Neu sollen Gerichte einen Verwahrungsvorbehalt ins Urteil schreiben können, wenn sie einen über 16-jährigen Jugendlichen wegen Mordes verurteilen. Das hat das Parlament beschlossen. Will heissen: Wenn die Person nach Ablauf der Strafe noch als gefährlich eingeschätzt wird, wird sie verwahrt. Die vorberatende Kommission des Ständerats hatte Strafrechtlerin Marianne Heer dazu als Expertin befragt. 

Frau Heer, welche Haltung haben Sie in der vorberatenden Kommission vertreten?
Ein Verwahrungsvorbehalt für 16-Jährige ist rechtlich gesehen ein absoluter Nonsens. Die Regelung ist rechtswidrig, sie verstösst gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, das ist glasklar. Deutschland kannte die nachträgliche Verwahrung früher, musste sie aber nach einem Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wieder abschaffen. 

Warum?
Aus Sicht des Gerichts in Strassburg besteht bei einer nachträglichen Verwahrung kein genügend enger Zusammenhang mehr zum ursprünglichen Delikt, der eine so einschneidende Massnahme rechtfertigen würde. Es ist keine seriöse Gesetzgebung, die Justiz mit Regelungen zu belasten, von denen bekannt ist, dass sie von oberen Instanzen aufgehoben werden. 

«Nur in einem einzigen Fall ist eine lebenslängliche Verwahrung rechtskräftig geworden.»

Wie werden die Gerichte damit umgehen?
Ich habe den Verdacht, dass das Gleiche passieren wird wie bei der lebenslänglichen Verwahrung. Die Gerichte nehmen ihre Verantwortung wahr, indem sie die Massnahme schlicht nicht anordnen – im Wissen, dass der Entscheid in Strassburg ohnehin aufgehoben würde. Es gab nur einen einzigen Fall, in dem eine lebenslängliche Verwahrung rechtskräftig geworden ist. Und das lag daran, dass der Betroffene ein erstinstanzliches Urteil nicht angefochten hat. Alle anderen Fälle sind in der zweiten Instanz oder spätestens vor Bundesgericht abgestürzt. 

Also wird der Entscheid des Parlaments einfach nicht umgesetzt?
Ich vermute es. Deshalb sage ich: Es ist Unsinn, so ein Gesetz zu schaffen, nur weil sich ein Politiker profilieren will. 

Wenn es so kommt, wie Sie sagen, dann ist es in der Praxis ja ohnehin kein Unterschied.
Klar könnte man sagen, es ist egal. Aber dass das Parlament einer Verwahrung von Jugendlichen zugestimmt hat, hat eine Signalwirkung an die Justiz. Die Staatsanwaltschaften werden Druck machen auf die Gerichte, indem sie argumentieren, dass der Volkswille umgesetzt werden müsse. Mit dem Entscheid verlangt das Parlament mehr Repression – ein Wunsch, dem die Gerichte gar nicht nachkommen können, weil die Regelung rechtswidrig ist. Das ist ein ungesunder Einfluss auf die Justiz. 

Der forensische Psychiater Frank Urbaniok hat in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» argumentiert, dass es ja auch ein Menschenrecht sei, nicht ermordet zu werden. Deshalb brauche es eine Güterabwägung. Hat er recht?
Wenn man sicher wüsste, dass jemand umgebracht wird, würde ich ihm recht geben. Aber man darf nicht vergessen: Die Massnahme stützt sich auf eine Prognose, die nur sehr schwer zuverlässig zu stellen ist – gerade bei Jugendlichen. Die Einschätzungen sind trotz verbesserten Prognoseinstrumenten grundsätzlich sehr schwer vorzunehmen, schon gar nicht bei jungen Menschen, die noch in der Entwicklung sind.

«Junge Verwahrte kommen in die hinterste Ecke einer Strafanstalt.»

Sind Sie grundsätzlich gegen Verwahrungen?
Wenn ein Mensch hoch gefährlich ist, gibt es unter Umständen keine Alternative, dann geht die öffentliche Sicherheit vor. Aber erstens lässt sich das in vielen Fällen nicht zuverlässig voraussagen. Und zweitens haben wir andere Massnahmen, bei denen eine betroffene Person nicht völlig aufgegeben wird, wie das bei einer Verwahrung der Fall ist. 

Was heisst es für junge Erwachsene, wenn sie verwahrt werden?
Sie kommen in die hinterste Ecke einer Strafanstalt. Sie werden nicht therapiert. Weil die Ressourcen knapp sind, konzentrieren sich die Vollzugsverantwortlichen auf die Gefangenen im Normalvollzug. Die haben die Chance, wieder auf freien Fuss zu kommen. Verwahrte hingegen verlassen das Gefängnis nicht mehr auf zwei Beinen. Sie werden lebenslang interniert, das sehen wir in der Praxis seit Jahren. Sie sterben entweder hinter Gittern oder kommen im besten Fall am Ende ihres Lebens ins Altersheim. Es ist unverantwortlich, einem jungen Menschen so etwas anzutun auf der Basis einer derart unzuverlässigen Grundlage. 

Aber Fakt ist, dass es eine Gesetzeslücke gibt. Nach geltendem Recht müssen jugendliche Straftäter entlassen werden, wenn sie 25 werden. Und zwar selbst dann, wenn sie für Dritte eine Gefahr darstellen. 
Es gibt in solchen Fällen keine Verwahrung, das stimmt. Aber es gibt die fürsorgerische Unterbringung. Die kann im Anschluss an eine Strafe angeordnet und immer wieder verlängert werden. Einfach gesagt: Man kann die jugendlichen Straftäter so lange unterbringen, wie man will. Der Unterschied: In diesem Setting werden sie intensiv begleitet und therapiert. 

«Fälle, in denen jugendliche Mörder erneut einen Mord begehen, sind extrem selten.»

Die Basler LDP-Nationalrätin Patricia von Falkenstein sagte dazu im Rat: «Diese fürsorgerische Unterbringung soll aber den Betroffenen vor sich selber schützen und ist nicht zulässig, wenn es darum geht, andere zu schützen.»
Das stimmt nicht. Ich finde es zwar falsch, aber das Bundesgericht hat mehrfach festgehalten, dass auch Fremdgefährdung ein legitimer Grund für die Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung ist. Die Selbstgefährdung ist zwar der ursprüngliche Zweck dieser zivilrechtlichen Massnahme, aber die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist seit Jahren eine andere. 

Wie viele Morde werden mit der Verwahrung von Jugendlichen verhindert?
Polemik hat in der Rechtsprechung nichts zu suchen. Selbst Frank Urbaniok, der sich vor der Debatte im «Tages-Anzeiger» für die Verwahrung von Jugendlichen starkmachte, musste einräumen: Fälle, in denen jugendliche Mörder erneut einen Mord begehen, sind extrem selten. Rückfälle bei Tötungsdelikten sind ohnehin statistisch sehr selten. Unser Jugendstrafrecht ist auf die Erziehung der jungen Menschen ausgerichtet. Und es ist ein Erfolgsmodell. Ich bin in 37 Jahren als Richterin keinem jugendlichen Straftäter begegnet, der sich als hoffnungsloser Fall erwiesen hätte. Der Nutzen der neuen Regelung steht in keinem Verhältnis zum Schaden, den sie anrichtet.