Eine kalte Brise weht durch die Altstadt. Oliver Bosshardt sitzt mit Freunden im Café Landhaus in Solothurn und trinkt Kaffee. Er denkt oft an seine Ex-Frau. Seit drei Jahren sind sie geschieden. An diesem Winterabend im Jahr 2016 geht sie ihm nicht aus dem Kopf. Er schreibt ihr eine Nachricht. «Es tut mir leid, wie alles lief.» Er stürzt den kalten Resten seines Kaffees hinunter, setzt sich in seinen alten Toyota Starlet und raucht einen Joint.

Keine drei Kilometer sind es von Solothurn bis Zuchwil. Die Verkehrskontrolle Verkehrskontrolle Was sind meine Rechte? sieht er von Weitem, er bremst ab. Als Bosshardt das Fenster runterkurbelt, steigt süsser Duft aus seinem Auto. Der 55-Jährige sitzt high am Steuer und kann es nicht leugnen. «Ich habe einen Fehler gemacht. Aber ich stehe dazu und trage die Konsequenzen», sagt er heute.

Monatliche Urinproben

Der Führerschein ist weg Fahrausweisentzug So schnell ist das Billett weg . Ein halbes Jahr lang. Am 21. Juni 2017 erhält er sein Billett unter Auflagen zurück: eineinhalb Jahre lang monatliche Urinproben. Pro Halbjahr ein ärztlicher Bericht. Verstösst Bosshardt gegen die Auflagen und ist ein Test positiv, ist er den Führerausweis wieder los.

Oliver Bosshardt war 27 Jahre berufstätig, 19 Jahre verheiratet. Als junger Mann zog es ihn nach Basel, um die Welt kennenzulernen. «Sex, Drugs und Rock’n’Roll gehörten früher zu meinem Leben. Es war ein gutes.» Er schaffte es in den erweiterten Kader des FC Basel. Heute trägt er ein paar Kilos mehr auf den Rippen. Er habe etwas zugelegt, sagt er, zieht an seiner Marlboro Rot und zuckt mit den Schultern. «Ich habe halt gelebt.»

Seit der Trennung vor fünf Jahren habe er viel gekifft. «Zu viel», sagt er. Doch Bosshardt gehorcht den Behörden, pinkelt einmal im Monat in einen Becher. Die Proben sind negativ. Sechs Monate lang. Dann kommt diese neue Frau in sein Leben. «Die hat mich weggehauen.» Bosshardt verliebt sich, will an sich arbeiten und beginnt zu trainieren. Rudern, Velofahren, Joggen. 
Im Herbst 2017 trainiert er in wenigen Wochen über 20 Kilogramm Gewicht weg. Und alle 
vier Wochen füllt er den Becher beim Hausarzt.

«Ich hatte ein neues Lebensgefühl ohne das Kiffen, fühlte mich gut.» Bis er im Januar ein Schreiben der Motorfahrzeugkontrolle Solothurn erhält. «Administratives Verfahren wird eingeleitet», steht darin. Ihm droht ein erneuter Entzug des Führerscheins. Er reagiert panisch, will von seinem Arzt wissen, was los ist. Die Antwort kommt postwendend: Zwei Proben sind positiv, jene vom Dezember und Januar. Am 2. Februar ist er sein Autobillett wieder los.
 

«Ein positiver Drogentest heisst nur: Es könnte sein. Für ein 100-prozentig sicheres Resultat hätte ein forensisch-toxikologisches Gutachten erstellt werden müssen.»

Werner Bernhard, forensischer Toxikologe an der Universität Bern


Bosshardt kennt jedes Datum genau. Fällt ihm ein Stichtag der letzten 19 Monate nicht direkt ein, schliesst er die Augen, überlegt kurz. «Ja, der 2. Februar war es. Was für ein Scheisstag!» Er kifft nicht mehr, kann sich nicht erklären, wieso zwei seiner Drogentests positiv ausgefallen sind. Bis er mit einem Arzt ins Gespräch kommt, der ihm erklärt, dass sich THC-Abbauprodukte im Fettgewebe lösen und in den Urin gelangen können. Gemäss einer Studie des «British Journal of Pharmacology», die an Ratten durchgeführt wurde, ist dieses Phänomen bekannt. Die Studie wies nach, dass Fettspaltung, beispielsweise durch Abnehmen Abnehmen Wie man wirklich Gewicht verliert , THC-Carbonsäure aus den Fettspeichern freisetzt, was zu einer erhöhten Konzentration im Blut führt.

«Das ist durchaus möglich», bestätigt Werner Bernhard, forensischer Toxikologe an der Universität Bern. «THC ist wie ein dicker Sirup, der im Fett eingelagert ist. Durch Gewichtsreduktion können diese Gifte freigesetzt werden.» Danach werden sie in der Leber zu wasserlöslichen Stoffen umgewandelt und durch die Nieren ausgeschieden. Dies die mögliche Erklärung, warum die beiden Urinproben im Januar und Dezember positiv waren.

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Ein Hoffnungsschimmer

«Ein positiver Drogentest heisst nur: Es könnte sein», sagt Bernhard. «Für ein 100-prozentig sicheres Resultat hätte ein forensisch-toxikologisches Gutachten erstellt werden müssen. Hätte Herr Bosshardt Cannabis konsumiert, wäre es auch im Blut angezeigt worden. Waren seine Drogentests aufgrund der Gewichtsabnahme positiv, wäre im Blut nichts dergleichen sichtbar gewesen.» Diese Abklärungen wurden nicht gemacht. Die Urinproben waren die einzigen Indizien.

Für Bosshardt ist die Erklärung ein Hoffnungsschimmer. Er hört auf zu trainieren, damit sich das Phänomen nicht fortsetzt – und ficht das Urteil an. Am 2. März reicht er Beschwerde ein. Ohne Anwalt. Mit Links, die er im Internet gefunden hat. Später folgen Urinproben von März, April und Mai, die negativ waren.

Die Wende

«Der Einwand des Beschwerdeführers erscheint zumindest plausibel, so dass eine gründliche Abklärung angebracht erscheint.» Der Satz steht im Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn von Ende Mai. «Die Beschwerde erweist sich somit als begründet, sie ist gutzuheissen.» Der entzogene Führerausweis wird Bosshardt wieder ausgehändigt. «Das wars», sagt er. «Mehr wollte ich nicht, ausser mein Recht einfordern.»

Zudem macht das Verwaltungsgericht die Motorfahrzeugkontrolle Solothurn darauf  aufmerksam, dass sie weitere Abklärungen hätte treffen müssen. Daran hält sich das Amt seither. Oliver Bosshardt wird zu weiteren Untersuchungen ins Begutachtungszentrum Verkehrsmedizin nach Zürich gebeten. «Ich verstehe nicht, wieso ich noch länger geschulmeistert werde», sagt Bosshardt verständnislos. «Aber wenn ich damit endlich die letzten 19 Monate abschliessen kann, nehme ich es ein letztes Mal auf mich.»

THC-Grenzwert wird eifrig diskutiert

Seit 2005 gilt auf Schweizer Strassen die Nulltoleranz Cannabis Bei Verdacht ist das «Billett» weg für Cannabis. Zulässig ist ein Grenzwert von 1,5 Mikrogramm THC pro Liter Blut. Der Wert ist so tief, dass THC-Rückstände angezeigt werden können, wenn man in den letzten 24 Stunden Cannabis konsumiert hat – oder ein ehemaliger Konsument Gewicht verliert. Eine messbare Wirkung auf das Hirn gibt es bei diesem tiefen Wert nicht. Ist er also unsinnig angesetzt?

«Der Gesetzgeber sagt, dass Drogen im Strassenverkehr tabu sind. Deshalb wurde diese politische Nulltoleranz festgelegt», sagt Verkehrsmediziner Rolf Seeger. «Die Grundlage der Toleranzgrenze ist ein chemischer Wert, der rechtlich oder politisch der Null entspricht. Ob die 1,5 Mikrogramm eine Wirkung auf das Gehirn haben, hat man sich nicht überlegt.» Daran stören sich liberale Drogenpolitiker.

Der Berner BDP-Nationalrat Heinz Siegenthaler verlangt in einer Motion die «Gleichbehandlung von Cannabis und hochprozentigem Alkohol». Die Entkriminalisierung von Cannabis steht dabei im Vordergrund. «Wenn man Cannabis unter vergleichbaren Bedingungen konsumieren darf wie Alkohol Alkoholkontrolle Wie viel Promille liegen drin? , muss man auch den Grenzwert neu regeln.» Man solle abwägen, welcher Wert noch tolerierbar wäre.

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