Es ist wohl einem aufmerksamen Journalisten der «Thurgauer Zeitung» zu verdanken, dass der Fall ins Rollen kam: Mitte Januar veröffentlichte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) seine wöchentlichen Zahlen zu meldepflichtigen Krankheiten.

Dem Bulletin fügte das Amt einen Abschlussbericht über einen grösseren Listerienausbruch Listerien Tod durch geräucherten Fisch bei, der sich Anfang Juli 2022 in einer Thurgauer Fischräucherei ereignet hatte. Listerien sind Bakterien, die für Menschen mit geschwächtem Immunsystem mitunter zu tödlichen Folgeerkrankungen führen können. Auch für Schwangere sind sie gefährlich.

Der Thurgauer Journalist las das Bulletin, in dem der Betrieb nicht namentlich genannt wurde, stellte aufgrund der Lokalkenntnisse aber sofort den Zusammenhang her und titelte anderntags: «Kontaminierter Räucherfisch aus dem Kanton Thurgau führte höchstwahrscheinlich zu einem Todesfall». Denn in der Statistik führte das BAG auf, dass eine Person mit grosser Wahrscheinlichkeit an der Listerienerkrankung gestorben ist. Sie war erkrankt, nachdem sie geräucherte Forelle der Thurgauer Produktionsstätte gegessen hatte.

Thurgauer Staatsanwaltschaft wurde über Listerien-Todesfall nicht informiert

Damit ist klar: Es handelt sich um einen aussergewöhnlichen Todesfall, und jemand ist möglicherweise verantwortlich für den Tod. Die Staatsanwaltschaft ist also verpflichtet, wegen fahrlässiger Tötung zu ermitteln und zu klären, ob die Firma, die den Fisch verarbeitet hat, Fehler gemacht hat.

Nur: Die Thurgauer Staatsanwaltschaft wusste von nichts. Sie erfuhr aus der Zeitung vom Todesfall und leitete umgehend Ermittlungen ein, wie Mediensprecher Fabian Mörtl gleichentags auf Anfrage sagte. «Wir hätten uns gewünscht, wir hätten auf dem Amtsweg davon erfahren.»

Wie ist es möglich, dass bei einem so schwerwiegenden Verdacht nur durch Zufall ermittelt wird? Immerhin drohen den Verantwortlichen der Fischräucherei im Falle einer Verurteilung bis zu drei Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe, wobei die Strafe meist auf Bewährung ausgesprochen wird bei Personen, die sich noch nie etwas haben zuschulden kommen lassen.

Ärzte müssen das BAG über Listerienfälle informieren

Warum hat das BAG, das ja offensichtlich vom Todesfall wusste, die Thurgauer Strafverfolgungsbehörden nicht über den aussergewöhnlichen Todesfall informiert? «Wir haben weder eine gesetzliche Pflicht noch die Kompetenz, die Strafverfolgungsbehörden zu informieren», schreibt das BAG auf Anfrage.

Das BAG hat die Pflicht, die Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten zu schützen. Darum sind Ärztinnen und Labore verpflichtet, zu melden, wenn jemand an einer solchen erkrankt. Bei Erregern, die über Lebensmittel übertragen werden Fondue Chinoise Genuss ohne Nachwirkungen , informiert das BAG darum umgehend auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), damit die betroffenen Produkte möglichst schnell aus dem Verkehr gezogen werden können und sich keine weiteren Personen anstecken. Die 

Mediziner ihrerseits müssen das BAG über den weiteren Krankheitsverlauf der Betroffenen informieren, insbesondere, wenn sich Komplikationen ergeben oder die Person verstirbt.

Kantonschemiker stoppte Fischproduktion

Dieser erste Teil der Informationskette hat bei den Thurgauer Räucherforellen einwandfrei funktioniert. Anfang Juli 2022 wurde dem BAG eine ungewöhnlich hohe Zahl von Listeriose-Erkrankungen gemeldet. Um die Quelle der Erkrankungen zu finden, liess das BAG die Proben der Erkrankten genetisch untersuchen. Es stellte fest, dass sich alle mit dem gleichen Erregerstamm infiziert hatten. Zusätzlich wurden die Betroffenen zu ihren Essgewohnheiten befragt. Die Ergebnisse dieser Befragung führten das BAG zur Thurgauer Fischräucherei.

Nachdem das BAG das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) informiert hatte, leitete dieses die Information an das Thurgauer Kantonslabor weiter. Proben aus dem Betrieb bestätigten den Verdacht, worauf die Produktion stillgelegt und die Fische zurückgerufen wurden. Wie in solchen Fällen üblich, reichte der Thurgauer Kantonschemiker bei der Thurgauer Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Widerhandlung gegen das Lebensmittelgesetz ein. Wie er auf Anfrage sagt, wusste auch er zu diesem Zeitpunkt nichts vom Todesfall.

Offenbar kein interkantonaler Austausch

Stirbt eine Person an Listerien, muss der Arzt, der den Tod feststellt, der Staatsanwaltschaft des jeweiligen Kantons einen aussergewöhnlichen Todesfall melden. Stirbt die Person im gleichen Kanton, in dem die Lebensmittelverunreinigung stattfand, ist also sichergestellt, dass die Staatsanwaltschaft weiss, wo sich die Person angesteckt hat, und nimmt die Ermittlungen auf.

Doch was, wenn eine Person aus einem anderen Kanton nach dem Konsum des Thurgauer Fischs stirbt? Woher wissen dann die Strafverfolger, wo sich die Person infiziert hat? Sie haben weder Zugang zu den Daten des BAG, noch wissen sie, dass sie den Fall an die Thurgauer Staatsanwaltschaft übergeben müssen. Denn Straftaten werden immer in dem Kanton untersucht, wo sie begangen werden.

Dass die Thurgauer Staatsanwaltschaft nicht über den Listerien-Todesfall informiert wurde, deutet aber darauf hin, dass die betroffene Person nach dem Fischkonsum in einem anderen Kanton verstarb.

Wie Fabian Mörtl von der Thurgauer Staatsanwaltschaft sagt, sind seine Juristen zwar verpflichtet, «anderen zuständigen Behörden» zu melden, wenn in einem Strafverfahren klar wird, dass «andere als strafrechtliche Massnahmen» in Frage kommen. Weitere Vorschriften, insbesondere für Todesfälle im Zusammenhang mit meldepflichtigen Krankheiten, gebe es aber nicht. Wenn die Informationskette nicht funktioniert und die Staatsanwaltschaft keinen Verursacher für die mutmassliche fahrlässige Tötung findet, wird das Verfahren mit grosser Wahrscheinlichkeit irgendwann eingestellt, wie eine andere Staatsanwältin auf Anfrage sagt. Es müsste sich also niemand für den Todesfall verantworten.

Ob es hier eine Lücke im System gibt, ist unklar. Dass die Thurgauer Staatsanwaltschaft nicht über den Listerien-Todesfall informiert wurde, deutet aber darauf hin, dass die betroffene Person nach dem Fischkonsum in einem anderen Kanton verstarb – und der Informationsaustausch über die kantonalen Grenzen hinweg nicht funktioniert hat.

Schwyzer Staatsanwaltschaft erfuhr vom BLV von zehn Todesfällen

Auch beim letzten grösseren Listerienausbruch war es dem Zufall zu verdanken, dass die zuständige Staatsanwaltschaft davon erfuhr: Zwischen 2018 bis 2020 erkrankten 34 Personen am gleichen Erregerstamm, 10 Personen starben. Der Herd der Listerienverunreinigung konnte lange nicht ausfindig gemacht werden. Als endlich klar wurde, dass ein Brie aus einer Käserei im Kanton Schwyz die Infektionsquelle war, waren die Todesfälle beim Informationsaustausch zwischen dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) bereits bekannt.

Damit das BLV seiner Aufgabe nachkommen konnte, die Gesundheit von Konsumentinnen und Konsumenten vor unsicheren Lebensmitteln zu schützen, war es also befugt, den Kantonschemiker der Urkantone über die Todesfälle zu informieren.

Der Kantonschemiker seinerseits hatte die Pflicht, neben seiner Kontrolltätigkeit auch eine Strafanzeige wegen Widerhandlung gegen das Lebensmittelgesetz einzureichen – und informierte die Staatsanwaltschaft über die Todesfälle. Wären die zehn Personen erst verstorben, nachdem der Kantonschemiker den Betrieb kontrolliert und die Gefahr eliminiert hatte, hätte vielleicht nie jemand versucht, zu klären, ob jemand die Verantwortung für die Todesfälle trägt.

Unklar bleibt, wie viele solche Fälle nicht untersucht werden, Zahlen dazu gibt es nicht. Grundsätzlich könnten sich ähnliche Fälle auch bei anderen, über Lebensmittel übertragbare Krankheiten wie Salmonellen ereignen.

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