Die Ladentür öffnet sich, wenn man mit dem Smartphone einen QR-Code scannt. Auch drinnen läuft alles über eine App: Man erfasst die Codes von Apfel, Spaghetti und Zahnpasta und zahlt per hinterlegter Kreditkarte. Eine Kasse gibt es nicht, Personal ebenso wenig.

Die «Avec Box» steht auf dem Gelände der ETH auf dem Hönggerberg in Zürich und ist ein Testprojekt des Kiosk-Unternehmens Valora. Halb so gross wie ein Tankstellenshop und mit demselben Sortiment, hat der Laden rund um die Uhr geöffnet, sieben Tage die Woche. Angestellte füllen jeweils morgens und abends die Regale auf und sorgen für Ordnung. Um Diebstähle zu verhindern, ist der ganze Raum videoüberwacht Überwachungskameras Sie werden gerade gefilmt . Den Studenten gefällt das Konzept: «Ich kann spätabends noch einkaufen und man muss nie an einer Kasse anstehen», sagt Fabrizio Gramegna. Er sagt aber auch: «Dass man die ganze Zeit gefilmt wird, löst ein mulmiges Gefühl aus.»

Auf Ende Jahr will Valora am Bahnhof Wetzikon (ZH) einen ersten festen Laden eröffnen wie jenen bei der ETH. Auch die Migros plant mit ihrem Tochterunternehmen Migrolino solche Minishops, in denen nicht immer Personal anwesend sein muss. Vorbild sind die «Amazon Go»-Shops in den USA. Dort wird der Einkauf sogar nur mittels Kameras abgewickelt, die erfassen, was die Kunden aus den Regalen nehmen. Die Waren scannen muss man nicht.

Ohne Personal keine Beschränkung

Abgesehen von einigen Tankstellenshops oder Shops an Flughäfen wären die Läden ohne Kasse die ersten in der Schweiz, die 24 Stunden geöffnet haben Öffnungszeiten Shoppen von morgens bis abends? . «Das Bedürfnis ist da», sagt Detailhandelsexperte Michel Rahm von der Beratungsfirma GfK. «Die Leute wollen Flexibilität. Wie im Internet soll auch in Läden alles jederzeit verfügbar sein.»

Braucht es kein Personal mehr im Laden, wird das möglich. In liberalen Kantonen wie Zürich gibt es keine Begrenzung der Öffnungszeiten, wenn die Verkaufsfläche eines Lokals kleiner ist als 200 Quadratmeter. Beschränkt ist nur die Arbeitszeit. Zürich etwa erlaubt Beschäftigung in Läden von Montag bis Samstag zwischen 6 und 23 Uhr. Ausgenommen vom Verbot der Nacht- und Sonntagsarbeit sind Shops in Bahnhöfen und Flughäfen sowie an stark frequentierten Tankstellen.
 

«Das Smartphone wird die Selfscanning-Kassen ersetzen.»

Michel Rahm, Detailhandelsexperte


Gemäss der Migros wird in den Migrolino-Shops tagsüber Personal vor Ort sein, reine Selbstbedienungsläden sind sie nur über Nacht. Auch in den Avec-Boxen sind teilweise Angestellte anwesend, die die Kunden beim Einkauf mit der App unterstützen. Weil man sich in beiden Läden per Ausweis auf der App registrieren muss, können nur Erwachsene Tabak oder Alkohol kaufen.

Kassiererinnen weiterhin gefragt

«Es lohnt sich für Ladenbetreiber, den Einkauf per App zu fördern», sagt Rahm. Wenn sie auf Verkaufspersonal und Kasse verzichten, sparen sie Platz und Geld. Noch sei der Einkauf mit dem Smartphone eher etwas für Technikaffine wie die Studenten der ETH. In fünf bis zehn Jahren aber werde er normal sein. «Dann werden wir das Handy an eine Packung Reis halten und sofort Rezeptvorschläge erhalten, ebenso alle Infos zur Herkunft und Herstellung.»

Personal werde es in Läden aber auch in Zukunft noch geben. Ebenso Kassiererinnen. «Das Smartphone wird längerfristig eher die heutigen Selfscanning-Kassen Selbstbedienungskasse Wie Coop aus Brot teure Zahnpasta macht ersetzen», sagt Rahm. Der komplett selbstständige Einkauf sei etwas für Randzeiten, und vorwiegend für kleine Lebensmittel-Läden. «Im Allgemeinen wollen die Kunden Beratung und Personal vor Ort. Gerade in der Schweiz ist ein solcher Service den meisten wichtig.»

Zerstückelte Arbeitszeiten

Die Gewerkschaft Unia beobachtet die Entwicklung kritisch. Es sei gesellschaftspolitisch gefährlich, wenn sich Menschen daran gewöhnen, rund um die Uhr einkaufen zu können. «Das darf nicht zu einer Lockerung des Sonntags- und Nachtarbeitsverbot führen.» Weiter warnt sie vor einer Zerstückelung der Arbeitszeit Arbeit auf Abruf Lassen Sie sich nicht alles gefallen! , wenn das Personal nur abends und morgens Regale einräumt.

Eine im Auftrag der Unia erstellte Studie der Uni Bern stellt fest: Personalabbau, längere Ladenöffnungszeiten und die damit einhergehende notwendige Flexibilität führen bei Ladenangestellten zu Stress. Insbesondere die Überwachung der Self-Scanning-Kassen Selfscanning Umstritten, aber beliebt , das lange Stehen und Konflikte mit Kunden, die sich dabei ergeben, empfinden viele als anstrengend und belastend.

Jeder Einkauf wird registriert

Beim Datenschutz haben Kunden der Avec-Box keine Wahl: Die App zeichnet alles auf, was jemand einkauft. Die Daten würden genutzt, um das Einkaufsverhalten der Kunden zu analysieren, schreibt Valora. Es wird bisher nicht gemacht, ermöglicht aber, Kunden künftig personalisierte Werbung zu versenden – ähnlich wie nach einem Online-Einkauf. Das Unternehmen hat auch schon angekündigt, Gesichtserkennung testen zu wollen: Bei der Kaffeemaschine oder dem Tabakautomaten könnte es damit auf die Person abgestimmte Vorschläge machen.

Wo und wie viele Läden ohne Kassen sie planen, geben weder Valora noch die Migros bekannt. Man befinde sich noch in der Planung. Gemäss Valora sollen ihre neuen Shops nicht bisherige Kioske mit Angestellten ersetzen. «Im Vordergrund stehen Neueröffnungen, denn das neue Konzept ist als Ergänzung zu den bestehenden Formaten konzipiert.» Der Kiosk am Bahnhof Wetzikon bleibt bestehen, mit dem Selbstbedienungsladen daneben.

Mehr zur Arbeitszeit bei Guider

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten kann es sein, dass der Arbeitgeber Sie zu Mehrarbeit verpflichtet. Oder umgekehrt: Er weist Ihnen weniger Arbeit zu, und Sie kommen auf Minusstunden. Beobachter-Abonnentinnen und -Abonnenten erfahren, was rechtlich in Bezug auf die Arbeitszeit gilt und in welchen Fällen man sich wehren kann.

Jede Woche das Beste vom Beobachter
«Jede Woche das Beste vom Beobachter»
Raphael Brunner, Redaktor
Der Beobachter Newsletter