Jorge Pereira spricht leise und langsam, als wollte er jedes Wort genau ausmessen. Sein Portugiesisch klingt wie ein feines Blätterrauschen. Es passt so gar nicht zu seinen kräftigen Händen, die harte körperliche Arbeit gewohnt sind.

Pereira hat viel geleistet in seinem Leben – und schon einiges gesehen. Doch die Zustände in der Kleintierklinik des Tierspitals Zürich – das war neu für ihn. Und nicht akzeptabel. «Seither hat sich in meinem Leben noch einmal alles verändert», sagt er zum Beobachter.

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Letzten November veröffentlichte der Beobachter die Titelgeschichte «Brisante Bilder aus dem Tierspital». Zugespielt hatte uns die heimlichen Aufnahmen Pereira. Sie enthüllten einen Alltag in der Kleintierklinik, der aufrüttelt.

So war zu sehen, wie kranke Katzen und Hunde in eingetrockneten Exkrementen ausharren mussten. Es herrschten teils «klar tierschutzwidrige Zustände», stellte Julika Fitzi nach Analyse der Bilder fest. Sie leitet den Bereich Tierschutz beim Schweizer Tierschutz (STS).

Die Zustände erschütterten ihn

Die Enthüllung sorgte für Aufruhr. Im Dezember wurde auch der Zürcher Kantonsrat aktiv. Er verabschiedete einen Vorstoss, der den Regierungsrat zum Handeln aufforderte. Noch immer ist die Aufarbeitung nicht abgeschlossen.

Prix Courage des Beobachters: Bühne frei für mutige Menschen

Für Jorge Pereira hingegen endete die Geschichte abrupt – mit seiner Entlassung. Er, der Whistleblower, muss nun teuer dafür bezahlen.

Der heute 55-Jährige wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Portugal auf. Sein Vater sei ein Patriarch gewesen, erzählt er. Streng und unbarmherzig. «Er hat uns physisch und psychisch missbraucht», sagt Pereira, der kerzengerade dasitzt, die Hände im Schoss gefaltet. Um seiner Autorität zu entkommen, zog er früh von zu Hause aus, meldete sich freiwillig beim Militär und diente dort zwei Jahre als Fallschirmspringer. 2006 kam Pereira als Saisonnier in die Schweiz. Er arbeitete als Erntehelfer, dann in der Hotellerie und auf dem Bau. Dort verdiente er genug, um seine Frau und seine vier Kinder nachzuziehen.

Es waren harte Jobs. Doch was er im Tierspital angetroffen habe, sei auf einer ganz anderen Ebene erschütternd gewesen, sagt er. Pereira begann dort 2021 als Pflegehelfer im Nachtdienst.

«Es gab verdreckte Boxen, die nicht sauber geputzt wurden, verschimmeltes Essen, Blut am Boden, das nicht aufgewischt wurde, offene Wunden und schmutzige Verbände», sagt Pereira. «Manchmal lagen Tabletten in den Futterschalen und Boxen, die nicht richtig verabreicht worden waren.»

Kot in unverheilten Wunden

Dazu piepsten unablässig die Alarmtöne der Infusionsgeräte, die schlaff an den Tierkäfigen baumelten. Sie waren leer oder nicht richtig angeschlossen. Niemand hatte Zeit, die Geräte neu einzustellen oder die Beutel mit der Kochsalzlösung auszuwechseln.

Wenn Pereira seine Schichten antrat, seien Kot und Urin teilweise bereits auf dem Fell der Tiere eingetrocknet gewesen, vereinzelt gar in unverheilten Wunden. «Ich bin darum immer etwas früher hingegangen, um sauber zu machen, weil ich nachher keine Zeit mehr dafür hatte», sagt Pereira.

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Besonders belastet habe ihn aber die schlechte Arbeitsmoral. Viele hätten nur das getan, was minimal nötig war. Die Arbeit sei an denen hängen geblieben, die sich am stärksten für die Tiere interessierten. Die Mentalität sei gewesen: «Arbeit machen, heimgehen und vergessen, was passiert ist», bestätigte auch ein anderer Mitarbeiter.

«Betroffen sind Lebewesen, die sich nicht wehren können. Nur darum ist es überhaupt möglich, sie so zu behandeln», sagt Pereira. Dabei habe das Tierspital eine Ausbildungsfunktion. Die meisten angehenden Veterinärmedizinerinnen absolvieren dort obligatorische Arbeitseinsätze. Nur in Bern gibt es einen weiteren Ausbildungsstandort. Stossend fand Pereira auch, dass die Tierhalterinnen und Tierhalter keine Ahnung hätten, was in der Klinik mit ihren Haustieren passiert. Das wollte er ändern.

Also beschloss Pereira rund zwei Jahre nach Beginn seiner Arbeit, den Alltag in der Kleintierklinik mit seinem Handy zu dokumentieren. Heimlich. In der ständigen Gefahr, entdeckt zu werden. Wie bei seinem Vater damals muckte er auf. Er wollte nicht schweigen wie die anderen.

Er fühlt sich nicht ernst genommen

Als er genug Material gesammelt hatte, versuchte er, sich intern Gehör zu verschaffen. Er schrieb dem Klinikleiter im Februar 2024 einen Brief. Doch dieser verwies Pereira nur an dessen direkte Vorgesetzte. Dabei hatte er bereits zuvor ein Gespräch mit ihr geführt, das aber nichts änderte. Pereira sagt, er sei nicht ernst genommen worden. Als Pflegehelfer mit einem Stundenlohn von knapp 31 Franken stand er zuunterst in der Hierarchie.

Erst als er sich an den Ombudsmann wandte und dieser der Klinikleitung eine Mail schickte, geschah etwas. Sie legte im Juli 2024 einen Massnahmenplan vor, der gewisse Probleme eingestand. Doch der Plan verschwand in einer Schublade.

Pereira erfuhr überhaupt erst von der Existenz dieses Papiers, als der Beobachter das Tierspital mit den Vorwürfen konfrontierte. Weil er keine andere Möglichkeit sah, als die Bilder öffentlich zu machen, hatte er sich im Oktober 2024 an den Beobachter gewandt. Dafür musste er teuer bezahlen.

Er wird verhört und freigestellt

Zwei Tage vor der Enthüllung der Geschichte, als er seine Nachtschicht antreten wollte, wurde er von zwei Sicherheitsleuten abgefangen. Sie führten ihn in einen Raum, wo eine Anwältin der Uni Zürich, die Pflegeleiterin des Tierspitals und zwei weitere Personen warteten. Pereira wurde verhört.

Die Tierspital-Verantwortlichen verlangten, dass er sein Handy entsperre und seine Bilder und Videos offenlege – er weigerte sich. Einen Anwalt liess man ihn nicht beiziehen. Pereira wurde per sofort freigestellt. Und man drohte mit einer Strafanzeige wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung.

«Ich verstehe nicht, weshalb es nötig war, so brutal vorzugehen.»

Jorge Pereira

«Die ganze Situation war äusserst bedrückend und unangenehm», sagt er. «Ich verstehe nicht, weshalb es nötig war, so brutal vorzugehen.» Die Behandlung sollte ihn wohl spüren lassen: Er war ein Nestbeschmutzer.

Das Tierspital wies damals die Vorwürfe «in ihrer Vehemenz und Pauschalität» zurück. Sie kämen von einem Mitarbeiter, der mit seiner «persönlichen Situation in der Klinik unzufrieden ist». Und repräsentierten «keinesfalls die Gesamtheit der Klinikprozesse». Während der Nacht herrsche Notfallbetrieb mit reduziertem Personalbestand.

Pereira sagt dazu: «Ich war ja tatsächlich das Problem, weil ich mich getraut habe, etwas zu sagen.» Die meisten anderen hätten sich mit der Situation abgefunden und geschwiegen.

«Sein Mut ist aussergewöhnlich»

Seither kämpft Pereira juristisch gegen die Kündigung und die Verfügung, alle Aufnahmen zu löschen. Ein Kampf wie David gegen Goliath.

«Das Tierspital hat gefordert, dass ich die Anwalts- und Verfahrenskosten tragen muss, wenn ich das Rekursverfahren verliere», sagt Pereira. «Das wären Tausende Franken – das könnte ich nicht bewältigen. Ich arbeite jetzt als Reinigungskraft für den Mindestlohn, und meine Kinder studieren noch.» Das Rekursverfahren war bei Redaktionsschluss noch hängig. Wegen des noch laufenden Verfahrens wollte das Tierspital keine Stellung nehmen. Man bedauere, dass in diesem Fall kein anderer Weg habe gefunden werden können.

Jorge Pereira mit Hund auf einer Wiese - Jorge Pereira war Pflegehelfer am Tierspital Zürich. Er dokumentierte, wie verletzte Hunde und Katzen in ihrem Kot liegen mussten. Dann wurde er entlassen

Der Whistleblower finanziert das Studium seiner Kinder heute als Reinigungskraft im Mindestlohn.

Quelle: Joan Minder

«Jorge Pereiras Mut ist aussergewöhnlich», sagt Julika Fitzi. Die erfahrene Tierärztin und Juristin erhält viele Meldungen zu möglichen Tierschutzverstössen – doch häufig ziehen sich Whistleblower zurück, wenn sie mit Namen hinstehen müssten. Selbst wenn es nur private Tierhalterinnen oder kleinere Tierarztpraxen betrifft. Doch genau das sei wichtig und in einem Strafverfahren sogar notwendig.

Darum ist Jorge Pereira für den Prix Courage nominiert. Und bereit, seine Identität preiszugeben – obwohl er sich nicht gern exponiere, wie er betont. «Doch ich möchte, dass sich die Zustände im Tierspital wirklich verbessern, und erhoffe mir so, dazu beizutragen.»

Ob er es wieder tun würde, im Wissen um all die Konsequenzen? Ja, sagt er sofort. «Ich erhoffe mir von allen, dass sie die Augen nicht vor Missständen verschliessen und dieses schöne Land und seine Werte schützen. Und den Mut haben, etwas zu ändern.»

Seine Tierliebe kostete ihn den Job: Jorge Pereira

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Jorge Pereira dokumentierte, wie verletzte Hunde und Katzen am Zürcher Tierspital in ihrem Kot liegen mussten. Dann wurde er entlassen.
Quelle: Beobachter Bewegtbild
Quellen
  • Private Aufnahmen aus dem Tierspital
  • Interne Dokumente Kleintierklinik universitäres Tierspital Zürich
  • Interne Dokumente zum Rekursverfahren der Universität Zürich
  • Interpellation Kantonsrat Zürich