Ein Pilz sorgt für heisse Köpfe: Mitte April gab das US-Agrarministerium grünes Licht für einen Champignon, der mit der neuen Gentechmethode Crispr/Cas entwickelt wurde. Forscher der Pennsylvania State University schalteten einen Teil des Erbguts aus, jetzt verfärbt sich der Pilz nicht mehr bräunlich.

Für die US-Behörden ist das trotzdem nicht Gentechnik. Deshalb darf der Champignon ohne Sicherheitsprüfung oder Deklaration verkauft werden. Dasselbe gilt für die neue Maissorte einer Chemiefirma.

Dass der manipulierte Champignon und der genveränderte Mais zugelassen wurden, hat Gentech-Kritiker aufgeschreckt. Sie befürchten, dass selbst Biogemüse bald nicht mehr garantiert gentechfrei sein wird. Eine Horrorvorstellung für Biobauern und Biokonsumenten.

Alles hängt von der EU ab

Crispr/Cas ist nur eine der neuen Methoden, die unter dem Begriff Genome-Editing laufen. Sie werden die Diskussion um Genfood radikal verändern. «Wenn man die neuen Verfahren nicht als Gentechnik deklariert, haben wir ein Problem. Denn sie sind in der Pflanze nicht nachweisbar», sagt Martin Bossard vom Branchenverband Bio Suisse. «Dann lässt sich nie mehr zurückverfolgen, wer was verändert hat.» Denn die Agrochemiefirmen legten die technischen Eingriffe an ihren Pflanzen nicht offen.

Bioproduzenten sind daher besorgt. Bereits sind bei ihnen unbemerkt genmanipulierte Pflanzen aufgetaucht. «Wie sollen wir Pflanzen aussortieren, in denen man die Gentechnik nicht nachweisen kann?», fragte Noémi Uehlinger von der Zürcher Biosaatgutfirma Sativa kürzlich in der «Wochenzeitung». Solche Pflanzen müssten dringend gekennzeichnet werden. Man wolle sie nicht im Biolandbau.

Die Schweizer Behörden haben noch nicht entschieden, ob die Methoden als Gentechnik deklariert werden sollen. Sie nehmen derzeit eine Risikobeurteilung vor. Man müsse jedes Verfahren einzeln betrachten, einen Grundsatzentscheid lehnen die zuständigen Bundesämter ab. Doch der Spielraum der Schweiz ist begrenzt. Ausschlaggebend ist die EU. Dort zugelassene Pflanzen dürfen in die Schweiz eingeführt werden. Die EU-Kommission hat ihren Entscheid mehrmals verschoben.

«Ohne Deklaration lässt sich nie mehr zurückverfolgen, wer was verändert hat.»

Martin Bossard, Bio Suisse

Vor elf Jahren hat die Schweiz ein Moratorium für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen beschlossen. Der Nationalrat diskutiert ab Juni das damals vom Stimmvolk beschlossene Gentechgesetz. Wenn er dem Bundesrat folgt, dürfen bis Ende 2021 genveränderte Pflanzen höchstens zu Forschungszwecken angebaut werden. Und die Einfuhr genveränderter Pflanzen ist nur mit Spezialbewilligung erlaubt. Die zugelassenen Sorten werden allerdings kaum verkauft.

Mit Genome-Editing verwischen sich nun die Grenzen. In der bisherigen Gentechnik wurden meist Gene einer anderen Art in das Erbgut einer Pflanze übertragen. Man setzte etwa Gene aus einer Wildkartoffel in eine Zuchtkartoffelsorte oder ein Bakterium in eine Maissorte ein und machte die Pflanzen auf diese Weise gegen Schädlinge resistent.

Bei der «neuen Gentechnik» wird aber nur in das pflanzeneigene Erbgut eingegriffen. Einzelne DNA-Bausteine werden entfernt oder ausgeschaltet. Das macht die neuen Verfahren viel präziser und einfacher als die alten. Ein Eingriff kostet nur wenige Dutzend Franken und lässt sich in wenigen Minuten vornehmen. Forscher und Firmen frohlocken.

Ein neues Label soll das Problem lösen

Selbst der renommierte Bioexperte Urs Niggli vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick attestierte dem Crispr/Cas-Verfahren kürzlich «grosses Potenzial». Darüber gerieten die Biofreunde aber in helle Aufregung. Niggli will sich nicht mehr äussern, die Diskussion sei zu «politisiert». Um den Konflikt zu entschärfen, schlägt er statt der alten Gentechnik-Kennzeichnung ein neues Label vor. Für andere Experten handelt es sich jedoch eindeutig um Gentechnik. Der Gencode werde mit molekularbiologischen Methoden manipuliert.

«Früher wurde Weizen mit radioaktiven Strahlen behandelt. Er wird bedenkenlos konsumiert.»

Giovanni Broggini, Phytopathologe

«Wir wissen noch zu wenig», sagt Giovanni Broggini, Phytopathologe an der Bundesforschungsanstalt Agroscope. «Daher ist neutrale Forschung zu Nutzen und Risiken von neuen Züchtungstechnologien notwendig.» Im Gespräch findet Broggini klare Worte zur «emotionalisierten Gentechdebatte», auf Geheiss seines Arbeitgebers dürfen sie aber nicht publiziert werden. Giovanni Broggini untersucht in Wädenswil ZH gentechnisch veränderte Apfelbäume. «Statt ausschliesslich auf die Frage der Herstellungstechnik zu fokussieren, sollte man auch den Nutzen des Endresultats beurteilen», sagt er. Mitentscheidend sei, ob das Produkt eine Verbesserung bringe, und zwar unabhängig davon, wie es entstanden ist.

«Wir essen schon lange genetisch veränderte Lebensmittel», sagt er. Vor Jahrzehnten wurden Kulturpflanzen wie Weizen mit radioaktiven Strahlen behandelt und so gewünschte Genmutationen herbeigeführt. Diese Sorten würden bedenkenlos konsumiert.

Auch der Biolandbau profitiert

Für Biovertreter Martin Bossard sind die neuen Verfahren selbst für den Biolandbau wertvoll – aber nur im Bereich Analytik und Diagnose. Die Anwendung in der «Pflanzenherstellung» schliesst er aus. Genome-Editing greife ins Pflanzenerbgut ein. Da die genetischen Zusammenhänge erst ansatzweise verstanden werden, seien höchste Sorgfalt und Sicherheit nötig.

Die Industrie sieht das anders. Für sie sind die neuen Methoden nicht deklarationspflichtig. «Wenn keine fremde DNA eingesetzt wurde, sollen Organismen nicht unter das Gentechnikgesetz fallen», sagt eine Sprecherin des Agrochemiekonzerns Syngenta. Das ist auch die Position der US-amerikanischen Regierung, die in den Verhandlungen über das Handelsabkommen TTIP dahin gehend Druck macht, dass die EU die neuen Methoden nicht als Gentechnik einstuft.

Die Grossverteiler Migros und Coop verzichten auf die Einfuhr gentechnisch veränderter Lebensmittel. Was aber, wenn genmanipuliertes Essen, das nicht so deklariert ist, auf den Markt kommt? Die Grossverteiler halten sich bedeckt. Man warte erst den Entscheid des Bundesrats ab. Coop aber «unterstützt grundsätzlich gentechfreie Lebensmittel».

Doch die Gentechnik ist weiter im Vormarsch. Die drei grössten Agrochemiekonzerne, darunter die Schweizer Syngenta, kontrollieren mindestens die Hälfte des globalen Saatguts. Der Anteil der gentechnisch veränderten Sorten steigt. Genome-Editing wird neuen Schub bringen. Syngenta möchte entsprechendes Saatgut in wenigen Jahren auf den Markt bringen.

Das Horrorszenario: Eines Tages sind alle Pflanzen im Besitz der wenigen grossen Agrochemiefirmen, die das Saatgut gentechnisch verändert und patentiert haben. Unabhängige Hersteller gibt es kaum mehr, Gentech hat auch das Biofood übernommen. Und wirklich «natürliches» Essen gibts nur noch in den alten Kochbüchern.