Was kochen wir an Weihnachten? Was schenken wir der Schwiegermutter, dem Gottenkind, den Eltern? Wer kauft die Geschenke? Wer organisiert den Baum, wer schmückt ihn? Es sind meist die Frauen, die an solche Aufgaben denken, die Arbeit übernehmen – und daneben auch noch den Alltag organisieren.

Diese Arbeit hat einen Namen: Mental Load, mentale Last. Der Begriff wurde in den Achtzigerjahren für die Arbeitswelt geprägt und bezeichnet den ständigen Koordinationsstress. «Bei Mental Load geht es nicht darum, wer die Arbeit macht, sondern wer daran denkt, dass sie überhaupt ansteht. Selbst wenn Aufgaben abgegeben werden können, ist man noch nicht von dieser Denkarbeit entlastet», sagt Filomena Sabatella. Die Psychologin forscht zum Thema an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Das Problem der mentalen Last? Sie ist fast immer ungleich verteilt. Grundlage sei ursprünglich der Gedanke maximaler Effizienz, wonach jede Person fixe Aufgaben übernimmt, schreibt die deutsche Autorin Patricia Cammarata in ihrem Buch zum Thema. Es gehe nicht um das Geschlecht, sondern um die Rolle.

Es entstehe ein Ungleichgewicht, sobald Kinder dazukommen. «Die Partnerin oder der Partner scheinen sich nach der Geburt des ersten Kindes auf eine Aufgabe zu spezialisieren, die Rollen werden eher klassisch aufgeteilt. Eine Person wird finanzielle Versorgerin in der Familie, die andere kümmert sich um Kinder und Haushalt», so Cammarata.

Den ganzen Tag lang mentale Miniaufgaben

Bei heterosexuellen Paaren übernehme vorwiegend die Frau diese Arbeit, sagt Psychologin Sabatella. «Und zwar unabhängig davon, zu wie viel Prozent sie beruflich arbeitet.» In einer repräsentativen Umfrage der Forschungsstelle Sotomo und der Zeitschrift «Annabelle» geben 81 Prozent der Frauen an, dass sie wesentlich mehr als ihr Partner beim Organisieren und Drandenken im Haushalt und in der Familie leisten.

Das andere Problem der Mental Load ist: Sie wird oft nicht mal von den Frauen bemerkt, die sie leisten. Das erklärt sich Autorin Cammarata damit, dass das Gehirn den ganzen Tag über mit Miniaufgaben belegt sei und man sich am Abend gar nicht mehr richtig daran erinnert, was man alles gemacht hat. Zudem werde der Care-Arbeit fast durchwegs weniger Wert beigemessen.

Den Kinderarzt organisieren, ans Impfbüchlein denken, die Kinder in der Schule abmelden – all das erfolge quasi nebenbei. «Deshalb nimmt das Gegenüber die geleistete Arbeit oft nicht wahr Erwartung an andere «Dich interessiert überhaupt nicht, wie es mir geht!» und zeigt sich folglich auch nicht wertschätzend», sagt Psychologin Sabatella. Hinzu kommen Geschlechterstereotype und klassische Rollenbilder. Der Mann bringt das Geld, die Frau kümmert sich um Haushalt und Kind. Das klinge erst mal nach Klischee, sei oft aber immer noch die Realität.

Es gibt kein Kümmer-Gen

Dass eine Retraditionalisierung der Lebensformen stattfinde, sobald Kinder kommen, wisse man aus vielen Studien. Das passiere auch Paaren, die von sich sagen, sie seien auf allen Ebenen gleichgestellt, sagt Sabatella. «Meist führt der Mann Aufgaben aus, die die Frau zuvor koordiniert und an ihn delegiert hat.»

Biologisch zu begründen sei die ungleiche Aufteilung nicht, sagt Autorin Cammarata. Es gebe kein Kümmer-Gen, und auch die Hormone bestimmten nicht, wer organisiert. «Aber: Wer mehr trainiert und mehr Erfahrungs- und Umsetzungswissen aufbaut, ist logischerweise kompetenter und schneller beim Erledigen bestimmter Aufgaben.»

«Bei Frauen wird Care-Arbeit als selbstverständlich erachtet. Deshalb messen die Frauen selbst ihrer Arbeit und der Mental Load wenig bis keinen Wert bei.»

Filomena Sabatella, Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZHAW

Entscheidend sei die Sozialisation, die sich später in gesellschaftlichen Erwartungen widerspiegle, sagt Psychologin Filomena Sabatella. Männer mit Kindern, die keine Betreuungsarbeit leisteten, gälten nicht als schlechte Väter – sondern bloss als nicht modern.

Bei Frauen dagegen werde Care-Arbeit als selbstverständlich erachtet. «Deshalb messen die Frauen selbst ihrer Arbeit und der Mental Load wenig bis keinen Wert bei.» Typisch sei, dass Väter die Tage, an denen sie sich um Familie und Haushalt kümmern, als Papitage im Kalender eintragen. Bei Frauen hingegen seien diese als frei markiert.

Der gesellschaftliche Druck auf Frauen

Ist Mental Load nicht auch selbst verschuldet? Ja und nein, sagt Patricia Cammarata. Natürlich könne man sich auch zu viel aufbürden oder zu perfektionistisch sein. «Aber man kann sich schon fragen, wieso Frauen von sich selbst verlangen, dass der Haushalt mit Babys und Kleinkindern perfekt aufgeräumt und sauber ist. Die einfache Antwort ist: Die Gesellschaft erwartet das so.

Im Alltag übernehmen Männer auch sehr oft typische männliche Tätigkeiten: Garten, Technik, Auto. Auffälligerweise seien das Arbeiten, die weniger zeitkritisch gebunden sind als Kochen, Termine einhalten (die Kita schliesst) oder sich wiederholende Tätigkeiten wie Einkaufen oder Windeln wechseln. Alles Aufgaben, die meist Frauen erledigen. «Frauen sind oft von den Bedürfnissen anderer abhängig. Eine freie Zeiteinteilung ist dadurch unmöglich.»

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Mental Load wirkt sich auch auf den Job aus. Sie hindere viele Frauen, sich in der Arbeitswelt zu entfalten, sich in der Politik einzubringen und gesehen zu werden, so Cammarata. Etwas, was unterschätzt werde, ergänzt Sabatella. «Wenn man sich ständig überlastet fühlt, vom Gegenüber alleingelassen, und kaum mehr Zeit für sich selbst findet, kann das zu emotionaler Erschöpfung, Schlafproblemen oder sogar depressiven Verstimmungen führen. Die Mental Load wird dann zur Overload, also zur mentalen Überlastung.»

Wichtig sei auch, dass man mit Mental Load einen Begriff für diese Gratisarbeit habe. «Zu wissen, dass ganz viele andere Paare und Familien auch davon betroffen sind und darunter leiden, ist eine unglaubliche Erleichterung», sagt die Psychologin.

Sich der Problematik bewusst zu werden, ist aber nur der erste Schritt. Dann muss man die Arbeitsteilung in der Beziehung neu organisieren – hoffentlich hilft der Partner dabei.

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Tipps: So reduzieren Sie Ihre Mental Load

  • Aufklären: Werden Sie sich über das Ausmass Ihrer Mental Load bewusst. Sprechen Sie mit Freundinnen oder Ihrer Familie darüber. Zeigen Sie auf, was Mental Load ist und was sie alles umfasst.
  • Arbeit sichtbar machen: Schreiben Sie auf, wie viele Stunden Mental-Load-Arbeit Sie pro Woche leisten. Auch Ihr Partner soll das machen. So lassen sich leichter Vergleiche anstellen.
  • Kommunizieren: Sprechen Sie mit Ihrem Partner, wenn Sie das Gefühl haben, die Mental Load sei ungleich verteilt. Kommunizieren Sie direkt, aber nicht vorwurfsvoll. Je nach Bedarf können Sie einmal im Monat einen fixen Termin dafür einplanen. Eine bestimmte Aufgabe nur zu delegieren, hilft nicht, man muss die ganze Verantwortung abgeben. Nur so kann man sich wirklich abgrenzen und entlasten und dem Gegenüber die Möglichkeit geben, sich diese Rolle anzueignen.
  • Aufgaben aufteilen: Überlegen Sie, welche Aufgaben Sie abgeben möchten und welche nicht. Diskutieren Sie gemeinsam darüber, wer was übernimmt. Geben Sie dazu alle Informationen weiter, die man für die Erledigung dieser Arbeiten braucht. Alleinerziehende oder Personen, bei denen eine Umverteilung der Aufgaben nicht möglich ist, können schauen, ob etwa die Grosseltern gewisse Arbeiten übernehmen können – oder die Kinder.
  • Dranbleiben: Sein Verhalten zu verändern, ist ein Prozess und passiert nicht von heute auf morgen. Geben Sie sich und anderen genügend Zeit.
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