Zitronen, die nicht nach einer Woche schimmeln, Erdbeeren, die nicht gleich matschig werden, Gurken, die auch ohne Plastik knackfrisch auf dem Teller landen: Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Doch mehrere Firmen arbeiten an entsprechenden Lösungen für unsichtbare Schutzschichten.

Die Migros bringt nun als erste Schweizer Detailhändlerin Avocados mit einer solchen pflanzlichen Zusatzschicht auf den Markt. Sie arbeitet dafür mit dem von Bill Gates unterstützten kalifornischen Start-up Apeel zusammen. Die Avocados werden per sofort in den Filialen der Genossenschaft Ostschweiz angeboten.

Bei erfolgreichem Verlauf werde eine Ausweitung auf weitere Genossenschaften und weitere Früchte und Gemüse geprüft. In einem nächsten Schritt wäre die Anwendung von Apeel bei Zitrusfrüchten denkbar, sagt ein Sprecher zum Beobachter.

Auch die Migros-Tochter Denner nehme die Avocados von Apeel testweise ins Sortiment auf, zunächst in Filialen in den Kantonen Aargau, Bern, Basel-Stadt, Baselland und Solothurn.

Die Luft bleibt draussen

Das sogenannte Coating von Apeel ist eine hauchdünne, essbare Schicht, die zum Schutz auf Früchte und Gemüse gespritzt wird. Sie soll die Haltbarkeitszeit verdoppeln oder gar verdreifachen – und macht es möglich, Frischware ohne Plastikverpackung zu verkaufen.

Die Produkte verlieren mit dem Coating weniger Wasser, und weniger Sauerstoff dringt ein. So wird der Zersetzungsprozess verlangsamt, die Ware bleibt länger frisch – nicht nur im Laden, sondern auch bei den Kundinnen und Kunden zuhause, wie die Migros schreibt.

Die neuartigen Schutzschichten wie die von Apeel bestehen aus pflanzlichen Materialien, meist aus Abfällen wie Traubenkernen, Stielen und Samen. Sie sind geruch- und geschmacklos, und man fühlt sie nicht – anders als bei Wachs, das ebenfalls als Konservierungsmittel verwendet wird. Die pflanzliche Schutzschicht könne problemlos konsumiert werden, so die Migros. Apeel hat bereits für 30 Sorten Rezepturen entwickelt, etwa für Avocados, Heidelbeeren, Pfirsiche, Tomaten. Denn jedes Produkt verdirbt anders.

2,8 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in der Schweiz pro Jahr im Abfall.

Mit der unsichtbaren Schutzschicht könnte nicht nur bei Gurken der Plastikmüll reduziert werden. Das Potenzial ist riesig, zeigt eine Studie des Konsumentenschutzes vom letzten Jahr: 83 Prozent des Bio-Gemüses sind in Plastikfolien eingepackt.

Die Coatings dürften aber vor allem gegen Foodwaste helfen, weil umhüllte Lebensmittel länger haltbar bleiben. In der Schweiz fallen pro Jahr 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle an. Das Magazin «Forbes» spricht sogar von einer «potenziellen Lösung für den Hunger auf der Welt».

In Deutschland verkaufen Detailhändler wie Edeka und Rewe bereits seit längerem Lebensmittel mit Coatings. Edeka hat Avocados, Orangen und Clementinen mit der Apeel-Schutzschicht im Regal, Konkurrent Rewe verkauft Avocados mit Schutzhüllen auf Fruchtzuckerbasis der britischen Firma Agricoat Natureseal. Detailhändler in Dänemark und Grossbritannien haben ebenfalls erste Produkte mit «zweiter Haut» auf den Markt gebracht.

Weniger Pestizide

Die Migros arbeitet neben Apeel auch mit dem Schweizer Start-up Agrosustain zusammen, einem Spin-off der Universität Lausanne. Die neuen Coating-Verfahren seien insbesondere für schnell verderbliche Früchte und Gemüse interessant, sagt ein Migros-Sprecher. Ziel sei es, die Haltbarkeit der Produkte zu optimieren und Foodwaste zu reduzieren – aber auch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Denn ein weiterer Nebeneffekt der Coatings ist laut Herstellern, dass weniger Pestizide eingesetzt werden müssen.

Auch Coop testet das Verfahren – man will aber nicht verraten, mit welchen Partnern. Bei Aldi Suisse heisst es, man arbeite mit den Lieferanten daran, den Einsatz in der Schweiz bald zu testen. Konkurrent Lidl Schweiz beobachtet das Thema Schutzfilme immerhin «mit grossem Interesse».

Die Schutz­schicht wird aus Traubenkernen gewonnen. Oder aus dem Panzer von Insekten und Krustentieren.

Verpackungsexperte Selçuk Yildirim von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) sieht beim Coating auch Potenzial für Nicht-Frischwaren. Auch er arbeitet mit seinem Team an innovativen Verpackungen. Das sei wichtig. Dann müsste man Kaffee nicht mehr in Alu- und Plastikkapseln verkaufen und so tonnenweise Abfall produzieren, sagt er. Man könnte auch mit biologisch abbaubaren Hüllen arbeiten.

Für ihre Coatings nutzen die ZHAW-Forschenden Abfallprodukte wie Kaffeesatz sowie Schalen von Kartoffeln und Kakaobohnen. Daraus extrahieren sie Substanzen für Verpackungen. Aus dem Panzer von Krustentieren und Insekten haben sie Chitosan gewonnen und damit eine unsichtbare Schutzschicht für Lebensmittel getestet. Chitosan-Schichten seien antibakteriell und biologisch abbaubar.

Corona macht neue Untersuchungen nötig

Coatings funktionieren aber nicht für alle Produkte. «Fleisch zum Beispiel kann man nicht beschichten. Das muss in einer festen Verpackung verkauft werden, die Schutzgase enthält. Nur so bleibt es möglichst lange haltbar», sagt Selçuk Yildirim. Und Beeren müsse man mit stabilen Verpackungen für den Transport schützen.

Wegen der Corona-Pandemie werde es jetzt zusätzlich notwendig, zu untersuchen, wie hygienisch diese Hüllen sind, so Yildirim. Offen sei zum Beispiel, ob Mikroorganismen oder Viren besser auf Coatings haften als auf der unbeschichteten Frucht oder auf Plastik.

Plastik besser recyceln

Plastik boomt im Moment auch genau wegen seiner schützenden Eigenschaften. Verpackte Früchte und Gemüse scheinen in Pandemiezeiten plötzlich wieder Vorteile gegenüber lose verkauften Waren zu bieten.

Plastik habe zu Unrecht ein derart schlechtes Image, sagt Yildirim. Es sei ein gutes Material, um Qualität und Haltbarkeit von Lebensmitteln sicherzustellen. Das Problem sei die Entsorgung. «Wir brauchen weltweit einen besseren Umgang mit Plastik, bessere Wiederverwertungs- und Recyclingsysteme.» Es gebe zwar bereits Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen als Alternative. Das mache bis heute aber nur einen kleinen Teil des verwendeten Plastiks aus.

Das grössere Problem sei, dass in vielen Ländern Verpackungen gänzlich fehlten und dadurch die Lebensmittelverschwendung enorm sei. «Auch hier könnten die einfach aufzutragenden Coatings das Problem entschärfen.»

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Wie steht es um die Ökobilanz von Verpackungen? Nachhaltigkeitsexperte Fredy Dinkel klärt auf.
Quelle: Beobachter Bewegtbild
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