Paul Barmettler sagt: «Käser sind Künstler.» Da passt es, dass er zur Harfe greift, sobald die Minutenanzeige auf 35:00 fällt. Vor gut einer halben Stunde hat der gross gewachsene Mann im weissen Shirt das Lab in den gewaltigen Kupferkessel geleert. In die 1500 Liter Rohmilch, bereits auf 31,5 Grad vorgewärmt und mit Milchsäurebakterien geimpft. Die Kulturen bewirken, dass sich der Zucker in der Milch zu Säure wandelt; das macht später den Käse lagerfähig. Das Lab, ein Enzym aus dem Kälbermagen, lässt die Milch gerinnen.

Wenn das Lab drin ist, beginnt in der Käserei auf der Nidwaldner Alp Bleiki eine Digitaluhr zu laufen, gut sichtbar in der Mitte des Raums. Es ist feuchtwarm, Geräte brummen, übertönt von der Musik aus dem aufgedrehten Radio. «I’m still standing» von Elton John. Barmettler steht, sein Kontrollblick wechselt von der Uhr zum Thermometer über dem Chessi, aber für den entscheidenden Moment sind die technischen Hilfsmittel nur Beigemüse. «Jetzt ist Fingerspitzengefühl gefragt.»

Der entscheidende Moment: der Bruch – das Verschneiden der unterdessen geronnenen, joghurtartigen Masse. Wenn das zu früh oder zu spät geschieht, leidet die Qualität des Endprodukts. Paul Barmettler trennt mit der Harfe die Käsekörner von der Flüssigkeit ab. Je länger er mit dem Schneidewerkzeug rührt, umso kleiner werden die Körner. Hier sind sie nach achtminütigem Rühren sozusagen extraklein, denn der Käse soll extrahart werden: auf der Bleiki wird Alpsbrinz hergestellt.

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Würzige Kräuter von «hiä obä»

Der Arbeitstag von Paul Barmettler und Eric Staub, dem angestellten Jungkäser, beginnt um halb sechs. Dann kümmern sie sich ums Ausgangsprodukt, die tagesfrische Milch. Barmettler hat 25 Kühe, die auf den Weiden rund um den Hof grasen, 20 Hektar Land. Dazu steuern sieben Bauern aus der Umgebung Milch bei. Ein Teil der Kannen schwebt in einer offenen Seilbahn vom Dorf Niederrickenbach auf die 1'400 Meter hoch gelegene Alp. Mit dem verwitterten Bähnli ist der Bub Paul früher zur Schule gefahren. Mit neun Geschwistern ist er auf der Bleiki aufgewachsen.

Paul Barmettler im Käsekeller auf der Alp Bleiki Sbrinz.

Der Nidwaldner Paul Barmettler käst bereits in der fünften Generation seiner Familie, und das schon seit 31 Jahren.

Quelle: Flurin Bertschinger

Verkäst wird Milch von 180 Kühen, die nur das Gras von «hiä obä» fressen, sagt Paul Barmettler. Die Kräuter auf der Alp sorgen für die Würze – Milch aus dem Tal schmeckt anders. Der 55-Jährige bewirtschaftet selber einen Talbetrieb, in Oberdorf. «Ich wohne immer dort, wo meine Kühe sind.» Heisst: im Winter unten, zwischen Mai und Oktober oben. Dieses Jahr waren sie spät dran. Der viele Schnee blieb lange liegen und bremste das Gras. Erst nach Pfingsten teilte Barmettler im Singsang seines Nidwaldner Dialekts dem Beobachter mit: «Es wird langsam farbig hiä obä.»

Ganz ohne Fitnessklub

Der Alpsbrinz ist eine von vier Sorten aus der Bleiki-Käserei. Jährlich gibt es sechs bis acht Tonnen Sbrinz, die grösstenteils im Detailhandel abgesetzt werden. 40 bis 50 Laibe verkauft Barmettler selber. In einem Laib stecken 500 Liter Milch, jeder wiegt am Schluss um die 40 Kilo. Für seine kräftigen Arme braucht der Käser kein Fitnessstudio.

Heute sind die Laibe Nummer 7 bis 9 der Saison an der Reihe. Wieder wechselt der Blick vom Thermometer zur Uhr und zurück. Der Bruch ist erfolgt, nun werden die Käsekörner im Kessel gerührt und über 40 Minuten langsam bis auf 55 Grad aufgeheizt. Die vergleichsweise hohe Temperatur entzieht dem Käse weiteres Wasser, nur so lässt sich die gewünschte Extrahärte erreichen.

Minute 85:00. Zeit, das Chessi auszupumpen. Die Käsemasse ist jetzt fest genug, um sie in die drei Formen der Wendepresse abzufüllen. Durch die Löcher im Boden fliesst die Molke ab. Bevor die Presse angesetzt wird, markiert der Käser die drei entstehenden Laibe: Jahrgang und Nummer, Zulassungsnummer des Betriebs. Alles, was 6192 trägt, kommt von der Alp Bleiki.

Der Alarm bleibt stumm

Das Pressen ist auch eine Qualitätskontrolle. «Wenn die Molke nicht gut durchläuft, schellen bei mir die Alarmglocken», sagt Paul Barmettler. Das wäre ein Zeichen, dass ihn das Fingerspitzengefühl im Stich gelassen hätte: zu lange gewartet mit dem Verschneiden. Mit den Laiben Nummer 7 bis 9 ist aber alles in Ordnung. Gutes Gefühl.

Der frische Käse bleibt bis am nächsten Morgen in der Presse. Die Maschine wendet die drei Laibe regelmässig, sonst kann daraus kein Sbrinz werden: erst alle 20 Minuten, dann noch alle zwei Stunden, noch einmal in der Nacht. Nach viel Handwerk ist jetzt also ein Automat am Zug. Eine Pause gibt es für die Käser aber nicht. Jetzt wird gewaschen, was vorher gebraucht wurde – der Kupferkessel, die Rührgeräte, die Laibformen. Zehn Kubikmeter Wasser werden jeden Tag verbraucht.

Zweijähriger Sbrinz von der Alpkäserei der Familie Barmettler

In der Schweiz wird noch in 27 Käsereien Sbrinz gemacht, acht davon sind Alpkäsereien.

Quelle: Flurin Bertschinger

Käser Barmettlers Sbrinz trägt als Zusatz das Kürzel AOP. Das Label schützt den geografischen Ursprung und die Qualität von Lebensmitteln, die in traditioneller Manier hergestellt werden. In der Schweiz wird noch in 27 Käsereien Sbrinz gemacht, acht davon sind Alpkäsereien. Paul Barmettler käst bereits in der fünften Generation seiner Familie am Fuss des Buochserhorns, und das auch schon seit 31 Jahren. Die Wendepresse war damals seine erste Investition in den Betrieb. «Ohne diese Erneuerung hätte ich gar nicht erst angefangen.» Eine Käserlehre hat er nie gemacht, er ist reingewachsen ins Handwerk, das ihm der Vater gezeigt hat.

«Das liegt bei uns im Blut»

Ob es eine sechste Generation gibt, ist noch offen. Paul und Agnes Barmettler, sie betreut den Verkauf der Produkte, haben drei erwachsene Kinder. Reto, der Jüngste, wird dereinst den Hof übernehmen. Die Käserei auf der Alp ist nur eine Option. Die Töchter Karin und Nicole sind im kaufmännischen Bereich tätig – beide in Betrieben, die mit Landwirtschaft zu tun haben. «Das liegt bei uns im Blut», sagt der Papa.

Laib 7 bis 9 haben derweil die meisten Herstellungsschritte durchlaufen – die längsten stehen ihnen noch bevor: das Reifen und Lagern. Am Morgen nach dem Pressen geht es ins Salzbad. Es dauert beim Sbrinz 20 Tage, länger als bei jedem anderen Schweizer Käse. Das Salz entzieht dem Käse weitere Molke und wandert langsam in den Käseteig; so wirkt es als Aromaträger. Anschliessend folgt für rund drei Wochen das Schwitzlager: 16 Grad warm, 75 Prozent Luftfeuchtigkeit. In diesem Klima bildet sich an den Laiben ein Fettfilm, der den Käse praktisch versiegelt – eine optimale Voraussetzung, damit sich in den folgenden Monaten der typisch würzige Sbrinz-Geschmack entwickeln kann.

«Sbrinz wird oft übersehen. Aber wer ihn einmal ­probiert, hat ihn gern.»

Paul Barmettler, Käser

18 Monate muss der Käse schliesslich im trockenen Lager ausreifen, ehe er als Sbrinz AOC verkauft werden kann. Nun gibt es für den Käser nicht mehr viel zu tun. Sbrinz sei pflegeleicht, findet Paul Barmettler: «Ich kann ihn einfach stehen lassen, und er wird nur noch besser.» Bis zu vier, sogar fünf Jahre kann ein Sbrinz liegen bleiben.

1363 Tonnen Sbrinz wurden im vergangenen Jahr verkauft. Das ist nur ein Bruchteil seines italienischen Verwandten, des Parmesans. Der ist für Paul Barmettler nicht besser, sondern einfach besser vermarktet. «Sbrinz wird oft übersehen. Aber wer ihn einmal probiert, hat ihn gern.»

Wie mag er ihn am liebsten? Als Möckli, mit einem Glas Wein. «Aber ich bin kein riesiger Käseesser», sagt Barmetter, der Käser mit Leib und Seele.

Woher kommt der Name Sbrinz?

Der Sbrinz ist der Käse der Innerschweiz – produziert wird er praktisch ausschliesslich in den Kantonen Luzern, Schwyz, Ob- und Nidwalden sowie Zug. Sein Name kommt hingegen aus dem Berner Oberland: aus Brienz. Dort war im 16. und 17. Jahrhundert ein Sammelplatz für Schweizer Alpkäse, der von Säumern nach Oberitalien gebracht wurde. Die dortigen Kunden nannten den beliebten Hartkäse nach seinem Auslieferungsort bald «lo sbrinzo».

Der Begriff setzte sich dann auch in der Schweiz durch. Der Saumpfad über Grimsel- und Griespass nach Domodossola wird noch heute als Via Sbrinz bezeichnet und als historischer Verkehrsweg gepflegt.

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Rezepte: Was tun mit Sbrinz?

Der Hartkäse aus der Innerschweiz kann in drei Darreichungsformen genossen werden: gebröckelt, gehobelt oder gerieben. Dazu je ein Rezept.

 

APERO: Sbrinz-Möckli mit Apfel-Honig-Chutney

Als Extrahartkäse sollte Sbrinz nicht geschnitten werden – besser ist, kleine «Möckli» herauszubrechen. Das geht umso einfacher, je länger der Käse gereift ist: Mit zunehmendem Alter verliert er an Wasser und wird brüchiger – und zudem würziger im Geschmack. Dieser kommt besonders gut zum Tragen, wenn die Sbrinz-Brocken zusammen mit einer süss-sauren oder süss-scharfen Beilage serviert werden.

Zutaten

  • 3 EL Kräuteressig
  • 3 EL Wasser
  • 1 rotschaliger Apfel, entkernt, gewürfelt
  • 2 Schalotten, geviertelt
  • 1 kleiner roter Chili, entkernt, in feinen Streifen
  • ½ TL rosa Pfefferkörner
  • 50 g Akazienhonig
  • 200 g Sbrinz-Möckli
     

Zubereitung

  • Essig und alle Zutaten, ausser Honig und Käse, in einer Pfanne mischen. Aufkochen, dann Hitze reduzieren und unter gelegentlichem Rühren ca. 30 Minuten köcheln lassen, bis die Masse dickflüssig ist.
  • Honig unter das Chutney mischen, lauwarm mit den Sbrinz-Möckli servieren.

 

VORSPEISE: Linsensalat mit Speck und Sbrinzrollen

Zum Hobeln eignet sich vor allem der «junge» Sbrinz, der 18 bis 24 Monate gereift ist. Dann ist der Wassergehalt noch vergleichsweise hoch, der Käse lässt sich gut rollen und zerfällt nicht.

Zutaten (für 4 Personen):

  • 150 g grüne Linsen
  • 4 dl Wasser
  • 1 Schalotte
  • 70 g Bratspeck
  • ½ Mango
  • 2 EL Nussöl
  • 3 EL Aceto balsamico bianco
  • 50 g Rucola
  • 100g Sbrinz-Rollen
     

Zubereitung

  • Linsen im Wasser zugedeckt ca. 20 Minuten weich kochen. Schalotte hacken. Speck in 1 cm breite Streifen schneiden. In einer Bratpfanne ohne Fettzugabe Speck und Schalotte ca. 2 Minuten dünsten. Mango vom Stein trennen und Fruchtfleisch in 5 mm grosse Würfelchen schneiden. Linsen mit Speck und Mango mischen.
  • Öl und Essig dazugeben. Mit Salz und Pfeffer würzen. Rucola und Linsen anrichten und mit den Sbrinz-Rollen belegen.

 

HAUPTGANG: Älplermagronen mit geraffeltem Sbrinz

Ein Klassiker mit einer raffinierten Variante bei der Wahl des Käses: Sbrinz statt Gruyère. Ein entscheidendes Detail, erzählt Paul Barmettler, der Käser von der Alp Bleiki: «Wenn wir bei Älplermagronen mal einen anderen Käse probiert haben, haben die Kinder immer reklamiert.»

Zutaten (für 4 Personen)

  • 2 Zwiebeln
  • ½ EL Mehl
  • 2 EL Rapsöl
  • 1 EL Butter
  • 250 g festkochende Kartoffeln
  • 350 g Maccheroni
  • 2 dl Halbrahm
  • 250 g geraffelter Sbrinz
     

Zubereitung

  • Zwiebeln in feine Ringe schneiden. Mehl darüberstreuen und gut durchmischen. Öl und Butter in einer Bratpfanne erhitzen, Zwiebeln darin bei mittlerer Hitze ca. 10 Minuten knusprig braten. Herausnehmen und auf Haushaltspapier abtropfen lassen.
  • Kartoffeln in daumennagelgrosse Würfel schneiden. In viel Salzwasser 5 Minuten kochen. Maccheroni dazugeben, alles 8 bis 10 Minuten knapp weich kochen. Abgiessen und gut abtropfen lassen, zurück in die Pfanne geben.
  • Geraffelten Sbrinz mit dem Rahm zu den Teigwaren geben. Bei ausgeschalteter Herdplatte zugedeckt ca. 5 Minuten durchziehen lassen, bis der Käse geschmolzen ist.
  • Mit Pfeffer abschmecken und Zwiebeln darüberstreuen.
  • Dazu passt Apfelmus.

 

Quellen: Migusto, SMP Schweizer Milchproduzenten

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Dani Benz, Ressortleiter
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