Ein Mann tötet seine Ex-Frau und die gemeinsamen 3- und 10-jährigen Kinder. Der Femizid vor gut einer Woche im Kanton Neuenburg hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Mit bereits 22 Tötungsdelikten im laufenden Jahr befürchten Expertinnen einen neuen Rekordwert für 2025.

Beobachter: Nora Markwalder, als Kriminologin untersuchen Sie solche Delikte und haben Studien für den Bund dazu verfasst. Gibt es tatsächlich einen dramatischen Anstieg bei den Femiziden?
Nora Markwalder:
Nein, davon kann man derzeit nicht sprechen. Wenn man die letzten 30 Jahre betrachtet, haben diese Delikte sogar leicht abgenommen. In den letzten Jahren stagnieren die Zahlen. Im laufenden Jahr sind die Fallzahlen zwar etwas höher, aber von einem wirklichen Trend nach oben würde ich nicht sprechen. Jährliche Schwankungen gibt es immer. Insgesamt sind diese Zahlen in der Schweiz relativ konstant.

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Sie arbeiten mit einer speziellen Falldatenbank. Wie unterscheiden sich diese Zahlen von den Polizeistatistiken in der abgebildeten Grafik (oben)?
Wir haben Zugang zu den Akten der Tötungsdelikte und erhalten so auch detaillierte Informationen zu den Umständen und möglichen Motiven. Wir konzentrieren uns auf Fälle, die strafrechtlich untersucht und abgeschlossen sind. Die Zahlen liegen aber sehr nahe bei den Polizeistatistiken. Manchmal sind es ein oder zwei Fälle weniger, was an Freisprüchen liegen kann.
 

Zur Person

Wie viele Fälle zählen Sie durchschnittlich pro Jahr?
Wenn man die breitere Femizid-Definition nimmt – Frauen, Kinder, Prostituierte – schwankt die Zahl um die 20 pro Jahr. Für die knappere Definition «Frau in einer Partnerschaft» liegen wir bei etwa 14 Fällen jährlich.

Sind Ihre Daten öffentlich zugänglich?
Leider nicht mehr, obwohl alle Fälle von uns anonymisiert werden. Die Datenschutzbestimmungen haben sich verschärft, weshalb die Datenbank nicht veröffentlicht werden kann.

«Eigentlich beschreibt Femizid ja die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts.»

Sie arbeiten nicht mit dem Begriff Femizid. Warum?
Femizid ist nicht einheitlich definiert und wird von unterschiedlichen Organisationen anders genutzt. In der Wissenschaft ist das problematisch. Eigentlich beschreibt Femizid ja die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts – also motiviert durch patriarchale Strukturen, Frauenhass oder geschlechtsspezifische Machtverhältnisse. Das erfassen aber weder die amtlichen Statistiken noch unsere Daten vollständig. Motive sind ja oft schwer belegbar. Die Uno zum Beispiel definiert Femizid sehr breit. Es werden alle Tötungen von Frauen erfasst, auch wenn Mütter zum Beispiel ihre neugeborene Tochter töten. Das ist doch sehr fragwürdig. Es gibt auch Fälle, in denen ältere Männer ihre schwer kranke Frau töten, aus einem subjektiven Liebesmotiv, um Leid zu ersparen. Da stösst die Femizid-Definition an Grenzen. Wir konzentrierten uns deshalb auf die Tötung von Partnerinnen, aber auch von Prostituierten. Hier spielen geschlechtsspezifische Feindlichkeitselemente oft eine Rolle.

Sollte man den Begriff Femizid in der Debatte grundsätzlich vermeiden?
Nein, überhaupt nicht. Dem Begriff haben wir – auch wenn er unscharf ist – die wichtige öffentliche Debatte zu verdanken. Er hilft, die Gewalt an Frauen sichtbar zu machen, die früher oft als «Familiendrama» verharmlost wurde.

Wie erfassen Sie bei Ihrer Arbeit die Motive von Tätern?
Wir codieren, was die mutmasslichen Motive sind. Im Bereich Femizid ist das häufig Eifersucht. Vor allem eine Trennung oder der Wunsch der Partnerin, sich zu trennen, sind oft ein Auslöser. Meist ist das kombiniert mit der Angst vor einem Kontrollverlust. Solche Erkenntnisse sind extrem wichtig für die Prävention.

«In der Hälfte der Fälle ist die Trennung ein wesentlicher Faktor für das Tötungsdelikt.»

Sind auch die Motive für Femizide konstant geblieben? Oder gibt es dazu neue Erkenntnisse?
Die Risikofaktoren sind seit Jahrzehnten stabil. Auch international, insbesondere in Europa, sind es die gleichen Muster: Täter sind meist Männer, die bereits Gewalt angewendet haben – auch teilweise im ausserhäuslichen Bereich.
 

Was genau weiss man über die Risiken in Trennungssituationen?
In ungefähr der Hälfte der Fälle ist die Trennung ein wesentlicher Faktor. Viele Männer können den Verlust von Kontrolle über ihre Partnerin nicht akzeptieren. Viele haben eine Vorgeschichte von häuslicher Gewalt, sind polizeibekannt, haben teils Vorstrafen. Sie neigen generell zu gewalttätigem Verhalten, lösen Konflikte mit Gewalt. Ihr Verhalten ist geprägt von Kontrollzwang. Sie überwachen Handys, Kontakte und schränken die Partnerin extrem ein. Alkohol- und Drogenkonsum sind ebenfalls häufig zu beobachten. Daneben gibt es auch eine andere Tätergruppe, bei der psychische Krisen wie schwere Depressionen und Suizidgedanken eine Rolle spielen. Das sind Fälle von Homizid-Suiziden, bei denen oft ganze Familien getötet werden.
 

Hilfe in persönlichen Krisen

Werden die Täter angemessen bestraft?
Es steht eine Veröffentlichung zur strafrechtlichen Behandlung von Femiziden an. Interessanterweise zeigen unsere ersten Analysen, dass Partnertötungen nicht milder bestraft werden als andere Tötungsdelikte. Im Gegenteil, die Strafen sind oft genauso lang oder länger.
 

Wie könnten Taten durch Prävention verhindert werden?
Bei Männern mit einer gewalttätigen Vorgeschichte ist der Schutz der Frauen in einer Trennungsphase zentral. Technische Hilfsmittel wie elektronische Überwachung können hier helfen. Niederschwellige Angebote und Beratung sind ebenso wichtig. Bei den psychisch kranken Tätern ist es deutlich schwieriger, weil es oft keine Hinweise auf Gewalt im Vorfeld gibt. Hier ist das soziale Umfeld gefragt, aufmerksam zu sein und Betroffenen Hilfe anzubieten.
 

«Nationalität allein erklärt nichts. So wenig wie die Feststellung, dass Männer die Täter sind.»

Und wie können potenzielle Opfer geschützt werden?
Es gibt keine Risikofaktoren bei den Frauen selbst – sie machen nichts falsch. Wichtig sind sichere, leicht zugängliche Frauenhäuser, Beratungen, rechtlicher Beistand, auch mit Mehrsprachigkeit.

Wie sieht es mit Migrantinnen und Migranten als Opfer und Täter aus?
Der Anteil ist überproportional hoch, das sehen wir in vielen Studien. Nationalität allein erklärt aber nichts. So wenig wie die Feststellung, dass Männer die Täter sind. Bildung, Sozialisation, patriarchale Rollenbilder und soziale Isolation spielen sicher eine Rolle. Migration bedeutet auch Stress, geringe Ressourcen und weniger soziale Kontrolle, was Gewalt begünstigen kann. Hier besteht Forschungsbedarf, um diese komplexen Zusammenhänge besser zu verstehen.
 

Können Sie auch etwas zu neuen Formen des Frauenhasses sagen? Fördern frauenverachtende Figuren wie die in sozialen Medien präsenten Tate-Brüder solche Gefühle?
Mit unseren Daten können wir mögliche Zusammenhänge zwischen online geprägten Misogynie-Phänomenen und tatsächlichen Gewalttaten nicht messen. Aber Online-Inhalte beeinflussen ja nicht zwangsläufig das Verhalten. Es ist wie bei der alten Diskussion, ob etwa Computerspiele aggressives Verhalten fördern. Wissenschaftlich ist das nicht eindeutig belegbar.

Quellen