Parlament: Wer in Bern nach vorne drängt

Nationalrätin Lisa Mazzone ist jung, grün und für viele eine Provokation. Im Saal spricht keine Frau mehr als sie. Die Genferin tritt so oft ans Rednerpult, dass sich einzelne Parlamentarier über sie ärgern. «Sie ist Sprecherin von allem, aber eine Expertin in nichts», musste sich Mazzone mehrfach anhören. Gesagt hat das ein Politiker in der Zeitung «Le Temps». Anonym. 

Frauen wie Lisa Mazzone sind die Ausnahme. Die Vielredner im Nationalrat sind Männer. Rekordhalter ist Balthasar Glättli von den Grünen (GP). Das ergibt die erstmalige Auswertung von Videoaufzeichnungen der Parlamentsdienste. Dafür analysierte der Beobachter die ersten drei Jahre der laufenden Legislatur und wertete 867 Stunden Redezeit im Parlament aus (siehe «Die Analyse»)

Glättli sprach in den drei Jahren insgesamt 10 Stunden und 45 Minuten. SVP-Nationalrätin Barbara Keller-Inhelder stand dagegen nur 5 Minuten vor dem Mikrofon. Dieser Unterschied mag ein Extrem sein. Klar ist: Weibliche Ratsmitglieder stehen im Schnitt deutlich kürzer am Rednerpult als ihre männlichen Fraktionskollegen – und zwar in allen Parteien. 

Die Analyse zeigt zudem, dass noch ein weiterer Redezeit-Graben den Nationalratssaal durchzieht. Grüne und Grünliberale reden im Schnitt mehr als doppelt so lang wie SVPler – unabhängig vom Geschlecht (siehe Ranglisten Nationalrat / Ständerat)

«Dass Frauen weniger sprechen als ihre männlichen Parteikollegen, weist auf ein strukturelles Problem hin», sagt Lisa Mazzone bei einem Mineral in einem Strassencafé vor dem Bundeshaus. «Frauen sprechen eher dann, wenn sie sich als Expertinnen fühlen.» Das sei zwar ein Klischee, aber es stimme halt auch. «Die Genderrollen sind eine Realität, auch im Parlament.» 

Kompetenz abgesprochen

Sie rede so viel im Rat, weil sie die französischsprachige Sprecherin der Grünen sei, sagt Mazzone. «Bei uns reden alle automatisch mehr, weil die Arbeit – anders als bei grossen Parteien wie der SVP – auf wenige Schultern verteilt ist.» Als Oppositionspartei wolle man den eigenen Standpunkt darlegen, auch um allenfalls von den Medien zitiert zu werden. 

Dass Kritiker ihr die Kompetenz absprechen, nur weil sie oft spricht, beschäftigt Lisa Mazzone. «Vielleicht ist man als junge Frau häufiger mit solcher Kritik konfrontiert», sagt die 31-Jährige. Selbstkritisch habe sie bei sich nach Fehlern gesucht und sei nun noch besser auf ihre Voten vorbereitet. 

Noch mehr als Lisa Mazzone sprechen die drei grössten Vielredner des Nationalrats. Sie reden mindestens dreimal so lang wie der Durchschnitt, der 3 Stunden und 9 Minuten beträgt. Aussergewöhnlich findet das aber niemand. 

Balthasar Glättli erklärt seinen Rederekord mit Logik. Erstens hätten die Grünen nur wenige Sitze im Nationalrat. Zweitens gebe er als Fraktionschef die Fraktionsmeinung wieder, was zu mehr Redezeit führe. Drittens, widerspiegle die Rangliste des Beobachters bloss die parlamentarischen Aufgaben der einzelnen Ratsmitglieder. «Entscheidend ist die Kommissionsarbeit. Wer in vielen Kommissionen sitzt und deren Positionen wiedergibt, redet logischerweise mehr», sagt der 47-Jährige in der Wandelhalle des Bundeshauses. 

Balthasar Glättli
Quelle: Gaetan Bally/Keystone
Das Märchen vom stillen Schaffer

Sein Redefluss werde ebenfalls kritisiert. Bürgerliche Politiker hätten ihm bei Debatten zu Armeefragen und Waffenrecht die Kompetenz abgesprochen. «Wenn ich mich im Zusammenhang mit meiner Kommissionsarbeit zu Themen äussere, die nicht ‹grün› im engeren Sinne sind, habe ich auch aus der Bevölkerung Bemerkungen erhalten, ich solle mich doch mit dem Schutz von Fröschen beschäftigen und den Rest anderen überlassen», erklärt Fraktionschef Glättli und eilt zur nächsten Sitzung. 

Vielredner Beat Flach, 54, argumentiert ähnlich. Bei den Grünliberalen spreche jedes Mitglied mehr, weil die Fraktion klein sei. Er amte zudem bei diversen Themen als Fraktionssprecher. Der Nationalrat sei «ein PARLament und kein Skriptorium.» Wer nichts sage, dem werde auch nicht zugehört. «An das Märchen vom stillen Schaffer glaube ich nicht.» 

Karl Vogler, der im Nationalrat am drittlängsten spricht, sagt: «Wer sich bei der Kommissionsarbeit einbringt, spricht auch mehr im Rat.» Viel Redezeit bedeute viel Engagement, erklärt der 63-Jährige. Zudem sei er von seinen beiden Kommissionen und der CVP-Fraktion für verschiedenste Geschäfte zum Sprecher gewählt worden. 

Es braucht eine kritische Masse

Wer im Rat wie viel spricht, ist zwar ein Dauerthema. Aber um Geschlechterunterschiede ging es bisher noch nie. Dabei stellen sich Fragen: Führt die Kultur im Parlament zu weniger Wortmeldungen von Frauen? Oder sinkt deswegen gar ihr Interesse an der Politik Fakten zum Parlament Wie gut das Volk im Bundeshaus wirklich vertreten ist ? Jedenfalls stagniert der Frauenanteil im Nationalrat – im Ständerat geht er seit rund zehn Jahren zurück. In diesem Herbst stellt sich mit Brigitte Häberli-Koller nur eine einzige Ständerätin zur Wiederwahl.

Marlène Gerber hat Geschlechterunterschiede bei Parlamentsreden wissenschaftlich untersucht. Die 33-jährige Politologin der Universität Bern publiziert im September eine Forschungsarbeit mit dem Titel «Beim Wort genommen: Wie gleichberechtigt ist die Beteiligung von Frauen an der parlamentarischen Debatte?». Darin analysiert Gerber, ob Parlamentarierinnen zwischen 1995 und 2018 weniger oft das Wort ergriffen haben, als es gemäss ihrem Sitzanteil zu erwarten wäre (siehe Interview in Kapitel 2).

Nach Gerbers Erkenntnissen nehmen die Wortmeldungen von Frauen ab, wenn eine Fraktion nur sehr wenige Frauen hat. «Sobald sie knapp 20 Prozent der Fraktion ausmachen, gibt es keine ungleiche Beteiligung mehr im Ratsbetrieb », sagt die Forscherin. Eine kritische Masse sei notwendig. Ihre Untersuchung erscheint rechtzeitig vor den Wahlen im Sammelband «Konkordanz im Parlament», das der NZZ-Verlag veröffentlicht. 

Keine zeitliche Beschränkung im Ständerat

Gemäss Beobachter-Auswertung sprechen im Nationalrat Mann und Frau im Schnitt zwar fast gleich lang. Doch dieser Durchschnittswert verschleiert die Verhältnisse innerhalb der Parteien: In jeder Partei geben die Männer die maximale Sprechzeit vor. Sie reden im Mittel mehr als ihre Fraktionskolleginnen. Sprechen SVP-Männer wenig, sprechen SVP-Frauen noch weniger. Sprechen grüne Männer viel, sprechen grüne Frauen zwar auch viel, aber nicht mehr als die Männer. Die einzige Ausnahme ist die BDP. Dort redet Fraktionschefin Rosmarie Quadranti mehr als ihre Parteikollegen. 

Im Ständerat ist das Resultat hingegen eindeutig. Dort sprechen Frauen im Durchschnitt fast einen Fünftel weniger lang als Männer. «Dass Frauen weniger reden, ist mir nicht aufgefallen. Zufall ist das Ergebnis aber sicher nicht», sagt CVP-Ständerätin Brigitte Häberli-Koller. Weil es so wenige Frauen im Ständerat gebe, stünden sie unter besonderer Beobachtung der Öffentlichkeit, vermutet sie. Die Frauen würden sich deshalb umso besser vorbereiten.

Die 60-Jährige weist auf einen zentralen Unterschied bei der Arbeitsweise der beiden Räte hin: Im Nationalrat ist jede Wortmeldung zeitlich beschränkt, im Ständerat gibt es keine formellen Regeln. Informelle jedoch schon. «Es ist Usus, möglichst kurz und knapp zu sprechen und nichts zu wiederholen.» Das sei bezeichnend für den Ständerat. «Ich kann natürlich hier drin auch 40 Minuten sprechen und nichts sagen, aber das würde von den Kolleginnen und Kollegen nicht geschätzt», sagt Häberli-Koller. Und stichelt gegen die grosse Kammer: «Deshalb sind wir meist effizienter als der Nationalrat.»

Barbara Keller-Inhelder
Quelle: Gaetan Bally/Keystone
«Es braucht Vorbilder»

Von einem «Gender Speech Gap» wollen aber viele im Parlament nichts wissen. «Eine Frau, die es bis ins Bundeshaus geschafft hat, hat sicher keine Angst vor dem Mikrofon », sagt etwa Nationalrätin Doris Fiala zwischen den Palmen der Wandelhalle. Wie oft jemand im Saal spreche, sage auch nichts über deren Einfluss aus, erklärt die Präsidentin der FDP-Frauen. «Und es beruht sicher nicht auf Diskriminierung. Wenn Frauen weniger sprechen, liegt es wohl an ihrer Art: Wir Frauen haben eher das Gefühl, wir müssten wahnsinnig gut vorbereitet sein, bevor wir etwas sagen.» 

Sie selbst rede als Präsidentin der Geschäftsprüfungskommission oft hinter verschlossenen Türen und in den Medien. «Von daher komme ich ausreichend und hörbar zu Wort.» Das Bild stiller Frauen stört sie aber: «Es ist ein Teufelskreis. Wenn Frauen weniger wahrgenommen werden, ist es auch weniger motivierend für andere, sich zur Wahl zu stellen. Es braucht Vorbilder.» 

 

96 Minuten weniger lang redeten Ständerätinnen im Vergleich zu Ständeräten im Durchschnitt. Das entspricht rund 19 Prozent weniger.

 

Wenigsprecherin Barbara Keller-Inhelder sagt, systematische Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei der Redezeit gebe es nicht. Entscheidend sei der Charakter des Parlamentariers. Überhaupt hat die St. Galler SVP-Nationalrätin, die fast nie ans Ratsmikrofon tritt, Mühe mit der Redezeit als Kategorie. «Das Reden im Plenum bringt meist nichts. Wer wie abstimmt, ist bereits vor der Ratsdebatte festgelegt.» Zum Beweis zückt sie den schriftlichen Tagesablauf aus dem Rollkoffer. Zu sehen sind die Geschäfte des Tages. Das Fraktionssekretariat hat hinter jedes Geschäft «annehmen» oder «ablehnen» geschrieben. «Wenn ich am Morgen in den Rat komme, liegt ein solches Protokoll bei allen Fraktionen auf den Ratspulten.» 

«Viele Ratsmitglieder sprechen nur, damit sie eine Chance haben, 15 Sekunden in der ‹Tagesschau› zu kommen. Das trägt nichts zu Lösungen bei», so Keller-Inhelder. Im St. Galler Kantonsrat sei das anders gewesen. Die Parlamentarier hätten einander mehr zugehört. Sie rede nicht, damit gesprochen sei. Zudem sei die Auswertung des Beobachters bereits veraltet. Sie sei jetzt oft Kommissionssprecherin und rede in dieser Funktion regelmässig. 

Reden stellt Transparenz her

Vielrednerin Mazzone widerspricht: «Ich kann zwar im Ratssaal in Normalfall niemanden mehr überzeugen, wenn ich ans Rednerpult trete. Aber das Sprechen im Saal ist wichtig für die Öffentlichkeit. Es stellt Transparenz her.» Sie hoffe, dass Frauen künftig mehr sprechen. «Wenn im Herbst mehr Frauen gewählt werden, ändert sich das vielleicht», sagt Lisa Mazzone. Ihre eigene Wiederwahl will die junge Grüne mit konservativen Methoden erreichen. Die Genferin, die im Parlament so viel spricht, schweigt auf Facebook, Twitter und Instagram. «Ich nutze keine sozialen Medien, um mich vor möglichem Hass zu schützen.» 

Die Analyse

Der Beobachter hat die Videoaufzeichnungen aller Voten im National- und Ständerat ausgewertet. Berücksichtigt wurde der Zeitraum zwischen November 2015 und Dezember 2018 – die ersten drei Jahre der aktuellen Legislaturperiode. 

Im Ständerat gab es in dieser Periode sieben Präsidenten und Vizepräsidenten. Ihre Redezeit wurde nicht ausgewertet, da sie von Amtes wegen viel sprechen. Einbezogen wurden die Reden von 39 Ratsmitgliedern, von 5 Frauen und 34 Männern. Sie sprachen zusammengerechnet 315 Stunden. Das sind rund 13 Tage. 

Im Nationalrat sind etliche Ratsmitglieder zwischen 2015 und 2018 zurückgetreten oder nachgerutscht. Sie wurden nicht mitgezählt. Auch die sechs Präsidenten und Vizepräsidenten des Rats wurden von der Analyse ausgeschlossen. Die Auswertung berücksichtigt daher die Redezeit von 175 Ratsmitgliedern – 56 Frauen und 119 Männer. Sie sprachen insgesamt 552 Stunden. Das sind 23 Tage. 

Die Videoaufzeichnungen stammen von den Parlamentsdiensten und sind öffentlich zugänglich. Der Beobachter hat sie zusammen mit Oleg Lavrovsky vom Verein www.opendata.ch ausgewertet. 

Interview: «Wenn Frauen im Parlament wenig reden, ist das problematisch»

Interview: «Wenn Frauen im Parlament wenig reden, ist das problematisch»

Damit Frauen in Bundesbern gleichberechtigt politisieren, braucht es eine kritische Grösse von ungefähr 20 Prozent pro Partei. Das sagt die Politikwissenschaftlerin Marlène Gerber. 

Diesen Herbst werden vermutlich viele Frauen ins nationale Parlament gewählt. Doch mit mehr Frauen im Bundeshaus ist die Gleichstellung nicht automatisch erreicht. Das sagt Marlène Gerber, Politologin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern und Vize-Direktorin von «Année Politique Suisse». Sie untersuchte die Geschlechterunterschiede im Parlament. Die Bernerin hat die Anzahl der Voten von Parlamentarierinnen und Parlamentariern zwischen 1995 und 2018 ausgezählt und herausgefunden, dass Frauen ungefähr so oft das Wort ergreifen, wie es aufgrund ihres Sitzanteils zu erwarten ist. Trotzdem seien Frauen in einzelnen Parteien nicht angemessen im parlamentarischen Prozess integriert. Im Interview erklärt sie, warum das so ist und weshalb die Gleichberechtigung bei der Redezeit relevant ist für die Schweizer Konsensdemokratie.


Beobachter: Sie untersuchten, wie oft sich Frauen im Parlament zu Wort melden. Wieso ist das wichtig?
Marlène Gerber: Wenn Frauen nicht sprechen, können ihre Interessen nicht gehört werden. Ihre Themen fliessen möglicherweise nicht genügend in den politischen Prozess ein. Deshalb ist das relevant. 


Ist die Partei nicht wichtiger als das Geschlecht?
Selbstverständlich stimmen Parlamentarierinnen und Parlamentarier in erster Linie auf Parteilinie. Trotzdem decken sich die sachpolitischen Ansichten von Frauen und Männern auch innerhalb einer Partei nicht immer. Für die Konkordanz, also das Einbinden aller wichtigen Kräfte, kann eine tiefe Beteiligung von Frauen deshalb problematisch sein. Verschiedene Studien haben ergeben, dass oft diejenigen Personengruppen als besonders einflussreich wahrgenommen werden, die die Debatten dominieren. Sieht man keine Frauen am Rednerpult, entsteht der Eindruck, Frauen hätten nichts zu sagen. 


Was hat Sie darauf gebracht, Geschlechterunterschiede in Bundesbern zu erforschen?
Für eine Studie zur Versammlungsdemokratie hat ein Forschungsteam an unserem Institut an der Landsgemeinde in Glarus Leute gefragt, wie gross ihre Bereitschaft ist, auf dem Rednerpult zu sprechen. Dabei haben wir wesentliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern festgestellt. Sogar politisch interessierte Frauen waren deutlich weniger oft bereit, sich zu Wort zu melden, als Männer. Das hat mich motiviert derselben Frage im nationalen Politbetrieb nachzugehen. 


Hätte sich das Problem erledigt, wenn gleich viele Frauen wie Männer gewählt würden? 
Die Anzahl Sitze ist zwar wichtig für die angemessene Einbindung von Frauen. Aber daraus zu schliessen, dass es dann automatisch gleichberechtigt zu und her geht, halte ich für falsch. Frauen können trotzdem noch nicht vollständig im politischen Prozess integriert sein. Die politischen Strukturen waren sehr lange männlich geprägt. Deshalb kann es durchaus sein, dass gewisse Formen, wie man Politik betreibt, dazu führen, dass Frauen sich nicht vollständig wohl fühlen oder aufgrund vorherrschender Stereotypen weniger Einfluss ausüben können. Und wenn Frauen deswegen weniger häufig sprechen oder weniger Einfluss geniessen, dann wäre eine Gleichstellung noch nicht erreicht. 


Was braucht es denn für eine gleiche Beteiligung an der politischen Entscheidungsfindung? 
Bei meiner Untersuchung der Redezeiten habe ich festgestellt, dass sich eine Frau ähnlich oft beteiligt wie ein Mann, auch wenn Frauen weniger als 50 Prozent der Parlamentssitze besetzen. Sobald Frauen etwa knapp 20 Prozent der Sitze einer Partei einnehmen, gibt es laut meinen Ergebnissen keine ungleiche Beteiligung im Ratsbetrieb mehr. Dann ist quasi eine «kritische Masse» erreicht. Problematisch ist es nur, wenn die Frauen in einer Ratskammer oder in einer Fraktion ganz klar in der Minderheit sind. Dies ist etwa bei der SVP im Nationalrat oder bei der CVP im Ständerat der Fall. Die Frauen meldeten sich in diesen Fällen deutlich weniger häufig zu Wort als die Männer. Inwiefern die Interessen von Frauen und Männern gleichberechtigt in den politischen Entscheid einfliessen, habe ich nicht untersucht. Eine ausgewogene Beteiligung ist keine Garantie hierfür. 


Sie haben festgestellt, dass SVP-Frauen sich weniger beteiligten, je länger sie im Rat blieben. Wieso ist das so?
Erste Resultate haben tatsächlich ergeben, dass SVP-Frauen im Nationalrat und CVP-Frauen im Ständerat sich mit zunehmender Amtsdauer weniger oft beteiligen als zu Beginn ihrer Amtszeit. Doch diese Ergebnisse sind mit Vorsicht zu geniessen, da sie auf sehr wenigen Fällen beruhen. Den Effekt sieht man übrigens auch bei den grünen Frauen, wenn auch weniger ausgeprägt, obwohl die Grüne Partei über die Zeit den höchsten Frauenanteil ausweist. Bei den FDP- und der CVP-Vertreterinnen im Nationalrat ist es umgekehrt: Je erfahrener die Frauen sind, desto häufiger sprechen sie. Bei der SP gibt es keinen klaren Effekt. 


Wie erklären Sie sich das?
Die Gründe dafür kennen wir nicht. Es ist aber denkbar, dass die wenigen Frauen in einer männerdominierten Fraktion ihr eigenes politisches Selbstvertrauen zunehmend verlieren. Auffällig ist auf jeden Fall, dass die Anzahl der Voten von erfahrenen Frauen eher dort sinkt, wo die Frauen besonders deutlich untervertreten sind. Die SVP hat heute im Nationalrat zwar so viele Frauen wie nie zuvor, aber ist mit 16 Prozent immer noch das Schlusslicht. In etwa so tief ist der aktuelle Frauenanteil der CVP im Ständerat; für die SVP sass gar noch nie eine Frau im Stöckli. 

Zur Person

Politologin Marlène Gerber
Quelle: Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern

Marlène Gerber ist Politologin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern und Vize-Direktorin von «Année Politique Suisse». Ihre Studie mit dem Titel «Beim Wort genommen: Wie gleichberechtigt ist die Beteiligung von Frauen an der parlamentarischen Debatte?» erscheint im September als Beitrag im Sammelband «Konkordanz im Parlament: Entscheidungsfindung zwischen Kooperation und Konkurrenz» des Verlags NZZ Libro.