Jeder Femizid ist einer zu viel
Männer, wir müssen diese Gewalt beenden!
Gewalt von Männern gegen Frauen ist alltäglich. Das muss sich ändern. Wo wir anfangen sollten.

Veröffentlicht am 12. November 2025 - 14:05 Uhr

Immer wieder sind es Betroffene selbst oder Verbündete von Betroffenen, die auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen. Wie hier an der Wand einer Unterführung.
Quelle: Martin Müller/Imago ImagesDie Polizei konnte nur noch den Tod der 65-Jährigen feststellen. Der mutmassliche Täter, der 78-jährige Ehemann, wurde ebenfalls leblos im gemeinsamen Wohnhaus in Truttikon ZH gefunden. Das war Anfang November. Nach aktuellem Kenntnisstand dürfte der Mann seine Ehefrau und danach sich selbst getötet haben, wie die Kantonspolizei Zürich mitteilte.
Das Tötungsdelikt war kein Einzelfall. Seit Beginn des Jahres wurden in der Schweiz mindestens 25 Frauen durch Männer umgebracht. Im Durchschnitt stirbt jede zweite Woche eine Frau durch einen Mann. Oft sind die Täter Ex-Partner, Familienmitglieder, Bekannte.
Die Schweizer Gesellschaft hat ein Problem, und es heisst Männergewalt. Männer, die Frauen töten. Männer, die Frauen vergewaltigen. Männer, die Frauen schlagen. Laut dem Bundesamt für Statistik sind Opfer von vollendeten Tötungsdelikten in einer ehemaligen oder bestehenden Paarbeziehung fast ausschliesslich Frauen (93 Prozent). Während die Tatverdächtigen vorwiegend männlich sind.
Die ganz normale Normalität
Es gäbe also – von Mann zu Mann – einiges zu sagen. Aber wir Männer schweigen. Femizide werden wie private Tragödien behandelt. Und nicht als systemisches Problem. Wir tun einfach so, als wären das Einzelfälle, die nichts miteinander zu tun haben.
Das stimmt aber nicht. Es gibt einen gemeinsamen Nenner. Und der lautet: Täter sind Männer. Dagegen braucht es politische Massnahmen. Und es braucht mehr Engagement von uns Männern im privaten und im öffentlichen Raum, um gegen Männergewalt vorzugehen.
Hier eine nicht vollständige Liste von Vorschlägen, wo wir anfangen könnten:
Was Männer gegen Männergewalt tun können
- Darüber sprechen. Und zwar mit anderen Männern. «Hast du von diesem Femizid in Truttikon gehört?» Oder: «Dominique Pelicot hat seine Frau betäubt und von mindestens 51 Männern vergewaltigen lassen. Wie kann es sein, dass keiner intervenierte?»
- Sich selbstkritisch beobachten: Wann habe ich mich gegenüber einer Frau übergriffig verhalten?
- Übergriffige Freunde, Kollegen, Chefs nicht ignorieren, weil sie «schon immer so waren». Oft beginnt physische Gewalt mit verbalen Abwertungen. Studien zeigen: Männer hören eher auf Männer, die gegen Abwertung einschreiten.
- Übergriffige Männer nicht direkt «sozial ächten», wenn sie Grenzen überschreiten. Das kehrt das Problem unter den Teppich und tabuisiert die Gewalt. Besser ist, in einen Austausch zu kommen – unter Männern.
- Die Polizei informieren, wenn es Anzeichen für einen bevorstehenden Gewaltausbruch gibt. In vielen Kantonen gibt es ein speziell geschultes Bedrohungsmanagement, um potenzielle Gefährder präventiv anzusprechen.
- Hilfe suchen. Es gibt zahlreiche Angebote für Männer, die gewalttätige Verhaltensmuster an sich selbst beobachten und darunter leiden. Zum Beispiel das Mannebüro Züri, die Fachstelle Gewalt in Bern oder Konflikt.gewalt in verschiedenen Kantonen. Die Angebote sind kostengünstig und anonym.
Kein gutes Zeugnis
Die gute Nachricht ist: Es tut sich etwas. Das Angebot der Täterprogramme in den Kantonen wächst. Bund und Kantone haben bereits 2021 ein ganzes Massnahmenpaket zum Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt beschlossen. Seit 2024 gilt im Sexualstrafrecht: Nein heisst Nein. Im November 2025 stellte die Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider die erste nationale Präventionskampagne gegen häusliche, sexuelle und geschlechtsbezogene Gewalt vor.
Trotzdem bleibt viel Luft nach oben. Die Journalistinnen Miriam Suter und Natalia Widla haben in ihrer Analyse «Niemals aus Liebe. Männergewalt an Frauen» konkrete Problemfelder benannt.
Anders als in anderen Ländern wie zum Beispiel Schweden gibt es in der Schweiz keine zentrale Stelle, die Daten zu Gewalt gegen Frauen erfasst. Diese Daten wären wichtig, um gezielte Massnahmen zu entwickeln. Es braucht mehr Geld für Frauenhäuser und Beratungsstellen. Diese sind kantonal unterschiedlich aufgestellt und notorisch unterfinanziert. Die Einführung einer nationalen dreistelligen Notfallnummer für Gewaltopfer wurde um ein Jahr bis 2026 verschoben. Die Umsetzung der Istanbul-Konvention, ein internationales Abkommen zum Schutz von Frauen und Mädchen, läuft schleppend.
Das sind nur einige Beispiele. Sie stellen der Schweiz kein gutes Zeugnis aus, was den Schutz von Frauen angeht.
«Die Scham muss die Seiten wechseln», hat Gisèle Pelicot immer wieder vor Gericht gesagt. Wir sollten der Frau zuhören, die von über 50 «ganz normalen» Männern vergewaltigt wurde. Männer, es ist an uns. Wir müssen diese Gewalt beenden.
Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 19. April 2025 veröffentlicht und am 12. November 2025 aktualisiert.
- Medienmitteilung Kapo Zürich: Truttikon: Zwei tote Personen in Wohnhaus aufgefunden
- Medienmitteilung BFS: Zusatzerhebung der polizeilichen Kriminalstatistik liefert vertiefte Einblicke zu Tötungsdelikten
- Medienmitteilung Kapo Bern: Lyss: Frau und Mann leblos aufgefunden – Verdacht auf Tötungsdelikt und Selbsthandlung
- Medienmitteilung Kapo Freiburg; Drama in Epagny
- Hintergrund: «Niemals aus Liebe. Männergewalt an Frauen»; Sachbuch mit zahlreichen sehr konkreten Beispielen zu Gewaltmustern und Strategien zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen
- Hintergrund: Gegen Frauenhass; Sachbuch der Rechtsanwältin Christina Clemm mit Fallbeispielen und Strategien gegen sexualisierte Gewalt
- Übersicht: Beratungs- und Fachstellen für Männer in der Schweiz, die gewalttätig werden oder selber Opfer werden von Gewalt; kostenlos oder kostengünstig und anonym
- Anleitung: Handbuch für die Arbeit mit gewaltausübenden Personen
- Zahlen: Umfrage zu Sexualität, Beziehungen und sexueller Gewalt in der Schweiz; GFS (2022)
- Zahlen: Jahresbericht 2024 der polizeilich registrierten Straftaten
- Roadmap: Strategischer Dialog «Häusliche Gewalt» von Bund und Kantonen
- Dokumentation: Eine Übersicht über polizeilich bekannt gewordenen Femizide in der Schweiz seit 2022




