Brigitte traute weder ihren Ohren noch dem diagnostizierenden Arzt: Rheuma? Sie, gerade mal 18, sollte an der «Greisenkrankheit» leiden Jung, chronisch krank «Ich wollte es nicht wahrhaben» ? Zum Arzt war die Gymnasiastin gegangen, weil sie nach Schwellungen an den Fingern plötzlich schmerzende Handgelenke bekam und kurz darauf von stechenden und unerklärlichen Schmerzen in den Fussgelenken geplagt wurde.

Als die junge Patientin weder auf Salbenbehandlung noch auf andere Therapien ansprach, erhärtete sich der Verdacht des Internisten, denn der Krankheitsverlauf war typisch. Schliesslich konnte er in ihrem Blut den Rheumafaktor nachweisen. Er überwies sie an einen Rheumatologen, der die Diagnose bestätigte: Rheumatoide Arthritis (früher auch Polyarthritis genannt), eine entzündliche rheumatische Erkrankung der Gelenke.

«Rückblickend bin ich froh, dass ich damals noch nicht wusste, dass diese Diagnose ‹lebenslänglich› bedeutet und für Schmerzschübe hart an der Grenze des Erträglichen steht.» 

Brigitte, 43, Polyarthritis-Patientin

Die Krankheit hat seit ihrem Ausbruch in den Fingergelenken auch ihren Kiefer, ihre Hüften sowie den sechsten und den siebten Halswirbel befallen. An schlechten Tagen schafft sie weder das Ankleiden noch das Treppensteigen. Sie bezieht längst eine Invalidenrente Invalidenversicherung Das müssen Sie über die Invalidenrente wissen , und ihre Hände sind mittlerweile stark deformiert.

Rheuma ist sowohl der älteste als auch der verbreitetste und damit teuerste Peiniger der Menschheit. In der Schweiz leiden schätzungsweise zwei Millionen Menschen an rheumatischen Beschwerden. Umso erstaunlicher, dass dieses Leiden nach wie vor bagatellisiert wird. In vielen Köpfen gilt Rheuma noch immer als Zipperlein der Senioren, als Alterswehwehchen, dem mit ein bisschen Salben und Schmieren abgeholfen werden kann.

Was viele nicht wissen: Jugend schützt vor Rheuma nicht – ja selbst Kinder und Säuglinge können zu gequälten Rheumatikern werden. Und Rheuma ist nicht gleich Rheuma. Das Krankheitsbild reicht von gelegentlichen leichten Schmerzen bis hin zur vollständigen Verkrüppelung der Gelenke und der totalen Immobilität.

Über 200 verschiedene Rheumaformen

Für Verwirrung sorgt das Wort selbst, das aus dem Griechischen stammt und mit «alles fliesst» übersetzt werden könnte. Denn «Rheuma» ist lediglich ein Sammelbegriff für rund 200 verschiedene Erkrankungen am Bewegungsapparat. Attackiert werden nicht nur Gelenke, sondern auch Muskeln, Bänder, Sehnen, Knochen, Knorpel und Schleimbeutel.

Klarheit im Rheumawirrwarr schafft die Aufteilung in drei Hauptgruppen:

  • Entzündlicher Gelenkrheumatismus
    Darunter fallen die Arthritis, insbesondere die Polyarthritis, oder der Morbus Bechterew. Rheumaerkrankungen mit entzündlichem Ursprung machen etwa zehn Prozent aller Rheumafälle aus.
  • Degenerative Gelenkerkrankungen
    Auch Arthrose genannt. Über die Hälfte aller Rheumaerkrankten leiden an diesen Abnützungs- und Verschleisserscheinungen in den Gelenken.
  • Weichteilrheumatismus Fibromyalgie Wenn die Muskeln wehtun und Gicht
    Davon betroffen sind Muskeln, Sehnen und Bänder.
Last auf zwei statt vier Beinen ist des Übels Ursache

Der Grundstein für die Arthrose, die häufigste Rheumaform, wurde vor rund 500'000 Jahren gelegt. Ungefähr zu dieser Zeit erfanden unsere Vorfahren nämlich den aufrechten Gang – und damit fing das Übel an Schmerzgrenze Wenn alles nur noch wehtut . Das gesamte Körpergewicht ruhte fortan nur noch auf zwei statt auf vier Füssen, was eine drastische Mehrbelastung für die Wirbelsäule, die Hüften und die Kniegelenke bedeutet.

Bereits ab 30 Jahren, so die Experten, beginnt der Knorpel Schaden zu nehmen. Mit 60 hat niemand mehr einwandfreie Gelenke, auch wenn sie bei einigen Glücklichen bis ins hohe Alter «stumm» – sprich: schmerzfrei – bleiben. 

Und noch eine zivilisatorische Errungenschaft macht unseren Gelenken zu schaffen: Wir werden immer älter – und das vor allem sitzend.

Zu wenig Bewegung ist bei Rheuma schädlich

Nicht die häufigste, dafür vielleicht die verheerendste Form von Rheuma ist die rheumatoide Arthritis (RA), die meist zwischen dem 20. und dem 45. Lebensjahr auftritt. In der Schweiz sind etwa 85'000 Menschen davon betroffen. RA ist eine Auto-Immunkrankheit: Das Immunsystem attackiert fälschlicherweise nicht nur feindliche Viren und Bakterien, sondern zerstört auch das körpereigene Gewebe. Die fortschreitenden Entzündungen Missachtete Warnzeichen Was Entzündungen in unserem Körper auslösen zerfressen Gelenkinnenhäute und Knorpel und greifen schliesslich auch die angrenzenden Knochenflächen an.

Wer über Rheuma klagt, wird mit gut gemeinten Tipps und volkstümlichen Ratschlägen überhäuft: Murmelfett, Katzenfelle, Schnapseinreibungen, Kupfer-Armreife, antimagnetische Bettunterlagen und dergleichen werden als Rheumakiller gehandelt; die Wirksamkeit ist wissenschaftlich nie nachgewiesen worden. Erwiesenermassen schädlich jedoch ist der alte Irrglaube, Rheuma brauche Schonung. Zu wenig Bewegung und eine übertriebene Schonhaltung fördern den Muskelschwund und damit die Gelenkdeformation.

Wichtig ist die Früherkennung und eine auf jeden Patienten zugeschnittene individuelle Therapie. Frühere Medikamente waren zwar schmerz- und entzündungshemmend, griffen aber Magen- und Darmschleimhäute stark an. Heute sind neue Mittel auf dem Markt, die weniger Nebenwirkungen aufweisen.

Die Krankheit akzeptieren lernen

Auch Brigitte wird seit kurzem mit dem neuen Wirkstoff behandelt. Aber eigentlich wurde er für sie zu spät entdeckt, denn die Krankheit hat über Jahre irreparable Schäden hinterlassen. Wie viele RA-Betroffene hat auch Brigitte vor lauter Schmerz phasenweise ihre Rheumatologen verwünscht und Hilfe bei allen möglichen und unmöglichen Wunderheilern und -mitteln gesucht.

Vergeblich. Nur die Akupunktur linderte ihre Schmerzen vorübergehend. «Ich habe gelernt, dass es keine Wunder gibt, die für meine Krankheit zuständig sind.» Und seit sie dies akzeptiert hat, scheint es ihr besser zu gehen. Sie schluckt jeden Morgen ihren beeindruckenden Medikamentencocktail und sucht bei ihrer täglichen Krankengymnastik immer wieder nach der schwierigen Gratwanderung, die für alle Rheumatiker gilt: Bewegung ja Bewegung Sport ist eine Superpille – (Über-)Belastung nein.

Einen Sinn kann sie ihrer Krankheit auch im Alter von 43 Jahren noch nicht abgewinnen. Und sie will sie auch nicht beschönigen. Aber sie hat allmählich gelernt, nicht an ihren Einschränkungen zu verzweifeln, sondern sich an dem zu freuen, was noch möglich ist. «Die Krankheit ist ein Teil meines Lebens, aber nicht der wichtigste.» An diesem Grundsatz arbeitet sie je länger, je erfolgreicher.

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Wissen, was dem Körper guttut.
«Wissen, was dem Körper guttut.»
Chantal Hebeisen, Redaktorin
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