Michael Frey (Name geändert) stand im zweiten Lehrjahr als Töffmechaniker, als die Spannungen zwischen ihm und seinem Chef eskalierten. «Um das Arbeitsklima wieder auf das Niveau zu bringen, das wir uns für unseren Betrieb vorstellen, sehen wir keine Möglichkeit einer weiteren Zusammenarbeit», schrieb der Lehrmeister. Gleichzeitig richtete er happige Vorwürfe an die Adresse seines Stifts: Michael habe Anweisungen missachtet, zeige fehlende Lernbereitschaft und ungenügende fachliche Leistung. Ausserdem habe er Drogen konsumiert.

Michael wehrte sich gegen die Auflösung des Lehrvertrags. Sein umgehender schriftlicher Protest – «ich bin mit den angegebenen Gründen nicht einverstanden…, es sind Vorwürfe enthalten, die mit mir nicht besprochen wurden…» – nützte dem 20-Jährigen jedoch nichts. Auch eine Aussprache brachte nicht den gewünschten Erfolg. Das kantonale Amt für Berufsbildung bestätigte wenig später die Auflösung des Lehrvertrags «im gegenseitigen Einverständnis».

Michael Frey ist schwer enttäuscht. Auf das vom Lehrmeister vorgebrachte Sündenregister angesprochen, meint er: «Klar hat es manchmal Schwierigkeiten gegeben, aber das waren Kleinigkeiten. Andere machten auch Fehler, aber bei mir wurde nichts toleriert.» Gekifft habe er einmal während der Probezeit. «Dazu stehe ich, doch seither konnte ich nichts mehr recht machen. Meine ganze Art hat dem Chef nicht gepasst, ich bin relativ offen und selbstbewusst», sagt der junge Mann, der bereits einen Lehrabschluss als Verkäufer in der Tasche hat.

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Wenig Unterstützung durch Behörden

In der Schweiz werden je nach Region und Berufsrichtung zwischen 10 und 40 Prozent der Lehrverträge vorzeitig aufgelöst. Laut einer Umfrage bei kantonalen Berufsbildungsämtern führen die verschiedensten Gründe zur Auflösung von Lehrverträgen: falsche Berufswahl, Differenzen mit dem Lehrmeister, Leistungsprobleme, mangelhafte Ausbildung im Lehrbetrieb sowie Betriebsschliessungen. Ins Gewicht fällt auch, dass vor allem schulisch schwächere Jugendliche ihren eigentlichen Berufswunsch nicht verwirklichen können. Viele müssen nehmen, was übrig bleibt – Probleme sind damit programmiert.

Grundsätzlich ist der Lehrvertrag ein befristeter Vertrag, der ohne Kündigung zum vereinbarten Zeitpunkt endet. Während der dreimonatigen Probezeit kann man sich noch umbesinnen und mit siebentägiger Kündigungsfrist aus dem Vertrag aussteigen. Danach gibt es nur noch die fristlose Auflösung aus wichtigen Gründen.

Vor der beabsichtigten Vertragsauflösung muss das jeweilige kantonale Amt für Berufsbildung benachrichtigt werden. Dieses hat die Aufgabe, zwischen den Parteien zu vermitteln und gegebenenfalls bei der Suche nach einem neuen Lehrbetrieb zu helfen. Wunder dürfen von den Ämtern jedoch nicht erwartet werden. Beim Beobachter-Beratungszentrum zeigen sich viele Jugendliche und ihre Eltern enttäuscht von der mangelhaften Unterstützung durch die Berufsinspektoren. So auch Michael Frey: «Ich bekam keinerlei Hilfe. Die paar Adressen hätte ich mir auch im Berufsbildungszentrum holen können.»

Frey überlegt sich nun, ob er sich vor Arbeitsgericht gegen die Vertragsauflösung wehren soll. Denn Lehrvertragskündigungen, die den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechen, stellen einen Vertragsbruch dar und können Schadenersatzansprüche nach sich ziehen:

 

  • Löst der Lehrling zu Unrecht das Lehrverhältnis auf, hat der Lehrmeister Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe eines Viertelmonatslohns. Dazu kann weiterer Schadenersatz kommen, sofern ein Schaden nachgewiesen werden kann.
     
  • Geht die ungerechtfertigte Kündigung vom Lehrmeister aus, schuldet er dem Lehrling den Lohn bis zum Ende der Lehrzeit sowie eine Entschädigung für die durch die Auflösung entstehenden Nachteile (zum Beispiel Verzögerung der Ausbildung). Der Berufseinsteiger muss sich allerdings bemühen, so rasch wie möglich eine neue Lehrstelle zu finden.
     

Dass es sich durchaus lohnen kann, nicht einfach die Faust im Sack zu machen, zeigen die Erfahrungen von Gabriela Kunz. Die junge Frau befand sich im zweiten Lehrjahr als medizinische Praxisgehilfin, als ihr Vorgesetzter das Lehrverhältnis aus heiterem Himmel auflöste. «Es gab kleinere Auseinandersetzungen, aber mit einer Kündigung hätte ich niemals gerechnet», erinnert sie sich. Gründe, die eine vorzeitige Auflösung des Vertrags gerechtfertigt hätten, gabs nicht. «Der Chef sprach von finanziellen Problemen. Ausserdem gab er an, er brauche eine Auszeit und gehe für ein paar Monate ins Ausland. Später warf er mir dann noch mangelnde Belastbarkeit vor.»

Die junge Frau war nicht bereit, den Verlust der Lehrstelle hinzunehmen, zumal der Arzt für seine Abwesenheit bereits eine Praxisvertretung organisiert hatte, die sie von früheren Gelegenheiten her kannte. Kunz klagte beim Arbeitsgericht. Dort kam es zu einem Vergleich: Der Lehrmeister bezahlte ihr für die ungerechtfertigte Vertragsauflösung eine Entschädigung in Höhe von drei Monatslöhnen.

Der Schock der Entlassung sitzt tief

Gabriela Kunz hat bereits eine neue Lehrstelle. Doch der Schock der Entlassung steckt ihr immer noch tief in den Knochen. «Ich war zwei Monate lang arbeitslos und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Ich fühlte mich hilflos und allein gelassen. Glücklicherweise ist mein neuer Chef sehr nett und verständnisvoll. Ich hoffe sehr, dass ich die Lehre nun erfolgreich beenden kann.»

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Quelle: Beobachter Edition