Ende März verkündete Martin Bachmann die Botschaft, auf die die Welt wartet. «Es ist ambitioniert, doch in einem halben Jahr möchten wir die ganze Schweiz impfen», sagt der Professor für Immunologie an der Universität Bern am 2. April etwa auf der Website des Touring-Clubs Schweiz. Ähnlich äusserte er sich in Radio, Fernsehen und verschiedenen Tageszeitungen.

Seine optimistische Prognose stiess auf Begeisterung. Doch bei genauerer Betrachtung der Fakten und Hintergründe bleibt wenig Hoffnung, dass sie sich erfüllt. Es fragt sich eher, ob da ein Wissenschaftler eine kühne Prognose wagte, um Investoren zu gewinnen.

Strenge Anforderungen an Sicherheit

Lukas Jaggi, Sprecher von Swissmedic in Bern, kann lediglich bestätigen, dass Martin Bachmann bei der Schweizer Zulassungsstelle für Heilmittel vorgesprochen hat. «Wir geben grundsätzlich keinen Kommentar ab zu konkreten Projekten», sagt er. «In der jetzigen Pandemiesituation Pandemie Die Gefahr, die nicht interessierte beschleunigen wir etwa Bewilligungsgesuche für klinische Versuche, wo es nur geht. Aber wir rechnen mit 15 bis 18 Monaten, bis ein erster Impfstoffkandidat alle Stufen der Zulassung durchlaufen hat.» Das sei eine optimistische Schätzung.

Carlos A. Guzmán, Professor für Impfstoffkunde am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, lacht auf, als er auf Bachmanns Zeitplan angesprochen wird. «Normalerweise dauert es zehn Jahre, um einen Impfstoff zu entwickeln Impfung gegen das Coronavirus «Die Schweiz braucht eine eigene Impfstoff-Fabrik» und auf den Markt zu bringen. Sollten wir es wirklich schaffen, 2021 einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 zu haben, wären wir bereits 80 Prozent schneller als normal. Das ist schon ein extrem ambitionierter Zeitplan.»

Der Grund für die lange Entwicklungsdauer sind die besonders hohen Sicherheitsanforderungen für Impfstoffe. «Ein Medikament geben wir einem Patienten, der gewillt ist, gewisse Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen, damit er geheilt wird», erklärt Guzmán. «Einen Impfstoff hingegen bekommen Gesunde. Da fliegt bereits ein Wirkstoff raus, der etwa nur kurzfristig eine leicht erhöhte Temperatur verursacht.»

Um solche Nebenwirkungen möglichst zu verhindern, gibt es strenge, international harmonisierte Zulassungsverfahren. Nachdem ein Impfstoff gezeigt hat, dass er im Tierversuch wirksam ist, beginnt die dreistufige klinische Testung. In Phase I untersuchen Mediziner an ein paar Dutzend Freiwilligen, wie der Mensch auf den Wirkstoff reagiert, ob etwa ernste Nebenwirkungen auftreten. Es folgt in Phase II mit mehreren Hundert Probanden der Test, ob und in welcher Dosis der Impfstoff wirksam ist. In Phase III muss sich dann an Hunderten bis Tausenden Menschen zeigen, ob die Vakzine sicher und wirksam ist.

Antikörper-Antwort im Tierversuch

«Phase-II-Studien können etwa anlaufen, während die bereits vorliegenden Resultate aus Phase-I-Studien noch begutachtet werden», sagt Swissmedic-Sprecher Jaggi. «Ausserdem könnten wir auch einen Impfstoff befristet zulassen, bevor die Daten aus Phase III vorliegen.»

Zwar sagte Immunologe Martin Bachmann im April in «10 vor 10»: «Die Chance ist gross, dass wir die Ersten auf der ganzen Welt sind, die einen Impfstoff produzieren.» Aber der von ihm entwickelte Impfstoff ist bislang nicht einmal auf Verträglichkeit beim Menschen getestet. Er habe nur im Tierversuch eine starke Antikörperantwort hervorgerufen, sagte Bachmann. Weltweit werden bereits acht andere Impfstoffe am Menschen erprobt. «Es erscheint mir unrealistisch, dass ausgerechnet ein Impfstoff, der noch gar nicht in klinischer Testung ist, der erste sein sollte», sagt Carlos Guzmán.

Vielleicht hatten Bachmanns vollmundige Ankündigungen im April damit zu tun, dass er auf der Suche nach Investoren war, um die klinischen Studien finanzieren zu können. Vielleicht auch damit, dass er massgeblich profitieren würde, wenn sein Impfstoff zugelassen würde.

Wer wird Millionär?

Martin Bachmann ist zu 100 Prozent als Professor an der Universität Bern angestellt, vom Corona-Projekt profitiert aber vor allem seine Firma Saiba AG. Sie verfügt über die Technologie, die für die Herstellung seines Impfstoffs entscheidend ist. Obwohl Bachmann in Bern forscht, ist unklar, ob die Universität am Erfolg überhaupt beteiligt würde.

Das zeigt der «Rahmenvertrag» zum Impfstoffprojekt von Ende März. Gemäss dem Dokument, das die SRF-Sendung «Einstein» kurz einblendete, würden die Universität und damit die Steuerzahler leer ausgehen. Die Hälfte des Gewinns erhielte Bachmanns Saiba AG, die als Firmensitz die Adresse eines Schwyzer Treuhänders angibt. Die andere Hälfte würde an Investoren rund um das Universitätsspital Zürich gehen, die über 50 Millionen Franken in Bachmanns Impfstoff investieren wollen. Das Zürcher Unispital will Spendengelder des eigenen Corona-Solidaritätsfonds einzahlen und weitere Stiftungsgelder auftreiben.

Martin Bachmann wollte dem Beobachter kein Interview geben. Sein Kommunikationsberater erklärte, der erwähnte Rahmenvertrag sei nicht mehr gültig. Man arbeite einen neuen Vertrag aus, deshalb sei unklar, wie ein allfälliger Gewinn verteilt würde. Die Stiftung des Universitätsspitals Zürich bestätigt nur, dass sie die Absicht habe, zu investieren. Die Universität Bern sagt, man sei in Verhandlungen über eine allfällige Gewinnbeteiligung.

Wie lukrativ die Zulassung eines Covid-19-Impfstoffs sein könnte, zeigt der Businessplan eines Konkurrenten von Bachmann. Die Firma Innomedica des Schweizer Forschers Stéfan Halbherr verspricht Investoren eine Marge von 48 Prozent. Innerhalb von vier Jahren würde ein Corona-Impfstoff demnach Betriebsgewinne von 346 Millionen Franken einbringen.

Wer das Impfstoffrennen gewinnt, kann reich werden. Beim Projekt von Professor Bachmann wären das in erster Linie die Aktionäre seiner Firma, an der er bis zur Kapitalerhöhung im April 74 Prozent hielt.

«In jeder Phase besteht das Risiko, dass ein Kandidat scheitert.»

Lukas Jaggi, Swissmedic-Sprecher

Zu den möglichen Profiteuren zählt neu auch die Forschungsdirektorin des Universitätsspitals Zürich, Professorin Gabriela Senti. Sie besitze neuerdings Aktien von Bachmanns Saiba AG, weil sie jahrelang mit Bachmann geforscht und Anrechte darauf gehabt habe, sagt sie. Sie habe das Unispital über ihren Interessenkonflikt informiert und sei in die Vertragsverhandlungen mit Bachmann nicht involviert gewesen.

Das Verfahren, das Bachmann propagiert, wurde zwar in der Entwicklung des Impfstoffs gegen das neuartige Coronavirus bislang nicht klinisch erprobt, ist aber etabliert für andere Vakzine – etwa gegen Hepatitis B und Humane Papillomaviren (HPV). Der Impfstoff besteht im Wesentlichen aus Virusattrappen. Dies sind Hüllen, die ähnlich aussehen wie Sars-CoV-2, weil sie mit deren Oberflächenmolekülen, den sogenannten Spike-Proteinen (oder Teilen davon) bestückt sind. Im Inneren ist jedoch keine Erbsubstanz enthalten, sodass sich die Virusattrappen nicht vermehren können. Trotzdem rufen diese in der Regel eine effektive Immunantwort Abwehrkräfte Was stärkt unser Immunsystem? hervor.

Scheitern ist jederzeit möglich

«Das ist eine sehr vielversprechende Impftechnologie, weil die Immunantwort auf solche virusartigen Partikel stärker ist als auf einzelne Moleküle», sagt Vakzinologe Carlos Guzmán. «Das Problem ist, bei dem Verfahren genug Ausbeute für die Massenproduktion zu bekommen.»

Es ist nicht die einzige Schwierigkeit von Bachmanns Projekt. «Auch wenn ein Impfstoff wirkt, kommt es zusätzlich darauf an, die richtige Dosierung und die Konzentration der Zusatzstoffe zu finden», sagt Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi. «Die Immunantwort darf nicht überschiessen, sonst kann der Impfstoff nicht zugelassen werden. In jeder Phase besteht das Risiko, dass ein Kandidat scheitert.»

Es gibt auch keinen nationalen Bonus für einen Impfstoff aus der Schweiz. «Wir behandeln alle Zulassungsgesuche gleich. Es ist völlig offen, wer am Ende das Rennen punkto Nutzen-Risiko-Verhältnis machen wird.» Bei aller Skepsis, die Experten gegenüber Martin Bachmanns Zeitplan haben – man merkt bei allen, dass sie sich trotz allem wünschen würden, er erreiche sein Ziel. «Ich drücke ihm die Daumen», sagt Carlos Guzmán. «Es wäre toll, wenn wir der Pandemie schon bald einen Impfstoff entgegensetzen könnten.»
 

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Quelle: Beobachter-Edition
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Jasmine Helbling, Redaktorin
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