Über 455 Millionen Franken – so viel haben in der Schweiz ansässige Pharmafirmen seit 2015 an Ärzte, Ärztenetzwerke, Spitäler, Universitäten, Patientenorganisationen und andere Vereinigungen bezahlt. Sie übernehmen Kongressgebühren, Übernachtungsspesen und Referentenhonorare von Ärzten, finanzieren Forschungsprojekte und verteilen grosszügige Spenden an Ärztegesellschaften.

Allein im letzten Jahr zahlten die 56 Pharmahersteller 162,45 Millionen Franken an Ärzte, Spitäler und andere Player im Gesundheitswesen. Im Vorjahr waren es 154,7 Millionen, vor zwei Jahren 138,5 Millionen. Das geht aus den Zusammenstellungen hervor, die Pharmafirmen seit drei Jahren veröffentlichen müssen – aufgrund einer Transparenzregelung des Branchenverbands Scienceindustries.

Mehrfach profitiert

12,4 Millionen Franken landeten direkt auf den Konten von mehreren Tausend Ärzten. 150 Millionen Franken flossen an Spitäler, Unis, Ärztenetzwerke, Ärzteorganisationen, Bildungsinstitutionen, Patientenorganisationen und an Organisatoren von Kongressen – und kamen so indirekt den Ärzten zugute.

Fast 60 Millionen davon gelangten für «Forschung und Entwicklung» an Spitäler. Unter diesem Begriff figurieren klinische Forschungsprojekte und sogenannte Beobachtungsstudien. Hier herrscht totale Intransparenz, die einzelnen Empfänger sind unbekannt. Das «Forschungsgeheimnis» müsse gewahrt bleiben, verteidigt der Branchenverband diese Praxis.

Zahlungen von 56 Schweizer Pharmafirmen

Infografik: Zahlungen von 56 Schweizer Pharmafirmen

2017 floss gesamthaft noch mehr Geld an Ärzte, Spitäler, Fachpersonen, Institutionen, Forschung und Entwicklung als im Jahr zuvor.

Quelle: scienceindustries, Angaben der Firmen – Infografik: Beobachter/AK

Wenn Patienten wissen wollen, ob sich ihr Hausarzt zum Beispiel Hotelübernachtungen bezahlen lässt, brauchen sie Ausdauer. Theoretisch müssen sie auf den Websites aller 56 Pharmafirmen den Namen des Arztes suchen. Die Daten könnten simpler zugänglich gemacht werden, doch offenbar wünschen das die Firmen nicht.

2015 hatte sich die Pharmabranche eigene Transparenzregeln auferlegt, wie mit Spenden und Sponsoring umzugehen sei. Eine interne Kommission wacht seither darüber. Bei Firmen und Ärzten sorgen diese Regeln immer wieder für Diskussionen. Vielen Ärzten ist es unangenehm, wenn ihr Name mit grossen Zahlungen der Pharma in Zusammenhang gebracht wird.

«Zusammenarbeit einstellen»

Gleichzeitig scheuen sich Pharmahersteller zunehmend, verdeckte Zahlungen an Ärzte zu tätigen. «Scienceindustries empfiehlt den Firmen, nur noch dann finanzielle Zuwendungen zu leisten, wenn Ärzte, Apotheker sowie Institutionen einer Offenlegung ihrer Angaben zustimmen», sagt Jürg Granwehr, Leiter Pharma bei Scienceindustries. Seine Forderung ist klar: «Wenn ein Spital oder ein Arzt nicht einwilligt, seinen Namen offenzulegen, sollte sich die Firma überlegen, die Zusammenarbeit einzustellen.»

In den letzten drei Jahren ist der Anteil der Ärzte gestiegen, die mit ihrem Namen dazu stehen, dass sie Geld von der Pharma kassieren. Über alle 56 Firmen hinweg sind es 76 Prozent, 2015 waren es 10 Prozent weniger. Bei der Hälfte aller Firmen sind inzwischen über 80 Prozent der Empfänger deklariert. Einzelne sind sehr geheimniskrämerisch. Bei Bayer, MSD und Sanofi etwa bleibt rund die Hälfte der Empfänger anonym.

Viele Spitäler, vor allem Universitätsspitäler, kassierten letztes Jahr Zahlungen über mehrere Hunderttausend Franken. Einige Zahlungen gingen sogar in die Millionen. So erhielt zum Beispiel die europäische Gesellschaft für Atemwegserkrankungen (European Respiratory Society) in Lausanne von GlaxoSmithKline 1,13 Millionen Franken und von Novartis 1,2 Millionen.

100'000 Franken im Jahr

Die überwiegende Mehrheit der über 5000 Ärzte kassiert nur einige Tausend Franken pro Jahr. Doch es gibt andere. Rolf A. Stahel, Onkologieprofessor und Leiter des Krebszentrums des Unispitals Zürich, erhielt letztes Jahr knapp 100'000 Franken – von Roche, AstraZeneca, MSD, Merck, Boehringer Ingelheim und Pfizer. Seit 2015 konnte er damit seine Einnahmen um 237'000 Franken aufbessern.

Johannes Bitzer, Ex-Chefarzt der Basler Frauenklinik, war 2016 von allen Schweizer Ärzten der grösste Bezüger. Er erhielt 70'000 Franken. Letztes Jahr unterstützten ihn Bayer und MSD mit insgesamt 45'000 Franken. Innerhalb von drei Jahren kassierte Bitzer fast 170'000 Franken von der Pharma. Er sagt, er fühle sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Denn alle Zahlungen seien vertraglich geregelt, und er habe nie Geld für Beobachtungsstudien erhalten. Zudem sei er als Professor seit 2013 emeritiert und arbeite heute nur noch Teilzeit.

Matti Aapro war 2015 mit knapp 100'000 Franken der Spitzenbezüger. Die Einnahmen des Krebsspezialisten an der Westschweizer Privatklinik Genolier sind seither rückläufig. 2016 waren es 35'000 Franken, 2017 noch 12'400. Ob der Rückgang der Zahlungen mit den Transparenzregeln der Pharmabranche zusammenhängt, ist nicht klar. Aapro wie auch Rolf A. Stahel liessen Fragen des Beobachters unbeantwortet.

Tricks gegen Transparenz

Bereits geringe Zahlungen der Pharma wirken sich darauf aus, welche Medikamente Ärzte verschreiben. Das belegen Studien seit Jahren. Um eine gesetzliche Regelung zu verhindern, unterstellt sich die Branche seit 2015 Transparenzvorschriften. Sie gelten europaweit, sind aber letztlich «freiwillig».

Mit kleinen Tricks verhindern Pharmafirmen seither einen klaren Blick auf diese Zahlungen. So veröffentlichen einige ihre umfangreichen Zahlungslisten als PDF-Dateien, die elektronisch nicht durchsuchbar sind.

Andere publizieren Empfängerlisten, die nicht einmal alphabetisch strukturiert sind. Wieder andere nutzen gestalterische Tricks, um die Listen schlecht lesbar zu halten.

Für Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz SKS, ist klar: «Diese Transparenzoffensive der Pharmaindustrie ist eine Mogelpackung. Kein Mensch schaut auf 56 Firmenwebsites nach, um herauszufinden, ob sein Arzt Geld erhalten hat.» Die Art der Publikation zeige: «Diese Übung ist untauglich, es braucht eine wirksame gesetzliche Regelung.»

Angeblich gibt es Pharmahersteller, die sich gegenüber den Ärzten vertraglich verpflichten, ihre Listen nur in einer «nicht weiter verwertbaren Form» zu veröffentlichen. Damit wollen sie es Medien erschweren, ein Online-Nachschlagewerk zu erstellen, in der sich Patienten mit einer unkomplizierten Suche über die Zahlungen an ihre Ärzte informieren können.

Der Beobachter hat für die Jahre 2015 und 2016 trotzdem eine Online-Suchliste erstellt. Unabhängig davon können sich Ärzte, die Gelder der Pharmaindustrie ablehnen Transparenz Welche Ärzte und Spitäler lehnen Pharmagelder ab? , als «Null-Franken-Ärzte» eintragen lassen.

Datenbank: So viel Geld nehmen Schweizer Ärzte von der Pharmaindustrie entgegen

Erfahren Sie mit Hilfe unserer gemeinsam mit «Spiegel Online» und dem deutschen Recherchebüro «Correctiv» erstellten Datenbank, welche Schweizer Ärzte und Spitäler wie viel Geld von der Pharmaindustrie entgegennehmen.

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Otto Hostettler, Redaktor
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