich hält es die Leute gar ganz davon ab zu handeln. 

Das ist ärgerlich. Und gegen Whataboutism gibt es scheinbar kein richtig gutes Rezept. Ihm aus dem Weg zu gehen ist leider unrealistisch. Deshalb stellt sich die Frage: Wie kann man damit umgehen, ohne sich komplett zermürben zu lassen?
 

Jetzt erst recht

Zuerst einmal ist es immer wieder aufs Neue wichtig festzuhalten, dass es nicht nur «entweder/oder» gibt. Nur weil Pestizide den Insekten schaden, heisst das noch lange nicht, dass man deshalb nicht auf höhere Preise im Flugverkehr oder klimafreundliche Heizungen setzen soll. Dass man selber nicht alle Probleme lösen kann, heisst noch lange nicht, dass man nicht sein Möglichstes probieren soll. Man muss nicht immer 100 Prozent ökologisch korrekt handeln, aber man kann ja versuchen, es möglichst oft zu tun. Zum Beispiel bei jedem zweiten Einkauf Bio-Rüebli ohne Verpackung suchen. Oder bei der nächsten Ferienplanung zuerst einmal in der näheren Umgebung nach passenden Orten Ausschau halten. Möglichst das Licht löschen, auch wenn der Nachbar es die ganze Nacht brennen lässt.

Und selbstverständlich auf allen möglichen Ebenen eingreifen: an Wahlen teilnehmen, abstimmen gehen, beim Arbeitsplatz und auf der Bank mehr Nachhaltigkeit einfordern. Gemeinsame Projekte starten. Und und und.

Frontalangriff gegen Vernebelungstaktik

Auch wenn man überzeugt ist, dass es bei der Klimakrise keine Zeit mehr zu verlieren gilt, kann man sich von der Grösse des Problems erschlagen fühlen. Aber es ist allemal besser etwas zu tun, als vor lauter vermeintlicher Ohnmacht untätig zu bleiben. Mit jedem noch so kleinen ökologischen Schritt Klimaschutz zu Hause Auch kleine Massnahmen zeigen Wirkung trägt man schliesslich dazu bei, dass das Problembewusstsein in der Gesellschaft wächst. 

Wie wäre es denn, bei der nächsten Vernebelungstaktik des Gegenübers das Kind beim Namen zu nennen? Einfach mal sagen: «Du versuchst vom Thema abzulenken, bleib bei der Sache»? Vielleicht verfliegt der Whataboutism-Nebel ja mit einem Frontalangriff. Einen Versuch ist’s wert. 
 

Was kann ich als Konsument konkret ausrichten?

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Nachhaltigkeitsexperte Fredy Dinkel gibt Tipps, wie man als umweltbewusster Mensch im Alltag einen wirkungsvollen Beitrag zum Umweltschutz leisten kann.
Quelle: Beobachter Bewegtbild
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Tina Berg, Redaktorin
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