Beobachter: Gibt es etwas, was Ihnen fehlt im Leben?
Tara Welschinger: Pommes Chips vermisse ich schon extrem. Bei jedem Fest stürze ich mich als Erstes auf die Chips. Eine Schwäche von mir. Ketchup fehlt auch. Und natürlich Mayonnaise. Das Glas, das noch im Kühlschrank steht, ist bald aufgebraucht.

Beobachter: Warum kaufen Sie nicht einfach ein?
Welschinger: Gern. Sobald es dafür verpackungsfreie Mehrweg-Alternativen gibt.

Der durchschnittliche Schweizer füllt pro Jahr 70 Säcke à 35 Liter. Tara Welschinger, ihr Lebenspartner und ihr Kater füllen zusammen zwei. Die 42-Jährige lebt «zero waste» – «null Abfall», soweit das möglich ist. Das war ein weiter Weg.

Noch vor zwei Jahren arbeitete sie im Kader einer Zürcher Kreativagentur und war Besitzerin eines begehbaren Kleiderschranks mit mindestens 120 Paar Schuhen. «Ich gehöre zur Generation ‹Sex and the City›.

Als man das erste Mal für 50 Franken mit Easyjet nach London fliegen konnte, war ich Mitte 20. Konsum war unser Lifestyle. Der begehbare Kleiderschrank und die 240 Schuhe gehörten dazu.» Sie zeigt auf ihre Stiefel. «Heute habe ich noch 20 – und es werden laufend weniger.»

Beobachter: Warum haben Sie sich so verändert?
Welschinger: Zum 40. reiste ich drei Monate durch Asien. An einem Abend am Strand in Myanmar sah ich drei säuberlich getrennte Haufen: Plastik, Büchsen und Restabfall. Später kam die Flut und zog die Häufchen mit ins Meer. Jemand muss die Einheimischen über Abfalltrennung informiert haben – doch die nötige Infrastruktur fehlte.

++ Lesen Sie die Fortsetzung des Porträts unter der Info-Box. ++

Porträtserie: «Die Weltverbesserer»

Unsere fünf Porträts über Schweizer, die die Menschheit in eine bessere Zukunft führen wollen.
 

Wieder zurück in Zürich, brachte Tara Welschinger die Müllberge nicht mehr aus dem Kopf. Die überfüllten Kübel auf dem Arbeitsweg gerieten stärker in ihren Fokus. Wenn sie am Abend wieder daran vorbeikam, waren die Kübel leer, der Müll verschwunden. «In der Schweiz haben wir eine perfekt funktionierende Infrastruktur. Heinzelmännchen, die den Abfall verschwinden lassen. Ohne sie würden wir wahrscheinlich darin versinken.»

Müll ist Wohlstand. Parallel zum Wirtschaftswachstum haben sich die Schweizer Abfallmengen in den letzten 25 Jahren verdreifacht. Verpackungen werden immer komplexer, Nahrungsmittel eher weggeworfen, und elektronische Geräte haben eine immer kürzere Lebensspanne. 24 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr, das ist die Schweizer Bilanz. 45 Tonnen pro Minute. Nur die USA und Dänemark produzieren mehr.

«In der Schweiz lassen Heinzelmännchen den Abfall verschwinden. Ohne sie würden wir darin versinken.» 

 

Tara Welschinger, Zero-Waste-Aktivistin

Tara Welschinger will daran etwas ändern. Sie begann, möglichst ohne Abfall einzukaufen. Zuerst bei Migros und Coop – als sie da nichts fand, auf den Märkten, beim Metzger und im Käseladen. Sie recherchierte im Internet, lernte von der Zero-Waste-Bewegung aus den USA und passte ihren Alltag immer stärker dem Wunsch nach einem abfallfreien Leben an.

«Früher war ich oft bis elf Uhr abends im Büro und holte mir danach etwas vom Take-away. Als ‹Abfallfreie› ging das nicht mehr. Der Metzger und die kleinen Bioläden schliessen um 18.30 Uhr. Meine Prioritäten änderten sich, mein Alltag veränderte sich.»

Erst war nur Welschingers Küche verpackungsfrei. Stofftaschen, Glasbehälter und Bienenwachstücher hielten Einzug. Dann folgten Putzschrank und Bad.

Beobachter: Wird es auch ohne Shampoo und Putzmittel sauber?
Welschinger: Duschmittel und Cremen gibt es auch in fester Form. Das funktioniert bestens. Und statt zu Meister Proper greife ich auf ein altes Hausmittel zurück. Gegen mein Gemisch aus Wasser und Tafelessig hat Kalk keine Chance.

Beobachter: Also kein Verzicht?
Welschinger: Für fast alles gibt es Alternativen. Sogar schönere und wertigere. Aber Verzicht gibts schon. Einmal bestellte ich ein Ginger-Bier. Es war heiss, ich hatte Durst, und das Bier gabs im Offenausschank. Als die Verkäuferin zum Plastikbecher griff, fragte ich, ob ich das Getränk nicht in einem der aufgereihten Biergläser haben könnte. Es war wenig los, und Gläser hatte es genug – sie wollte nicht. Da ging ich wieder. Obwohl ich richtig durstig war. So weit bin ich mittlerweile bereit zu gehen.

Vor einem Jahr ist sie mit Partner, Kater, sieben Möbelstücken und 15 Zügelkisten vom Siebenzimmerhaus in eine Zweizimmerwohnung gezogen. Davor hat sie vier Monate lang ausgemistet. Das Auto verkauft, ihre Bücher weitergegeben und fast 20 Säcke voll Kleider ins Brocki gebracht. Zero Waste hat ihr «den Ärmel reingezogen».

So stark, dass sie auch ihren Job in der Kreativagentur gekündigt und mit Freunden einen Laden eröffnet hat. «Ich wollte einen Ort, wo man findet, was man für ein abfallfreies Leben benötigt. Einen Ort, der auch Begegnungszone und Plattform ist. Dafür habe ich alles auf eine Karte gesetzt.»

Beobachter: Machen Sie die Welt besser?
Welschinger: Ich denke schon. Zumindest punktuell. Zero Waste ist kein Regelwerk, sondern Inspiration. Abfall mag eigentlich keiner. Im Laden oder an Vorträgen versuche ich aufzuzeigen, dass wir als Konsumenten durchaus das Recht und die Macht haben, Verpackungen zu hinterfragen und die Grossverteiler zum Umdenken zu bewegen.

Bienenwachstuch selber machen - so gehts

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Bienenwachstücher waren lange die gängigste Art, Lebensmittel zu verpacken. Höchste Zeit für eine Wiederentdeckung.
Quelle: Beobachter Bewegtbild
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