Personen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, sollen per Strafbefehl des Landes verwiesen werden können. Das will der Nationalrat mit einer Motion erreichen, die er an den Bundesrat überwiesen hat. 

Die grosse Kammer will damit die Gerichte entlasten. Es sollen nicht mehr Richter, sondern Staatsanwälte die Landesverweisungen aussprechen. In einem schnelleren Verfahren. 

Mit Verlaub: Da zäumt der Nationalrat das Pferd am Schwanz auf. Damit entlastet er nämlich vielleicht die Gerichte ein bisschen. Aber er belastet gleichzeitig die Staatsanwaltschaften massiv. Obwohl sie schon heute völlig am Anschlag arbeiten und deshalb Fehler machen. 

Partnerinhalte
 
 
 
 

Fehler in Strafbefehlen haben massive Konsequenzen

So verurteilte eine Staatsanwaltschaft zum Beispiel einen Beschuldigten zu 287 Tagen Haft, obwohl sie gemäss Gesetz nur Strafen bis zu 180 Tagen verhängen darf. Einmal verurteilte sie einen Autofahrer, ohne vertieft abzuklären, ob wirklich er am Steuer sass. Der Autofahrer musste selbst die Beweise erbringen und wurde schliesslich freigesprochen. 

Für den Fehlbefehl des Jahres nominiert der Beobachter seit 2023 Fehlleistung um Fehlleistung. Kommt dazu: Solche Fehler werden nur schlecht erkannt und korrigiert, weil das Strafbefehlsverfahren rechtsstaatlich fragwürdig ist. 

«Ohne ausreichend Personal wäre ein Ausbau des Strafbefehlsverfahrens schlicht gefährlich.»

Christoph Ill, oberster Schweizer Strafverfolger, im Mai 2025

Sollen diese überlasteten Staatsanwälte tatsächlich die Lösung für die Entlastung der Justiz sein? Sie selbst wollen das nicht: «Dieses Mass an Macht wollten wir nie», sagte Christoph Ill, der oberste Schweizer Strafverfolger, unlängst gegenüber dem Beobachter. «Ohne ausreichend Personal wäre ein Ausbau des Strafbefehlsverfahrens schlicht gefährlich.»

Und sollen die überlasteten Staatsanwälte in diesem problematischen, intransparenten Verfahren auch noch Entscheide fällen, die für Betroffene so weitreichende Konsequenzen haben wie eine Landesverweisung? 

Die Mehrheit des Nationalrats beruhigt: Die Beschuldigten hätten ja weiterhin die Möglichkeit der Einsprache innerhalb von zehn Tagen, um das ordentliche Verfahren in Gang zu setzen. 

Fachleute kritisieren das Strafbefehlsverfahren 

Das ist schon fast zynisch. Denn diese zehn Tage sind für Rechtsmittelfristen unüblich kurz (in der Regel sind es 30 Tage), die Strafbefehle werden nicht selten fiktiv zugestellt, wenn der Wohnort des Beschuldigten nicht bekannt ist, und nur teilweise in eine Sprache übersetzt, die Ausländer verstehen. So wurde etwa ein Afghane ohne Übersetzung gedrängt, auf sein Einspracherecht zu verzichten. Und es kam sogar vor, dass Menschen im Gefängnis sassen, ohne zu wissen, wieso überhaupt. Und das in der Schweiz. 

Fachleute wie der Strafrechtsprofessor Marc Thommen kritisieren das Strafbefehlsverfahren deshalb seit längerem. Es ist gar fraglich, ob Freiheitsstrafen per Strafbefehl mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sind.

Und genau wegen dieser rechtsstaatlichen Mängel hat der Gesetzgeber das Strafbefehlsverfahren auf weniger schwere Straftaten mit tiefen Sanktionen beschränkt – nämlich auf Freiheitsstrafen von maximal sechs Monaten und Geldstrafen von maximal 180 Tagessätzen.

Staatsanwaltschaften sollten nicht noch mehr Macht erhalten

Eine Landesverweisung kann aber für mindestens drei Jahre oder länger sowie auf Lebenszeit ausgesprochen werden. Darum – egal, welche politische Couleur man trägt – sollten Staatsanwaltschaften nicht noch mehr Macht erhalten.

Niemand möchte Kriminaltouristen, und sie sollen auch nicht verharmlost werden. Ein hartes Durchgreifen ist richtig und wichtig. Doch bitte mit einer Justiz, die eines Rechtsstaats würdig ist. 

Bevor man über Landesverweise per Strafbefehl überhaupt diskutiert, müssen Staatsanwaltschaften genug Personal und Mittel haben und die rechtsstaatlichen Mängel dieses Schnelljustiz-Verfahrens behoben werden.

Das Geschäft geht nun an den Ständerat als Zweitrat. 

Quellen