Aufgezeichnet von Otto Hostettler:

Ich hatte Medizin studiert und gerade das Staatsexamen hinter mir. Eines Tages ging ich an meinem Wohnort auf dem Trottoir. Da erfasste mich ein rückwärtsfahrendes Auto und überfuhr mich buchstäblich. So begann meine über 20-jährige Leidenszeit. Ich schluckte in dieser Zeit sicher mehr als zehn Jahre lang verschiedenste Opioide.

Unmittelbar nach dem Unfall realisierte ich: Etwas ist nicht gut. Ich hatte starke Nacken- und Kopfschmerzen, mir war schwindlig und übel, ich konnte mich nur schlecht konzentrieren und fast nicht mehr schlafen. Zuerst erhielt ich eine Halskrause und entzündungshemmende Schmerzmittel. Die Diagnose lautete: Schleudertrauma.

Es folgten unzählige Abklärungen. Ich war beim Orthopäden, beim Rheumatologen, beim Neurologen, später bei einer sogenannten Infiltrationstherapie. Zeitweise erhielt ich zur Unterstützung auch Antidepressiva. Schliesslich wussten die Ärzte nicht mehr weiter.

Das verhängnisvolle Pflaster

Es war ein Leben am Anschlag. Ich hatte andauernd massive Schmerzen, wie eine permanente Migräne Kopfschmerzarten im Vergleich Wo und wie tut der Kopf weh? . Dann versuchten sie es mit Tramal, einem schwachen Opiat. Es nützte nichts. Schliesslich verabreichte man mir Buprenorphin, ein starkes Opioid, das über ein Pflaster in den Körper gelangt. Wenn die Dosis etwas höher war, musste ich erbrechen. Immer wieder versuchte ich in den folgenden Jahren, die Betäubungsmittel zu reduzieren. Aber ganz absetzen konnte ich sie nicht, weil die Schmerzen sonst unerträglich wurden.

Nach zehn Jahren Behandlung war ich gleich weit wie am Anfang. Die starken Opioide wurde ich nicht los, die Schmerzen waren trotzdem da. Ich fühlte mich wie in Watte gebettet – ähnlich beduselt wie mit Alkohol. Distanziert gegenüber dem Schmerz – aber auch gegenüber mir selbst und allem anderen.

Irgendwann reifte in mir die Überzeugung: Ich will das alles nicht mehr. Ich muss zu mir selber finden und lernen, was mir guttut. Über Umwege fand ich einen Psychosomatiker. Zugleich ging ich zu einem Physiotherapeuten. Ich begann wieder Sport zu treiben: Wenn ich joggen ging, fühlte ich mich besser. Das war so etwas wie ein erster Durchbruch. So konnte ich zum weniger starken Tramal wechseln.

Bewegung und Achtsamkeit

Geholfen hat mir schliesslich eine Mischung aus Physiotherapie, Sport und schlicht mehr Achtsamkeit für mich selber. Das ist jetzt so einfach gesagt, aber es war ein langer Prozess. Schliesslich setzte ich die Opiate komplett ab. Ich hatte nur schwache Entzugserscheinungen. Aber die Schmerzen nahmen zu.

Es waren 20 schmerzhafte Jahre – und auch 20 frustrierende Jahre. Ich wollte den Schmerz besiegen, das war mein Muster. Aber Durchbeissen und Aushalten bringt nichts. Das führt nur zu neuer Anspannung und zu noch mehr Schmerz. Man will den Schmerz nur noch weghaben, ihn sich wegdenken. Das ist dann genau die Wirkungsweise der Opiate: Man schwebt auf einer Wolke und entfernt sich vom Schmerz.

Rückblickend muss ich sagen: Ich hätte viel früher jemanden gebraucht, der mir zuhört. Stattdessen musste ich faktisch auch noch die Hilflosigkeit der Ärzte mittragen. Indirekt sagte man mir: Es liegt an mir, dass die Therapie nicht wirkt.

Inzwischen bin ich überzeugt, dass das Hirn nicht unterscheidet zwischen emotionalem und körperlichem Schmerz. Heute gibt es Momente, in denen ich tatsächlich schmerzfrei bin. Nicht oft, aber immer mal wieder. Und ich habe gelernt, welche Hinweise mir der Schmerz gibt. Damit kann ich gut leben.

Der Beobachter-Gesundheits-Newsletter. Wissen, was dem Körper guttut.

Lesenswerte Gesundheitsartikel mit einem wöchentlichen Fokusthema. Jeden Montag.

Jetzt gratis abonnieren