Auf Twitter und Facebook kennt der 48-Jährige kein anderes Thema als Jolanda Spiess-Hegglin und die Zuger Landammannfeier 2014. Er soll über zwei Dutzend Social-Media-Kanäle und mehrere Blogs haben, auf denen er sich und seiner Meinung Luft verschafft. Die Botschaft ist simpel und seit Jahren die gleiche: Jolanda Spiess-Hegglin sei eine Lügnerin. Sie behaupte zu Unrecht, damals Opfer eines sexuellen Übergriffs durch einen Ratskollegen geworden zu sein. 

Dass andere Personen – etwa der Weltwoche-Journalist Philipp Gut – wegen dieser Aussage eine Verurteilung wegen übler Nachrede kassiert haben, bringt ihn nicht von seiner Meinung ab. Jolanda Spiess-Hegglin dokumentiert die verbalen Angriffe seit 2016. Sie hat den Mann wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung eingeklagt Cyberstalking Und täglich postet der Hater . Und bekommt jetzt vom Bezirksgericht Hinwil recht.

2000 Franken Genugtuung

Dass der Mann oft anonym in Erscheinung tritt, hat ihn nicht vor einer Genugtuungszahlung von 2000 Franken bewahrt. Denn: Das Gericht ist davon überzeugt, dass er hinter Tausenden von Posts steckt. Zum einen, weil sich diese «hinsichtlich des Sprachduktus und der Rechtschreibfehler» sowie des Inhalts ähneln. Und zum anderen, weil sie jeweils fast zeitgleich abgesetzt wurden. 

Zwar räumt das Bezirksgericht ein, dass viele seiner Kommentare – obschon von «kritisch-angriffiger Natur» – für sich allein die Schwelle zum Stalking nicht überschreiten. Die Meinungsfreiheit schütze das Recht eines jeden, sich in der Öffentlichkeit kritisch über andere Personen zu äussern, schreibt die Einzelrichterin in ihrer Begründung. Und weil sich Jolanda Spiess-Hegglin selbst im Gespräch halte, müsse sie sich auch kritische Rückmeldungen in grösserer Zahl gefallen lassen. Das sei aber kein Freipass: Die Vehemenz, mit welcher der Mann seine Überzeugungen vorbringt, überschreitet «jedes sozial übliche und erträgliche Mass», wie es im Urteil heisst. 

Kein generelles Redeverbot

Der Mann kontaktierte zudem eine Vielzahl von Personen und Institutionen, mit denen Jolanda Spiess-Hegglin zu tun hatte. Aus Sicht der Bezirksrichterin nur mit einem Ziel: sie anzuschwärzen sowie sozial und wirtschaftlich zu schädigen. «Sein Vorgehen erscheint durchaus kreativ, aber auch unberechenbar», konstatiert sie. Die Klägerin habe nie wissen können, was als Nächstes kommt. Auch wenn der Mann selten Anlass gab, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, sei es doch plausibel, dass er mit der schieren Masse seiner Posts und sonstigen Aktivitäten bei seinem Opfer Angst oder zumindest Beklemmung ausgelöst habe.

Für das Bezirksgericht Hinwil ist deshalb klar: Es handelt sich um eine fortbestehende Persönlichkeitsverletzung, die unterbunden werden muss. Allerdings nicht, indem dem Mann sechs Jahre lang generell verboten wird, sich über Jolanda Spiess-Hegglin zu äussern. Das Gericht bleibt beim weniger einschneidenden Antrag der ehemaligen Zuger Grünen-Kantonsrätin Spiess-Hegglin. Heisst: Dem Mann wird lediglich verboten, die Netzaktivistin der Lüge oder der falschen Beschuldigung zu bezichtigen. Ein grundsätzliches Äusserungsverbot sei im Lichte der Meinungsäusserungsfreiheit nicht vertretbar. Insbesondere soll dem Mann nicht die Möglichkeit genommen werden, auf Äusserungen von Jolanda Spiess-Hegglin zu reagieren, die an ihn selbst gerichtet sind. 

Hält sich der Mann nicht an das Verbot, droht ihm eine Busse. Allerdings muss die Netzaktivistin ihn hierfür anzeigen. Das Verhängen einer automatischen Busse von 1000 Franken pro Tag im Widerhandlungsfall erachtet das Bezirksgericht als nicht verhältnismässig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann angefochten und ans Obergericht Zürich weitergezogen werden. 

Potenzial zum Leiturteil

Sollte der Entscheid rechtskräftig werden, könnte er für Stalkingopfer allgemein ein Hebel werden, sich gegen verbale Angriffe im Netz zu wehren. Das Bezirksgericht hält nämlich fest, dass auch indirekte Äusserungen über eine Person zur Stalkingmethode werden können, wenn sie eine gewisse Intensität erreichen. Auch ohne direkte Kontaktaufnahme handelt es sich aus Sicht des Gerichts um eine Nachstellung im Sinne des Zivilgesetzbuchs.

Setzt sich diese Rechtsauffassung durch, könnten auch betroffene Prominente wie Luca Hänni beantragen, dass ihren Stalkerinnen verboten wird, rufschädigende Äusserungen über sie zu verbreiten. Wie der «Blick» berichtet, hat der Musiker eine Stalkerin, die seit Jahren Werbepartner und Konzertveranstalter kontaktiert, um ihn und seine Partnerin schlechtzumachen.