Der öffentliche Verkehr ist noch längst nicht für alle zugänglich. Vor allem nicht für Personen mit Behinderungen. «Lücken zwischen Perron und Zug, steile Einstiegsrampen und zu kurze Handläufe machen ihnen das Leben schwer», erklärt Caroline Hess-Klein, Leiterin Gleichstellung bei Inclusion Handicap.

Ganz besonders war das im Fernverkehrszug FV-Dosto so. Bekannt als «Schüttelzug», verkehrt er in der ganzen Schweiz. Zuletzt zog er Mitte September die Aufmerksamkeit auf sich, als der Zug vom Bundesamt für Verkehr BAV auf seine Barrierefreiheit getestet wurde – von Personen ohne Behinderung. Das zeigen Videos, die dem SRF vorliegen.

Ein wichtiges Gerichtsurteil für die Barrierefreiheit

Die Tests erfolgten im Nachgang zu einem Urteil des Bundesgerichts. Gegen die Unzugänglichkeit des FV-Dosto hatte sich Inclusion Handicap gewehrt – und bekam vor zwei Jahren in einem entscheidenden Punkt Recht: Das Gericht entschied, dass das BAV bei der Zulassung des FV-Dosto hätte prüfen müssen, ob mobilitätsbehinderte Menschen den Ein- und Ausstieg in Zügen selbständig und sicher nutzen können. Dass die einzelnen Hindernisse für sich betrachtet den Vorschriften entsprechen, reiche nicht. Betroffene müssten auch aufeinanderfolgende Hindernisse im Zug selbständig meistern können.

Ein Beispiel: Die Lücke zwischen Perron und Zug sowie die darauffolgende Rampe können einzeln betrachtet vorschriftskonform sein. Aber wenn ein Rollstuhl über die Lücke direkt auf die Rampe rollt, kann er trotzdem kippen. Das Urteil versprach Besserung – für Inclusion Handicap war das ein Meilenstein. Doch es kam anders.

Neues Eisenbahngesetz heisst: zurück zum Status quo

Im September hat das Parlament das neue Eisenbahngesetz angenommen, aktuell läuft die Referendumsfrist. Neu ist: Für die Zulassung ist nun die Eisenbahnagentur der Europäischen Union ERA zuständig. Und die ist nicht an das Dosto-Urteil des Bundesgerichts gebunden. «Nun muss wieder niemand kontrollieren, ob Betroffene die Abfolge von Hindernissen selbständig meistern können», so Hess-Klein. Zurück zum Status quo also. Obwohl Bundesrat Albert Rösti in der parlamentarischen Debatte beteuert hatte, dass Personen mit Behinderung mit dem neuen Gesetz nicht schlechter gestellt würden als zuvor.

Das BAV steht hinter Röstis Aussage. Zudem sei nicht nachvollziehbar, wieso behinderte Personen Züge nicht selbständig nutzen könnten, wenn die einzelnen Hindernisse vorschriftskonform sind. Das Urteil des Bundesgerichts betreffe nur den FV-Dosto, sprich: Eine so strenge Prüfung sei nur da vorgesehen. Der Zug sei schmaler und die Platzverhältnisse enger als in anderen Zügen, erklärt Andreas Windlinger, Leiter Kommunikation beim BAV.

Hess-Klein kann darüber nur den Kopf schütteln: «Selbstverständlich ist das Urteil auch für künftige Fälle zur Zugänglichkeit des ÖV für Menschen mit Behinderungen massgebend. Und dass es um mehr geht als nur um technische Vorschriften, hat das Bundesgericht unmissverständlich klargemacht.»

Inclusion Handicap will dranbleiben. «Wir prüfen konkrete Schritte.» Doch: Das Referendum gegen das neue Eisenbahngesetz zu ergreifen, sei keine Option. Denn grundsätzlich würde die Vereinfachung des grenzüberschreitenden Bahnverkehrs ja unterstützt, meint Hess-Klein: «Davon sollen aber alle profitieren können.»