Navid Jensen* wendet sich in seiner Verzweiflung an den Beobachter: «Wir fühlen uns gefangen in einer Situation, die unsere Lebensqualität stark verschlechtert hat. Und es scheint nichts zu geben, das uns davon befreien kann.»

Was ist passiert? Jensen wohnt mit seiner Partnerin in einer Mietwohnung am Rande der Stadt Zürich. Seit Dezember 2015 finden im und ums Haus vorbereitende Bauarbeiten statt – offenbar ist da etwas in Planung. Doch trotz mehrmaligem Nachfragen gibt es vonseiten der Verwaltung vorerst keine Informationen. Erst am 4. August dieses Jahres erreichte ihn – nach mehrmaligem Nachfragen – ein Brief der Verwaltung. Darin wurde angekündigt, dass von Anfang September 2016 bis März 2017 mit «schweren und lärmintensiven Bauarbeiten» zu rechnen sei. Auf dem Dach würden drei neue Attikawohnungen gebaut, schreibt die Verwaltung. Es werde also schlimmer statt besser, beklagt sich Jensen, denn er wohne im zweitobersten Stockwerk.

In einem späteren Schreiben wird den Mietern für den besonders lärmintensiven Monat Oktober rückwirkend eine Mietreduktion von 50 Prozent gewährt. Wie hoch diese Reduktion in den weiteren Monaten ausfallen wird, entscheidet sich ebenfalls kurzfristig: «Wir werden die entstandenen Lärmimmissionen jeden Monat neu beurteilen und den Mietern eine angemessen Reduktion zugestehen», sagt die Verwaltung auf Anfrage des Beobachters.

Lärm von früh bis spät

Seit bald einem Monat sind die Bauarbeiten auf dem Dach nun im Gang. «Es kommt regelmässig zu Erschütterungen, und in der Wohnung bröckelt es von den Wänden wie auch von der Decke», beklagt sich Jensen. «Unser Lavabo ist ebenso zerbrochen wie verschiedene Vasen.» Ausserdem sei der Parkplatz vor dem Haus nicht mehr benutzbar, seit dort schwerer Bauschutt runtergefallen sei. «Das überschreitet jede Toleranzgrenze und schädigt irgendwann auch unsere Gesundheit.» Bild- und Videoaufnahmen, die dem Beobachter vorliegen, bestätigen die schwierigen Zustände.

So laut wird es in der Wohnung: Video eines Mieters

Die Erschütterungen waren so stark, dass selbst das Waschbecken in die Brüche ging. (Foto: Privat)

Quelle: Getty Images

Jensen ist verzweifelt: Er konnte die Wohnung nicht rechtzeitig künden, da der Infobrief der Verwaltung mehr als zwei Monate nach dem regulären Kündigungstermin eingetroffen ist. Die Suche nach einem Nachmieter ist ebenfalls schwierig, denn: «Wer zieht schon in eine solche Wohnung ein?», fragt er sich. Müssen die beiden nun bis Ende März ausharren – oder gibt es einen Ausweg?

Liegt ein schwerer Mangel vor?

«Im Nachhinein kannst du tatsächlich nicht mehr viel tun», sagt Daniel Leiser, Experte Fachbereich Wohnung im Beobachter-Beratungszentrum. Es handle sich hier um ein klassisches Spannungsverhältnis zwischen den Interessen von Mieter und Vermieter. «Selbstverständlich hat der Mieter ein Anrecht auf Lebensqualität. Andererseits hat der Hauseigentümer auch das Recht, seine Liegenschaft bei Bedarf zu renovieren. Davon profitierten mittelfristig auch die Mieter.»

Bei Renovationsbedarf gebe es für den Vermieter zwei Möglichkeiten, erklärt Leiser: «Entweder kündigt er sämtlichen Mietern und vollzieht eine Totalsanierung. Oder er gewährt eine faire Mietreduktion, bittet die Mieter um Nachsicht und kümmert sich umgehend um Mängel, die im Zusammenhang mit den Bauarbeiten entstehen.»

Für grosse Umbauarbeiten – verbunden mit Staub, Gips oder Mauerschutt – ist eine Mietzinsreduktion von bis zu 60 Prozent vorgesehen. Das muss im Einzelfall entschieden werden. Doch bis eine Wohnung als «unbewohnbar» gilt, brauche es viel, so Leiser: «Beispielsweise ein grosses Loch im Boden oder ein vollständiger Heizungsausfall im tiefsten Winter.»

Daniel Leiser, Beobachter-Experte

Quelle: Getty Images

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Der Verwaltung könne man in diesem Fall einzig vorwerfen, die Mieter bewusst zu spät über das Bauvorhaben informiert zu haben. «Das kommt häufig vor», weiss Leiser aus Erfahrung: «Die Hauseigentümer hoffen so, zu verhindern, dass jemand rechtzeitig ausziehen kann». Dieses Vorgehen sei zwar verwerflich, aber nicht widerrechtlich. Die Verwaltung wehrt sich gegen diesen Vorwurf: «Nach Bekanntgabe des Baubeginns haben wir die Mieter umgehend schriftlich informiert. Der Eigentümer der Liegenschaft hat zu spät bemerkt, dass die Baubewilligung bald abläuft, und sofort gehandelt.»

Immerhin könnte es sich für den Vermieter dann zum Bumerang entwickeln, wenn der Mieter mit einer Kündigung droht. Bei einer Kündigung gilt nämlich in den Mieträumlichkeiten und im direkten Umfeld der Mietwohnung ein striktes Renovationsverbot.



* Name geändert

Tipps von Beobachter-Experte Daniel Leiser

Falls in der Nähe Ihrer Wohnung ein grösseres Bauvorhaben angekündigt wird, dann sollten Sie folgende Punkte beachten:

 

  1. Informieren Sie sich umgehend bei der Verwaltung oder der Bauherrin im Detail über das Bauvorhaben. Wie lange dauert es? Mit welchen Lärmimmissionen ist zu rechnen? Und wie hoch fällt eine allfällige Mietreduktion aus?
     
  2. Wollen Sie weder während der Bauphase noch nach der Sanierung dort wohnen bleiben, verhandeln Sie mit der Vermieterschaft bzw. Verwaltung frühzeitig einen individuellen Auszugstermin aus, ohne dass Sie einen Nachmieter suchen müssen. Weisen Sie dabei auf Ihr Kündigungsrecht und das damit zusammenhängende mietrechtliche Renovationsverbot hin. Erfahrungsgemäss lenken die meisten Vermieter dann ein, damit der enge Terminplan beim Umbau eingehalten werden kann.
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