Der Saal platzte aus allen Nähten. Mehr als 200 Imker und Interessierte wollten im Landwirtschaftlichen Institut des Kantons Freiburg den Vortrag von Torben Schiffer hören. Und das, obwohl die «Schweizerische Bienen-Zeitung» ein Ankündigungsinserat verweigert hatte.

Nichts Neues für den deutschen Bienenforscher. Er sei ein «Polarisator», sagen Züchter, Imkerverbände und Forscher, die von der konventionellen Imkerei leben.

Vier Stunden lang verglich der 44-jährige Biologe die konventionelle Imkerei mit der natürlichen Lebensweise der Bienen Wildbienen Wenn die Bienen mit den Blumen… . Sein am häufigsten verwendetes Wort: «Kiste». Schiffer spricht es mit verächtlichem Unterton aus. 

Schimmel im Bienenstock

Imker halten die Bienen in stapelbaren 40-Liter-Kisten. Im Lauf des Jahres vergrössern sie die Behausung auf bis zu 200 Liter. Das zwingt das Volk, zu wachsen und immer mehr Nektar Balkonpflanzen Festtafeln für flatternde Gäste zu produzieren. Dabei bleibe die Körper- und Stockhygiene auf der Strecke. In den Kisten bilde sich Schimmel, machten sich krank machende Keime und Parasiten breit, sagt Schiffer.

Deshalb spricht er von Massentierhaltung Tierhaltung Wie gut geht es unseren Tieren wirklich? , wenn er über traditionelle Bienenzucht redet. Oder von Zooforschung. So bezeichnet Schiffer Studien an Bienen in Kisten. «Wer wirklich etwas über Bienen herausfinden will, muss sich wild lebenden Völkern zuwenden.» Seit 2016 tut er das für die Universität Würzburg. Er vergleicht das Leben von Bienen in Baumhöhlen mit der Haltung in Kisten und beobachtet die Auswirkungen auf die Gesundheit.

Entgegen der landläufigen Meinung ist die wilde Honigbiene nicht ausgestorben. Schiffer fand Völker in jedem grösseren Wald . Was er dort sah und bei seiner Forschung entdeckte, treibt ihn seither um. So stark, dass er sein neues Buch «Evolution der Bienenhaltung. Artenschutz für Honigbienen» betitelt. Das erscheint im April und beschreibt das «erste Konzept der artgerechten, behandlungsfreien Bienen-Erhaltung». 
 

«Da liegt eine der wichtigsten Arten im Sterben und wir greifen ihr in die Tasche.»

Porträt von Biologe Torben Schiffer

Torben Schiffer, Biologe

Quelle: PD
Es gibt keine hohlen Bäume mehr

Ein wichtiger Teil seines Konzepts ist der «Schiffer-Tree», der in Männedorf am Zürichsee hergestellt wird: eine künstliche Behausung für Bienen, vergleichbar mit einem Vogelhäuschen Vögel füttern Vermieter verbietet Vogelhäuschen auf Balkon . Nur viel grösser und artgerecht. Der «Tree» ist der Nachbau eines hohlen Baums. Weil die Wälder so stark bewirtschaftet werden, gibt es fast keine mehr. Schiffer hat sein Wissen darin umgesetzt. Wer den Bienen etwas Gutes tun wolle, kaufe sich einen «Tree», stelle ihn in den Garten und tue: nichts.

«Ich verdiene nichts daran, es geht mir um die Erhaltung der Art», sagt Schiffer. Je mehr «Trees» aufgestellt werden, desto mehr Bienen bekommen ihr natürliches Zuhause zurück. Derzeit bestimmen Imker und Züchter die Auslese der Arten, die Selektion. Sie sind an Bienen interessiert, die nicht stechen und viel Honig liefern. Das und die Haltung in Kisten führe zu kranken, von Milben befallenen Bienen, die ohne Mensch nicht überlebensfähig sind. Aber: «Der Mensch kennt nicht alle Kriterien, nach denen die Natur selektioniert.» 
 

Ein spezielles Gartenmöbel

Bienenbaum

Der «Schiffer-Tree» ist ein Schweizer Produkt, das eine natürliche Bienenbehausung nachbildet. Er ist 1,5 Meter hoch und wiegt gegen 50 Kilo.

Quelle: PD
Er entschlüsselt unbekannte Verhaltensweisen

Auf eine Doktorarbeit hat Schiffer bisher verzichtet. Der Hamburger Biologielehrer will nicht jahrelang ausschliesslich ein Thema beackern. Sondern auf all seine Fragen Antworten finden. Auch wenn ihn das die ganze Freizeit kostet. Er verbringt viel Zeit im Keller am Mikroskop – oder bei den Bienenstöcken. Wenn er morgens aufwacht, sieht er sie durchs Fenster. Seine Frau erträgt die Hingabe mit Gelassenheit, seine vierjährige Tochter nennt sich die jüngste Bienenforscherin der Welt.

Vielleicht wird sie einmal mit Stolz davon berichten, dass ihr Vater wichtige Verhaltensweisen von wilden Bienen entschlüsselte. So das Grooming: Bienen putzen sich gegenseitig, das dient auch der Bekämpfung von Schädlingen . Oder das Washboarding: Bienen befreien ihre Behausung mit den Vorderbeinen von Schimmel und Keimen. Beides tun sie aber erst, wenn genug Honig zum Überleben da ist. Konventionelle Imker kennen solche Verhaltensweisen kaum oder stören sich daran, da die Bienen in dieser Zeit keinen Honig produzieren. Sie glauben, die Tiere könnten sich nicht selbst helfen, und greifen zur Chemie. 

Er will keine Säure benutzen

Torben Schiffer hat die Imkerei vom Grossvater gelernt. Schnell war er unzufrieden. Er wollte seine Bienen nicht mit Ameisensäure gegen die tödliche Varroa-Milbe besprühen. Das verätzt die Fühler der Bienen. Es war ihm auch zuwider, den Tieren den Honig zu stehlen und sie mit Zuckerwasser zu füttern. «Da liegt eine der wichtigsten Arten im Sterben Insekten Das stille Sterben , und wir greifen ihr in die Tasche», erzürnt er sich.

Darum begann er, nach Lösungen zu suchen. Er fand sie in alten Schriften. Er las vom Bücherskorpion, wenige Millimeter klein, der in Baumhöhlen in Symbiose mit Bienen lebt. Und Varroa-Milben zum Fressen gern hat. Schiffer wies nach, dass wild lebende Bienen auch dank dem Skorpion einen Varroa-Befall überleben können. Darüber schrieb er dann sein Staatsexamen in Biologie.
 

Die Tiere verarzten sich selbst

Wilden Bienen geht es besser. Sie produzieren ihre Medizin selber. Mit der Propolis, einer harzigen Substanz, verkleben sie die Wände der Baumhöhle. Der Stoff hat antibiotische Wirkung und ist Teil des Immunsystems Abwehrkräfte Was stärkt unser Immunsystem? eines Schwarms. Kondenswasser löst daraus antibiotische Stoffe.

«Die Bienen trinken das. Sie trinken ihre eigene Medizin.» Der Idealist glaubt an seine Revolution. «Die meisten Imker wollen der Biene und der Natur Gutes tun.» Schiffer, der grosse Polarisator? Kaum. «Initiator» wäre passender.

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Deborah Bischof, Redaktorin
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