Vorbei an einer überquellenden Garderobe und einem Ständer voller Laborkittel geht es eine enge Treppe hoch ins Büro. Am Boden liegen leere PET-Flaschen, unter einem vollgekritzelten Whiteboard steht ein Teller mit Erdnussschalen und ein paar einsamen Schoggitalern. Hier also soll die Weltrevolution der Nahrungsmittelindustrie beginnen.

Hier in Wädenswil, gleich neben der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, forscht Christoph Mayr mit seinem zwölfköpfigen Team. Sein Start-up Mirai Foods hat Grosses vor: Es will Fleisch aus dem Labor züchten – Zombiefleisch, wie kritische Stimmen es nennen. Es soll die Fleischindustrie aufrütteln und Fleischessern ein gutes Gewissen geben.

Auf der ganzen Welt forschen etliche Firmen an Poulet, Steak oder Fisch aus dem Reagenzglas. Anders als pflanzliche Burger wie der Beyond oder Impossible Burger Veganes Testessen So schmeckt der Burger aus dem Labor wird dieses Fleisch aus Stammzellen von echten Tieren im Labor gezüchtet. Dafür werden Zellen in ein Medium gegeben, das Nährstoffe und Wachstumsförderer enthält. Dort vermehren sich die Zellen und bilden, ähnlich wie im Körper, Muskelfasern.

Was alle Hersteller gemein haben, ist das Versprechen: Ihre Produkte seien umwelt- und tierfreundlicher als herkömmliches Fleisch, clean sozusagen. Es werden keine Tiere geschlachtet, Medikamente und Massentierhaltung braucht es nicht. Der Anbieter Mosa Meat wirbt mit dem «weltweit nettesten Burger», Aleph Farms will sein Laborsteak mit dem Claim «Schlachtfrei, Killergeschmack» verkaufen.

«Ich bin selbst Fleischesser und will nicht auf den sporadischen Burger verzichten.»

Christoph Mayr, Chef von Mirai Foods 

Christoph Mayr, Chef von Mirai Foods 

Quelle: Roger Hofstetter

Auch die Story von Christoph Mayr von Mirai Foods passt. Als sein erstes Kind unterwegs war, sei der Wunsch gewachsen, etwas zu verändern, erzählt der 37-Jährige. Er hatte Wirtschaftsingenieurwesen studiert, war Unternehmensberater, zog nach Südkorea und baute dort den Lieferservice Delivery Hero mit auf. Die Firmengruppe ging an die Börse. Dank der verkauften Firmenanteile habe er über ein finanzielles Polster verfügt, sagt er. Während einer Auszeit sei ihm klargeworden, dass es so nicht weitergehen könne. Mit dem Klima, unserer Ernährung. Besonders stossend: die Fleischindustrie . «Ich bin selbst Fleischesser und will nicht auf den sporadischen Burger verzichten.»

Er probierte Vegi-Imitate, doch sie schmeckten ihm nicht. «Und wenn man den Nährwert und die Zutaten dieser Ersatzprodukte anschaut, fühlt man sich auch nicht ganz wohl.» Pflanzliche Produkte, dachte er, können nicht die alleinige Lösung sein. So kam er zum Laborfleisch. Mark Post, ein niederländischer Mediziner und Mitgründer der Laborfleischfirma Mosa Meat, hatte bereits 2012 eine Laborburger-Degustation veranstaltet. Mayr war begeistert und begann sich zu vernetzen. Ende 2019 gründete er Mirai Foods. Mirai ist japanisch und bedeutet Zukunft.

Einziges Schweizer Start-up, das an Laborfleisch tüftelt

In Wädenswil geht es weiter ins Labor, das wie die Abstellkammer eines Chemie-Schulzimmers aussieht. Das sei «der nicht so hygienische Raum», entschuldigt sich Christoph Mayr. Geräte surren, junge Leute hängen über Mikroskopen und Laptops. In der Ecke druckt ein 3-D-Drucker eine Turbine – «für einen der Bioreaktoren», so Mayr.

«Hier lagern wir die Zellen», erklärt er beiläufig und zieht eine lange Röhre aus einem Stickstofftank. Es dampft. Nicht übermässig spektakulär, aber in der Röhre soll etwas Besonderes stecken.

5 Schritte: Wie Mirai Foods im Labor Rindfleisch herstellt

Mirai Foods ist das erste und einzige Schweizer Start-up, das an Laborfleisch tüftelt. Marktreif ist weltweit erst ein solches Produkt. In Singapur erhielt das kalifornische Start-up Eat Just im Dezember 2020 die Zulassung für Chicken-Nuggets aus dem Labor. Lange gab es wenig Geld für die Herstellung von Laborfleisch, zuletzt aber stiegen die Investitionen in die neue Branche rapide an. Auch in der Schweiz geht einiges. In Kemptthal ZH auf dem Areal der ehemaligen Maggi-Fabrik baut die Migros einen Hub für die Entwicklung von zellbasiertem Fleisch. Wer dort arbeiten wird, ist allerdings noch unklar.

Mirai Foods wollte Ende Jahr erste Produkte in einem Testmarkt lancieren. Nun wird es wohl 2023. «Dann wird unser Fleisch in Singapur auf dem Markt sein», ist Mayr überzeugt. Dort dauere der Zulassungsprozess nur sechs Monate. In Europa und der Schweiz sei mit zwei Jahren zu rechnen. «In der Schweiz wird man unsere Produkte 2024 oder 2025 kaufen können.» Dann soll das Fleisch in Restaurants, in Supermärkten oder im Direktverkauf zu haben sein. Zur Frage, ob er mit Schweizer Detailhändlern zusammenarbeite, gibt sich Mayr geheimnisvoll.

Migros und Coop investieren

Bekannt ist, dass die Migros über ihren Industriebetrieb M-Industrie in die israelische Firma Aleph Farms investiert hat, Coop mit der Tochter Bell in die niederländische Mosa Meat. Bei letzterer arbeiten bereits rund 100 Personen, der Zulassungsprozess in der EU soll noch dieses Jahr beginnen. Er dürfte 18 bis 24 Monate dauern. Danach werde man auch in den Schweizer Markt treten, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Die Firma ist daran, die Pilotanlage für die erste grössere Produktion von kultiviertem Rindshackfleisch fertigzustellen.

Dass die Konkurrenz schon vor Jahren gestartet ist und grosse Namen wie Filmstar Leonardo DiCaprio als Investoren an Bord hat, beunruhigt Mayr nicht. «Die waren lange ziemlich akademisch unterwegs. Wir aber wollen so schnell wie möglich auf den Markt.» Selbst wenn die ausländische Konkurrenz schneller sein sollte, glauben viele an das Schweizer Projekt. Anfang 2021 hat Mirai Foods 4,5 Millionen Franken Startkapital gesammelt. Und noch mal knapp 3 Millionen an Fördergeldern aus der Schweiz und der EU erhalten.

Doch die Jungfirma braucht noch mehr Geld. Sie baut enorm aus. 35 zusätzliche Leute fangen bald an. Das Team zieht demnächst in ein grösseres Büro und Labor mitten in Wädenswil. Dort soll auch die Pilotanlage für die Produktion im grossen Stil entstehen.

Welche Konsistenz hat das Fleisch aus dem Labor? Wie ist der Geschmack?

Im alten, überschaubaren Büro sitzt ein Mitarbeiter an einem Minischreibtisch im Eingangsbereich. «Unser Mitgründer Suman Das», sagt Mayr. Er ist Zellbiologe und arbeitete jahrelang bei Novartis an einem menschlichen Muskel aus dem Labor. «Der Prozess ist ähnlich wie bei der Herstellung eines Rindermuskels», so Mayr. Der essbare Rindermuskel sei sogar eher einfacher zu produzieren. «Der muss nur gut schmecken, nicht auch noch stark sein.»

Lässt sich das Endprodukt geschmacklich von herkömmlichem Fleisch unterscheiden? «Noch merkt man einen Unterschied, aber der ist klein», sagt Mayr. Die Konsistenz des Laborfleischs sei schon sehr gut. Ihr Burger sei aber nicht so rot wie das Original und erinnere daher an Pouletfleisch. Der Grund: Mirai Foods verwendet kein Blut. «Wir brauchen es schlicht nicht, nur Muskeln und Fett», so Mayr. «Mir persönlich fehlt der blutige Geschmack», gibt er zu. Man arbeite daher daran, eine blutige Note hinzuzufügen.

Es geht in ein weiteres Minilabor. Hier muss es sauber sein. Mayr zieht blaue Plastiksäcke über die weissen Sneaker. Es riecht undefinierbar. Nach wachsendem Fleisch? Oder nach Desinfektionsmittel? Und da sind sie: die Bioreaktoren, die das Fleisch ausbrüten. Innen herrschen 37 Grad, ähnlich wie im Tierkörper. Die Flüssigkeit in einem der Gefässe ist trüb. «Da wächst schon was», sagt Mayr. Selbst mit viel Fantasie lässt sich jedoch kein Fleischstück erkennen.

Kann Laborfleisch überhaupt nachhaltig hergestellt werden?

Falls es gelingen sollte, aus der trüben Suppe den perfekten Burger zu brauen: Ist Laborfleisch wirklich die Zukunft? Werden wir künftig statt eines Steaks vom Metzger eines aus dem Reagenzglas essen?

Ein entscheidender Faktor dürfte sein, ob die Hersteller ihre Versprechen zur Nachhaltigkeit halten können. Die Studienlage dazu ist noch dünn. Daten fehlen, bis jetzt gibt es weltweit keine grösseren Produktionsanlagen für Laborfleisch und daher nur Hochrechnungen. Demnach verbrauchte die Herstellung von Laborpoulet und Laborschwein laut einer Studie etwa mehr Energie als echtes Fleisch. Zudem werden mehr Treibhausgase ausgestossen als bei der Produktion von konventionellem Fleisch.

Die niederländische Beraterfirma CE Delft berechnete, dass mehr als 30 Prozent der nötigen Energie aus erneuerbaren Quellen stammen müssten, damit Laborfleisch beim CO2-Fussabdruck mit konventionellem Geflügel- und Schweinefleisch mithalten kann. Mirai Foods setzt auch deshalb auf Rindfleisch, das in üblicher Herstellung einen deutlich grösseren Fussabdruck hat.

Auch beim Tierwohl gibt es noch Fragezeichen. Auf den ersten Blick scheinen für das Laborfleisch keine Tiere zu sterben. Das Ganze funktioniert ohne Massentierhaltung und ohne Einsatz von Antibiotika. Dafür benötigen die Firmen für ihre Produkte aber eine Biopsie von einem lebenden Tier.

Ein Milliardenbusiness

Ein Dorn im Auge von Tierschützern ist auch, dass für das Zellwachstum Kälberserum verwendet wird. Dafür wird einer frisch geschlachteten Kuh der Fötus aus dem Uterus geschnitten und ihm Blut abgenommen. Weil das laut Mayr «unschön» ist, arbeiten er und die meisten anderen Hersteller von Laborfleisch an pflanzlichen Ersatzstoffen. Wie das genau aussehen könnte, ist noch nicht klar. Mayr verspricht aber: «Wir werden keine Produkte auf den Markt bringen, bei denen Kälberserum zum Einsatz kommt.» In gewissen Prozessschritten sei das leider noch notwendig.

Und dann bleibt die Frage aller Fragen: Beisst der Konsument an? Eine Umfrage, die Mirai Foods kürzlich mit der ETH gemacht hat, habe gezeigt, dass zwischen 20 und 30 Prozent der Befragten das Produkt sofort probieren würden. Untersuchungen in Deutschland und Frankreich kamen zu ähnlichen Resultaten. «Selbst wenn wir damit komplett danebenliegen und nur 5 Prozent der Fleischesser ab und zu Laborfleisch kaufen, winken Milliardenbeträge», so Mayr.

Aktuell ist Laborfleisch noch viel zu teuer für den Massenmarkt. Bei der ersten Lancierung 2023 werde ihr Fleisch noch in einer Preiskategorie mit High-End-Fleisch sein, sagt Mayr, also zwischen 100 und 200 Franken pro Kilo. Bis 2030 wolle man aber garantiert unter 50 Franken pro Kilo kommen, längerfristig sogar unter 10 Franken. Das sei dann «der Heilige Gral».

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