Jedes Jahr ein wenig mehr. Allein in den letzten vier Jahren hat die Pharmaindustrie über 639 Millionen Franken an Schweizer Ärzte, medizinische Fachpersonen sowie an Spitäler und Institutionen der Gesundheitsbranche überwiesen. Letztes Jahr erreichten die Zahlungen mit 181,4 Millionen einen neuen Rekordwert. Die Pharmakonzerne bezahlen den Ärztinnen und Ärzten Kongressgebühren, Reisespesen, Beratungs- und Vortragshonorare und sponsern Weiterbildungen bei Spitälern, Arztpraxen und Apotheken sowie Forschungsprojekte.

Einige Ärzte erzielten auf diese Art ein beachtliches Zusatzeinkommen. Zwölf kamen seit 2015 auf einen Zusatzverdienst von über 100'000 Franken. Das zeigt eine Analyse des Recherche-Netzwerks von Ringier Axel Springer Schweiz, dem der Beobachter angehört. Die zwölf sind hochdekorierte Spezialisten, Chefärzte und Klinikdirektoren, elf tragen einen Professorentitel. Am meisten kassierte der Zürcher Krebsspezialist Rolf A. Stahel mit 398'254 Franken. Allein 2018 strich er über 140'000 Franken ein.

Pharmafirmen werden immer spendabler

Die Entwicklung der Pharmagelder in der Schweiz seit 2015

181 Millionen Franken zahlten Pharmaunternehmen in der Schweiz im vergangenen Jahr an Ärzte, Fachgesellschaften, Spitäler und Institutionen der Gesundheitsbranche. Das sind rund 30 Prozent mehr als 2015.

Quelle: Pharmagelder Schweiz / Scienceindustries / Angaben der Firmen – Infografik: Andrea Klaiber
«Kann zu Abhängigkeiten und Interessenkonflikten führen»

Pharmafirmen und Ärzteschaft betonen immer wieder, dass die Zahlungen nach genauen Kriterien erfolgten und Transparenz Geschenke für Ärzte Die Alibiübung der Pharmaindustrie herrsche. 60 Firmen haben den entsprechenden Pharma-Kooperations-Kodex unterzeichnet und legen ihre Zahlungen jedes Jahr offen.

Die Ärzteschaft hat schon vor Jahren Sponsoring-Richtlinien für Weiterbildungsanlässe verabschiedet. Weil es für viele Ärzte selbstverständlich wurde, dass die Pharma diese Anlässe finanziert, musste die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in ihren Richtlinien festhalten: Das «kann zu Abhängigkeiten und Interessenkonflikten führen».

Veranstaltungen zur Weiterbildung müssen die Richtlinien der SAMW erfüllen, sonst erhalten die teilnehmenden Ärzte keine «Credits». Sie brauchen diese Punkte, um nachweisen zu können, dass sie die gesetzlich vorgeschriebene Fortbildung absolviert haben. Veranstaltungen mit nur einem Sponsor sind nicht zulässig. Zudem darf die Industrie den Organisatoren beim Programm keine Vorgaben machen.

Das riecht nach Feigenblatt

Doch die Pharmakonzerne loten die Grenzen des Zulässigen immer wieder neu aus. Um ein sogenanntes Monosponsoring zu verhindern, holen sie gern unbedeutende Pharmafirmen oder ein medizinisches Labor mit ins Boot. Dazu berufen sie ein wissenschaftliches Gremium für die Programmgestaltung ein. Das klingt alles gut – und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack.

Ein Beispiel dafür ist die Tagung der Rheumatologen Rheuma Schmerzen bis an die Grenzen («Rheuma Top»), die alljährlich im Hotel- und Seminarzentrum Seedamm Plaza in Pfäffikon SZ stattfindet. Hauptsponsor ist Mepha, die zum weltgrössten Generikahersteller, Teva, gehört. Der Konzern zahlte letztes Jahr für das eintägige Seminar Referentenhonorare von über 50'000 Franken. Damit alles seine Richtigkeit hatte, bezahlten alle 270 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Tagungsgebühr von 170 Franken.

Mepha war an der Tagung omnipräsent. Der Generikahersteller übernahm auch die Kosten für Administration und Organisation. Auf ihrer Website deklariert Mepha den Anlass sogar als «Eigenveranstaltung». Zwar treten zwei Co-Sponsoren auf. Doch beim einen handelt es sich mit der Firma iQone offensichtlich um einen Juniorpartner, der erst noch geschäftlich mit Mepha verbunden ist. Viollier, derandere Mitsponsor, ist eine Laborfirma.

Für die Inhalte ist eine vierköpfige «wissenschaftliche Leitung» verantwortlich. Weil sie sich aus Professoren der Unispitäler Basel, Bern und Zürich zusammensetzt, prangen auf dem Prospekt neben dem Mepha-Logo auch die Schriftzüge der Unispitäler.

8300 Franken für ein Referat

Die Spannweite der Referentenhonorare reicht von 800 Franken für einen Workshop bis 8300 Franken für das Einleitungsreferat von Professor Beat A. Michel, der im Leitungsgremium sitzt und auch die Referenten organisiert. Er war Direktor der Rheumatologie am Unispital Zürich. Heute ist er an der Rheumaklinik Bethanien tätig und ist ärztlicher Direktor am Medizinischen Zentrum Bad Ragaz. «Die Honorare entsprechen den Leistungen, sie sind vom Leitungsgremium je nach Leistung festgelegt worden, unabhängig von der Stellung des Arztes», erklärt er. Mepha mache keine Vorgaben.

Auch innerhalb des wissenschaftlichen Leitungsgremiums zeigt sich der unterschiedliche Umgang mit Geldern der Pharmaindustrie. Peter M. Villiger, Klinikdirektor der Rheumatologie am Inselspital Bern Prix-Courage-Gewinnerin 2018 Natalie Urwyler verklagt Inselspital erneut , erhielt für sein Referat 3500 Franken. Bei Oliver Distler, Direktor der Klinik für Rheumatologie am Unispital Zürich, waren es 3200 Franken. Diego Kyburz, Rheumatologie-Chefarzt des Unispitals Basel, kassierte dagegen nichts. Sein Honorar wurde direkt ans Unispital überwiesen. Das entspreche der Regelung des Spitals, sagt er.

Mitarbeit: Simon Huwiler («Blick»)

Novartis ist die Nummer eins

Die Rangliste der spendabelsten Pharmafirmen

Rangliste der spendabelsten Pharmafirmen, 2015 bis 2018, in Millionen Franken

Quelle: Pharmagelder Schweiz / Scienceindustries / Angaben der Firmen – Infografik: Andrea Klaiber
Finden Sie heraus, wer wen bezahlt

Sehen Sie selbst, welche geldwerten Leistungen die Pharmaindustrie Ärzten, Spitälern und anderen Institutionen der Gesundheitsbranche zukommen liess: Auf pharmagelder.ch sind die Daten zugänglich und für alle durchsuchbar. Die Daten stammen von 60 Pharmafirmen, die sie gemäss Pharma-Kooperations-Kodex offengelegt haben.

«Pharmagelder Schweiz» ist ein Projekt des internationalen Ringier Axel Springer Research Network, für das Meiden bei transnationalen, datengetriebenen oder investigativen Projekten kooperieren. Für die Schweiz dabei: Beobachter, «Blick»-Gruppe, «Handelszeitung» und «Le Temps» (Schweiz). Hinzu kommen: «Welt» und «Bild» (Deutschland), «Onet» (Polen), «Politico» (Belgien), «Business Insider» (Vereinigtes Königreich), «Aktuality.sk» (Slowakei), «Libertatea» (Rumänien), «Blic» (Serbien), «Blikk» (Ungarn).

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Otto Hostettler, Redaktor
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