Original-Artikel vom 4. Dezember 2020:

Eigentlich wollte er der Gemeinde helfen, Geld zu sparen. «Zum Dank wurde ich verleumdet und um meinen Lohn geprellt», sagt Alfred Tanner. Der selbständige Sozialarbeiter macht sogenannte Springereinsätze in Gemeinden und behebt so kurzfristige Vakanzen. Auch in Dübendorf ZH. Doch dieser Einsatz Anfang Jahr sollte ihm vor allem Ärger bescheren. «Ich habe in den letzten 30 Jahren in Dutzenden von Gemeinden gearbeitet, aber so etwas habe ich noch nirgends erlebt.»

Tanner sollte in Dübendorf für vier Monate einspringen. Das vereinbarte Honorar betrug 120 Franken pro Stunde inklusive Spesen. Vermittler des Einsatzes war der auf Sozialberufe spezialisierte Personalvermittler RGB Consulting in Gossau SG, mit dem Tanner auch den Vertrag abschloss.

Anfang Januar 2020 trat der 63-Jährige den Einsatz an. Der erste Monat verlief zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Als die RGB Alfred Tanner im Februar bat, seine Stundenabrechnungen fortan auf ihren normierten Formularen zu machen, zeigte ihm der zuständige Dübendorfer Leiter Soziales die RGB-Abrechnung.

So erfuhr Tanner zum einen, dass die RGB für ihn pro Stunde 170 Franken verrechnete, also über 40 Prozent mehr, als sie an ihn weitergab. Vor allem aber ärgerte ihn Folgendes: Er besitzt ein GA, legt den Arbeitsweg im Zug zurück. Trotzdem verrechnete die RGB Autokilometer. Zudem schlug sie seine Anfahrtszeit zur Arbeitszeit hinzu. «Es schien, als übervorteilte die RGB die Gemeinde. Natürlich habe ich den Leiter Soziales darauf aufmerksam gemacht. Immerhin ging es ja um Steuergelder.»

Tanner kündigte fristlos: «Meine durch die RGB abgeänderten Arbeitszeitrapporte zu Ungunsten der Stadt Dübendorf und zu Ihrem finanziellen Vorteil kann und will ich nicht verantworten und aufrechterhalten», schrieb er als Begründung. Es sollte sich später herausstellen, dass die Vereinbarung zwischen Dübendorf und der RGB Consulting tatsächlich erlaubt, Wegspesen zu verrechnen, unabhängig davon, was mit dem Springer abgemacht ist und was tatsächlich gefahren wurde.

Probleme statt Dank

Dübendorf und die RGB weigerten sich, die fristlose Kündigung anzuerkennen. Tanners Begründung sei völlig haltlos und untauglich, schrieb ihm RGB-Geschäftsführer Markus Riz. Man sei aber gewillt, ihn per 1. April ordentlich gehen zu lassen. Tanner blieb vorerst. Obwohl die RGB das Geld vom Sozialamt fristgerecht erhalten hatte, überwies sie Tanners Honorar nicht. Es begann ein hässliches Hin und Her. Der RGB-Geschäftsführer warf Tanner vor, sein Verhalten sei «unprofessionell, unchristlich und absolut verwerflich … Schämen Sie sich!»

Ende April reichte Alfred Tanner beim Gemeinderat eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Leiter Soziales ein. Einen Monat später bat er erneut, man möge seine Honorarforderung begleichen. Zu seinem Erstaunen liess ihn RGB-Chef Riz wissen, dass er kein Geld erwarten könne. Dübendorf habe Schäden geltend gemacht, die er, Alfred Tanner, verursacht habe. Er habe über 10'000 Franken zu viel an Sozialhilfeempfänger ausbezahlt und dadurch 30 Stunden an «Aufräumarbeiten» verursacht. Die Stadt Dübendorf verlange 14'500 Franken.

Die Summe deckt sich bis auf wenige Hundert Franken mit Tanners Honorar für den Monat März. «Das ist schon ein seltsamer Zufall. Erstaunlich ist auch, dass Dübendorf meine Arbeit bis zu meiner Kündigung tadellos fand und sogar darauf bestand, dass ich im März noch bleibe, es dann aber plötzlich hiess, ich hätte schlecht gearbeitet.»

Viele Ungereimtheiten

Tanner verlangte Beweise für die Vorwürfe. Entsprechende Unterlagen erhielt er, allerdings erst an der Schlichtungsverhandlung im September. Es handelt sich um Listen von Fällen, die Tanner bearbeitet hatte, um Verfügungen und Kontoauszüge von Klienten.

Die Papiere belasten aber nicht den Sozialarbeiter, sondern zwei andere RGB-Springer, die nach ihm in Dübendorf eingesetzt wurden. Sie gaben die hochsensiblen Unterlagen – ohne jegliche Anonymisierung – an ihren Arbeitgeber RGB weiter. Es besteht der Verdacht, dass hier das Berufsgeheimnis sowie die Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte der Sozialhilfebezüger verletzt wurden.

Etliche der Ungereimtheiten, die Tanners Schuld beweisen sollen, datieren vom Jahr 2019, als er noch gar nicht im Einsatz war. Ein Beweis für Tanners Schuld sind diese Listen ohnehin nicht: Zahlungen müssen vom Sozialarbeiter und vom zuständigen Abteilungsleiter gegengezeichnet werden.

Unterlagen, die seine Schuld beweisen, hat Tanner bis heute nicht erhalten. Auch seine Anfrage beim Stadtpräsidium Dübendorf, man möge doch den gegen ihn erhobenen Vorwürfen nachgehen, blieb bis heute unbeantwortet. Man quittierte ihm nicht einmal den Eingang seines Schreibens.

Aufträge in Millionenhöhe

Es ist nicht das erste Mal, dass die RGB Consulting für Dübendorf tätig ist. 2004 erstellte die Firma für die Stadt eine Studie über die Vor- und Nachteile eines Ausstiegs aus dem Zweckverband Soziale Dienste im Bezirk Uster. Ein Ausstieg lohne sich. Es sei für Dübendorf günstiger, die Leistungen selbst zu erbringen, beschied die RGB der Auftraggeberin.

Zehn Jahre später zeigte sich: Der Austritt kam die Stadt teuer zu stehen. Allein konnte Dübendorf die Aufgaben nicht stemmen. Ab 2015 nahmen die Kosten für Springereinsätze in der Sozialhilfe und bei Berufsbeistandschaften explosionsartig zu. Nutzniesser war die RGB Consulting. In den folgenden fünf Jahren erhielt sie von Dübendorf Aufträge über 2,6 Millionen Franken, über 1 Million davon allein im letzten Jahr. Budgetiert waren für 2019 nur 100'000 Franken gewesen, ein Zehntel.

Nicht der erste Skandal

Die Geschichte reiht sich nahtlos in die jüngsten Skandale um die Dübendorfer Sozialbehörde ein. Vor vier Jahren war entdeckt worden, dass eine Mitarbeiterin fremdenfeindliche Inhalte auf Facebook gepostet hatte. Es passierte jahrelang nichts. 

Ende August dieses Jahres berichtete der «Tages-Anzeiger» von gravierenden Missständen und einem schikanösen Umgang mit Sozialhilfeklienten. Angesichts der heftigen Vorwürfe gegen verschiedene Behördenmitglieder und insbesondere gegen die Amtsvorsteherin, SVP-Kantonsrätin Jacqueline Hofer, leitete der Gemeinderat eine Administrativuntersuchung ein. Hofer wurde Vetternwirtschaft nachgewiesen: Sie hatte zwei Aufträge an die Firma ihrer Schwester vergeben, in der auch sie zeichnungsberechtigt ist. Zwei Wochen später wurde ihr der Geschäftsbereich Sozialhilfe/Asylwesen für vorerst sechs Monate entzogen.

Auch der Leiter Soziales, der den unvorteilhaften Deal mit der RGB Consulting abgeschlossen hatte, musste den Hut nehmen, fristlos. Gegenstand der Administrativuntersuchung ist unter anderem die Abklärung der «Rechtmässigkeit von Vergaben an Dritte/Springertätigkeiten im Bereich Sozialhilfe».

Anpassungen 

Trotz mehrerer Anfragen wollte RGB-Geschäftsführer Markus Riz inhaltlich keine Stellung nehmen. «Wir haben uns nichts vorzuwerfen und auch überhaupt nichts zu verbergen. Deshalb sind wir grundsätzlich auch gern bereit, unsere Sicht der Dinge konkret darzulegen, wenn die genannten Voraussetzungen dafür erfüllt sind und dies der Klärung dient. Hingegen sind wir nicht bereit, gegen vertragliche Vereinbarungen und Verschwiegenheitspflichten zu verstossen, und bitten Sie, dies zu respektieren.»

Mit Voraussetzungen meint Riz die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht. Eine Auskunft zu den sie selbst betreffenden Vorwürfen ist aber kein Verstoss gegen Verpflichtungen. Die Begründung erscheint vorgeschoben.

Externe Untersuchung eingeleitet

Dübendorf ist auskunftsfreudiger. Die 170 Franken pro Stunde, die die RGB verrechnet habe, seien marktüblich, auch die Wegspesen seien legitim. Es habe sich aber gezeigt, dass die RGB «überdurchschnittlich hohe» Nebenkosten verlangt habe. Per 1. Januar 2021 werden Springerverträge deshalb nur noch über den Geschäftsleiter abgeschlossen», lässt Stadtschreiber Martin Kunz verlauten. 

«Die Springereinsätze wie auch die Prüfung allfälliger Missstände oder gar strafbarer Handlungen werden sicherlich Bestandteil der eingeleiteten externen Administrativuntersuchung sein», so Kunz. Und: «Über die künftigen Geschäftsbeziehungen mit der Firma RGB können zum jetzigen Zeitpunkt keine Auskünfte erteilt werden.»

Von Schäden, die Alfred Tanner bei seinem Springereinsatz verursacht haben soll, weiss der Stadtrat laut Kunz bis heute nichts.

Update vom 25. Januar 2022: Bericht zeigt zahlreiche Verfehlungen auf

Im Oktober 2020 entschloss sich der Dübendorfer Stadtrat zu einer externen Administrativuntersuchung. Durchgeführt wurde sie vom Zürcher Rechtsanwalt Tomas Poledna.

Nun liegt der Bericht vor. Er zeigt zahlreiche Verfehlungen auf, spricht von einer «störanfälligen Organisationsstruktur». In 25 Punkten haben die Zuständigen nicht nach rechtlichen Vorgaben gehandelt.

Auch die vom Beobachter angeprangerte Auslagerung von Springerdiensten an die Drittfirma RGB Consulting aus Gossau SG und die dadurch explodierenden Kosten wurde von Rechtsanwalt Poledna unter die Lupe genommen. Er bestätigt die monierten Mehrkosten in Millionenhöhe genauso wie die damit einhergegangenen Datenschutzverletzungen. Poledna empfiehlt dem Stadtrat, in diesem Punkt eine Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung zu prüfen.

Der Sozialarbeiter Alfred Tanner war damals einer der von RGB Consulting eingesetzten Springer. Während seiner Arbeit stellte er mussmassliche Unregelmässigkeiten und Datenschutzverletzungen fest. Er kündigte fristlos, informierte zuvor aber den zuständigen Leiter des Sozialdienstes. Nachdem sich die Drittfirma weigerte, ihm seinen Lohn zu zahlen und die Stadt Dübendorf ihn im Regen stehen liess, wandte er sich an den Beobachter. «Die Administrativuntersuchung hat aufgezeigt, dass ich mich zurecht gewehrt habe. Ich bin sehr erleichtert.» Den Grossteil des Lohnes, den er zugut zu haben will, hat er aber nach wie vor nicht erhalten.

Die RGB Consulting habe bereits gegenüber Herrn RA Poledna Stellung genommen, sagte RGB-Geschäftsführer Markus Riz auf Anfrage. «Wir sehen keine Veranlassung, uns dazu erneut zu äussern.»

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