Dienstag, 21. September 2021. Kursaal Bern. 9 Uhr. Der neunköpfige Gastrosuisse-Vorstand trifft sich im Sitzungszimmer Atrium 6, um über das weitere Vorgehen in der Corona-Politik zu beraten. Es ist der wohl schwierigste Tag in der siebenjährigen Amtszeit von Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer. Auf 14 Uhr ist ein Treffen mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Kantonalverbände angesagt – zum ersten Mal, seit die Zertifikatspflicht eingeführt wurde.

Noch im letzten November feierte die NZZ Platzer als gmögigen Lobbyisten mit grossem Beziehungsnetz, der sich wie kein Zweiter erfolgreich für seine Branche einsetzt und seine Krisenrhetorik «kontrolliert eskalieren» lässt. Der oberste Gastronom hat es während der Pandemie geschafft, vom unbekannten Verbandspräsidenten zur Galionsfigur der Krisenverlierer zu werden.

Als der Bundesrat die Zertifikatspflicht in Gastrobetrieben einführte, schimpfte Platzer reflexartig über die Regierung und bezeichnete den Entscheid als völlig «unverhältnismässig». Er führe zu einer krassen Ungleichbehandlung der Bevölkerung und sei weder nachvollziehbar noch zu begründen. Platzer merkte nicht, dass grosse Teile seines Verbands anders dachten.

Öffentlich distanziert

Harte Kritik folgte dann auf ein Interview. Er habe sich aus persönlichen Gründen nicht impfen lassen, sagte Platzer der Westschweizer Zeitung «24 heures». Die Krankenkasse Swica, die mit dem Gastroverband über eine Partnerschaft verbandelt ist, distanzierte sich darauf öffentlich von ihm. «Casimir Platzer vertritt bei seinen Auftritten als Präsident von Gastrosuisse die Position seines Verbands. Seine Haltung in diesem Thema stimmt nicht mit der Haltung von Swica überein.» Der Hotelier aus Kandersteg BE sitzt seit 2015 im Verwaltungsrat von Swica, als Gastrosuisse-Vertreter.

Platzers Wutausbrüche nach den Bundesratsentscheiden erschienen plötzlich in einem anderen Licht. So fragte sich der «Blick», ob der Gastropräsident wirklich die Branche vertritt oder vor allem sich selbst.

«Nach den Äusserungen von Casimir Platzer haben mir viele Mitglieder angerufen und gesagt, sie würden am liebsten aus dem Verband austreten.»

Franz Sepp Caluori, Präsident Gastrograubünden

Zurück im Berner Kursaal. Um 13.30 Uhr treffen die Gastrochefs aus den Kantonen ein – unschwer zu erkennen an ihren Krawattennadeln aus goldenen Messern und Gabeln. Der Beobachter will wissen, was sie von Platzers Politik halten. Zufrieden sind nur wenige. Der mächtige Präsident des Zürcher Verbands, Ernst Bachmann, sagt, was viele denken: «Rufschädigend» sei der aktuelle Kurs. «Wir müssen jetzt aufhören zu jammern, wieder hart arbeiten und die Branche rehabilitieren.»

Mit seiner Kritik ist er nicht allein. «Die Mehrheit der Kantonalverbände ist für das Zertifikat», sagt der Bündner Präsident Franz Sepp Caluori. «Nach den Äusserungen von Casimir Platzer haben mir viele Mitglieder angerufen und gesagt, sie würden am liebsten aus dem Verband austreten.» Das bestätigen andere Ostschweizer Verbandschefs. Die meisten Wirtinnen und Hoteliers hielten die Zertifikatspflicht Covid-Zertifikat Das bedeutet die Ausweitung der Zertifikatspflicht für ein notwendiges Übel, um Schlimmeres zu verhindern und endlich wieder normal arbeiten zu können.

Kehrtwende bei der Zertifikatspflicht

An der Konferenz wird dann prompt eine Kehrtwende beschlossen. Im Communiqué ist die Kritik an der Zertifikatspflicht verschwunden. Nun heisst es, Gastrosuisse unterstütze die Mitglieder bei der Umsetzung der Zertifikatspflicht. Die Impf- und Testkampagne des Bundes sei ein wichtiger Bestandteil der Pandemiebekämpfung. Eine Ohrfeige für Platzer.

Was die Person Casimir Platzer anbelangt, äussern sich die Kantonalpräsidenten am folgenden Tag nur noch sehr zurückhaltend. Einzig der Schaffhauser Renato Pedroncelli sagt: «Es brodelt im Verband. Platzer ist angeschossen.» Man störe sich daran, dass er zu einem grossen Teil nur seine eigene Meinung vertrete.

Seither ist es still geworden um Platzer. Interviewanfragen des Beobachters lehnte er mehrmals ab. «Ich stehe nicht im Mittelpunkt, denn ich vertrete nicht meine eigene Haltung, sondern die Positionen des Verbands», teilt er schriftlich mit.

Intern gibts Konkurrenz, die Politik geht auf Distanz 

Platzer weiss, dass er in einer heiklen Situation ist. Zwar wurde er im Mai für drei weitere Jahre im Amt bestätigt. Absetzen könnte ihn nur eine ausserordentliche Delegiertenversammlung. Dazu bräuchte es viel, und es sei noch kein Thema, sagen Insider. Es sehe eher danach aus, dass er die Krise aussitzen könne. Doch schon am 11. Oktober wird in einigen Kantonalverbänden gewählt. Das könnte für neue Unruhe sorgen.

Zudem hat Platzer intern Konkurrenz erhalten. Die SVP-Nationalrätin Esther Friedli wurde neu in den Vorstand gewählt. Von ihr erhofft man sich einen besseren Draht ins Bundeshaus. Denn selbst gastrofreundliche Politiker scheinen Platzer nicht mehr zuzuhören. Das zeigt etwa die aktuelle Forderung, dass die Branche wegen der Zertifikatspflicht zusätzliche Entschädigungen will.

Im Anschluss an die Präsidentenkonferenz assen Verbandsmitglieder und Parlamentarier gemeinsam Fondue im Berner Kornhauskeller. Doch die Politikerinnen erteilten dem Verband eine Abfuhr. Langsam reiche es mit den Entschädigungen, sei der Tenor gewesen, sagen Verbandsvertreter.

Platzer hat ein Problem mit seiner Glaubwürdigkeit. Viele der von ihm gemalten Untergangsszenarien sind leere Drohungen geblieben. So warnte er wiederholt vor einem Beizensterben. Tatsächlich gibt es aber sogar deutlich weniger Konkurse in der Gastronomie als vor der Pandemie. Daten der Universität St. Gallen zeigen auch, dass die Umsätze der Gastrobetriebe nach Einführung der Zertifikatspflicht weniger stark zurückgingen als von Platzer befürchtet.

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Quelle: Beobachter Bewegtbild
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