David gegen Goliath: So wirkte es, als ein Rentner gegen das Kernkraftwerk Gösgen (KKG) klagte. Der pensionierte Ingenieur forderte 5500 Franken – Rentenzuschläge, die ihm der ehemalige Arbeitgeber gestrichen hatte. Im Juni gab ihm das Amtsgericht Olten-Gösgen nun recht. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben, denn neben dem Kläger sind mehrere Hundert Pensionierte betroffen.

Seit den 1990er-Jahren erhielten ehemalige Mitarbeitende des KKG zusätzlich zu ihrer Pensionskassenrente eine freiwillige Teuerungszulage. 2015 beschloss das Kernkraftwerk, auf den Zuschlag zu verzichten. Einige Jahre später ging die Alpiq als Hauptaktionärin und Betreiberin den gleichen Weg: Im Sommer 2020 kündigte der Energiekonzern seinen ehemaligen Mitarbeitenden an, die Zulage auf Ende Jahr zu streichen. Der Entschluss ist einschneidend: Die Pensionierten verlieren damit mehrere Hundert, manche mehr als 1000 Franken pro Monat.

Auch Marianne Woodtli ist betroffen. Die 80-Jährige war 15 Jahre Projektleiterin bei der Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel). Als diese 2009 mit Energie Ouest Suisse (EOS S.A.) fusionierte, entstand die Alpiq. Die Streichung der Teuerungszulage sei ein Schock gewesen. «Ich habe pro Monat mehrere Hundert Franken weniger zur Verfügung – das merkt man!» Besonders enttäuscht sei sie über die fehlende Wertschätzung. Schliesslich hätten sich viele Pensionierte jahrzehntelang für das Unternehmen eingesetzt.

Die Streichung habe wirtschaftliche Gründe, sagt die Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG auf Anfrage. «Das KKG musste verschiedene Massnahmen zur finanziellen Stabilisierung und Kostenreduktion einleiten», sagt Mediensprecher Guido Lichtensteiger. Dazu gehörte unter anderem auch eine Anpassung der Lohnzusatzleistungen für die aktuelle Belegschaft.

Marianne Woodtli lässt das nicht gelten: «Es ist für mich unverständlich, dass einer der führenden Stromkonzerne auf dem Buckel von Rentnern spart.» Im vergangenen Jahr konnte die Alpiq nach verlustreichen Jahren wieder einen Reingewinn von 111 Millionen Franken erzielen.

Jeder muss einzeln klagen

Die 80-Jährige schloss sich im Sommer 2020 einer Interessengruppe an. Diese besteht aus ehemaligen Mitarbeitenden des KKG sowie der Atel oder der Alpiq. Da sich die Firmen trotz Gesprächen und Beschwerden nicht umstimmen liessen, suchte die Gruppe juristischen Rat. Die Luzerner Kanzlei Schenkel & Serrago Rechtsanwälte vertritt inzwischen 200 Rentner und Witwen. Betroffen sind Schätzungen zufolge mehr als doppelt so viele.

«Leider verbietet uns das Gesetz, sämtliche Anspruchsberechtigten in Erfahrung zu bringen», sagt Rechtsanwalt Mario Schenkel. Grund dafür: Die Schweiz kennt keine Sammelklagen – jeder muss einzeln klagen. Ein Versäumnis, findet der Anwalt. «Bei einer Sammelklage würden alle Rentnerinnen, Witwen und Erben von einem positiven Entscheid profitieren. Und zwar unabhängig davon, ob sie sich in einem Gerichtsverfahren engagieren.» Die Schweizer Gesetzeslage bremse Betroffene aus. Nicht alle hätten die Mittel, sich zu wehren.

Doch das Urteil macht Hoffnung. «Wir werden weiterkämpfen», sagt Marianne Woodtli. Das wird auch nötig sein, denn die Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG will den Entscheid ans Obergericht ziehen.