Bern und Basel haben sie schon lange nicht mehr, und im Juni hat auch Zürich die Strafen für die Teilnahme an unbewilligten Demos abgeschafft. Faktisch gibt es also keine Bewilligungspflicht mehr.

Das heisst aber nicht, dass die Teilnehmenden auf der sicheren Seite sind. Wenn eine Demonstration ausartet, drohen weiterhin Strafen.

«Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft», so steht es im Artikel 260 des Strafgesetzbuchs.
Dass die Palästina-Demo am vergangenen Samstag in eine Gewaltorgie ausartete, ist unbestritten. Die Bilanz: 18 verletzte Polizisten, ein angezündetes Restaurant, in dem sich auch noch Gäste befanden, Sachschäden in Millionenhöhe an 54 Gebäuden.

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Wer soll bestraft werden?

Politiker und Polizeivertreter fordern jetzt harte Strafen für die Demonstrierenden. Und selbst in Sympathisanten-Kreisen wird die Demonstration als schlecht organisiert kritisiert. Auf einer Szeneplattform wird die Kundgebung als «riesiger strategischer Fail» bezeichnet.

Doch wer genau soll bestraft werden? Fraglos, wer ein Delikt wie Sachbeschädigung, Körperverletzung oder Brandstiftung begangen hat. Aber wer hat an einer «Zusammenrottung» teilgenommen, wie sie das Gesetz für einen Landfriedensbruch voraussetzt? Die Polizei kontrollierte am vergangenen Samstag 536 Personen. Müssen sie alle mit einem Strafbefehl rechnen?

«Landfriedensbruch wird zur Sippenhaft.»

Philip Stolkin, Strafverteidiger

Philip Stolkin befürchtet das. Der Zürcher Anwalt verteidigt regelmässig betroffene Demonstranten. «Der Landfriedensbruch wird leider immer öfter wie eine Sippenhaft angewandt, die auch Demonstrierende bestraft, die sich friedlich verhalten haben», sagt er. Das ist aus demokratischer Sicht höchst fragwürdig. 

Gemäss Bundesgericht begeht Landfriedensbruch, «wer kraft seines Gehabens derart im Zusammenhang mit der Menge steht, dass er für den unbeteiligten Beobachter als deren Bestandteil erscheint». Es liegt also im Auge des Betrachters. Wer sich aber örtlich nicht deutlich von einer gewalttätigen Gruppe distanziert, läuft zumindest Gefahr, als Mittäter belangt zu werden. Auch wenn jemand nur zuschaut. Erst recht, wenn die Polizei dazu aufgefordert hat, einen bestimmten Ort zu verlassen.

Laut Stolkin kommt es immer wieder vor, dass auch Personen, die sich friedlich verhalten und von Gewalttaten distanziert haben, einen Strafbefehl erhalten – schlicht weil sie im Umfeld der Demonstration von der Polizei kontrolliert worden sind.

Nur oberflächlich harmlos

Markus Wyttenbach, Strafverteidiger und Mitglied des Beobachter-Anwaltnetzes, teilt diese Einschätzung: «Solche Strafbefehle erscheinen Ersttätern dann oft als harmlos, weil es um relativ geringe Geldstrafen auf Bewährung geht.» Sie haben aber auch einen Eintrag im Strafregister zur Folge. «Und der kann zum Stolperstein werden, wenn es zum Beispiel um eine Stellenbewerbung geht.»

Wyttenbach empfiehlt grundsätzlich, Einsprache gegen einen solchen Strafbefehl zu erheben. «Das hat noch keine Mehrkosten zur Folge. Die Staatsanwaltschaft muss den Sachverhalt danach vertiefter abklären und kann allenfalls zu einem anderen Schluss gelangen.»

Wem eine konkrete Straftat nachgewiesen wird, der muss in Bern auch mit der Beteiligung an den Polizeikosten rechnen. Das 2020 revidierte Polizeigesetz sieht dafür bis zu 30’000 Franken pro Person vor. In der Praxis sind bisher Beträge von bis zu 1000 Franken eingefordert worden.

Wer nachweislich Sachbeschädigungen begangen hat, dem drohen noch höhere Forderungen. Der Schadenersatz kann ruinös werden. In Bern geht es um mehrere Millionen Franken. 

Quellen