Die Landwirtschaft muss sich verändern. Ist die Digitalisierung der Schlüssel dazu?
Christina Umstätter:
Sie kann ein Schlüssel sein. Es gibt aber noch nicht viele gut funktionierende digitale Systeme auf dem Markt. Und es dauert lange, sie für die Landwirtschaft zu entwickeln. Denn die Lösungen müssen für sehr unterschiedliche Betriebe passen. Das muss in die Algorithmen einfliessen. Für Europa braucht es darum andere Algorithmen als für die USA. Wenn Lösungen für Tiere entwickelt werden, ist das umso komplexer: Jedes verhält sich anders.


Wie digital sind die Schweizer Bauern heute?
Felix Adrion: Digitale Möglichkeiten sind noch nicht so verbreitet. Beim Tierwohl liefert die Digitalisierung bereits vielversprechende Lösungen. Mit Sensoren können Bauern ihre Tiere 24 Stunden überwachen. Sie können schneller reagieren, wenn sich etwa eine Kuh anders verhält als sonst.

Umstätter: Am weitesten ist man bei den Melkrobotern – heute kaufen viele Landwirte eher einen Roboter als einen Melkstand. Das wird oft zum Einstiegsfenster für weitere digitale Systeme, etwa zum Erkennen von Brunst oder Krankheiten und zum Messen des Wiederkäuens.


Die Bauern stehen derzeit besonders wegen der Pestizide in der Kritik. Kann da die Digitalisierung helfen?
Adrion:
Mit Sensoren und GPS-Geräten können Nährstoffflüsse oder der Einsatz von Pestiziden besser dokumentiert werden. Die Landwirte können so transparenter arbeiten und nachweisen, wie gut sie gewirtschaftet haben, ob sie Düngevorschriften oder Auflagen zum Abstand zu Gewässern einhalten und ihre Tiere gut überwachen. So haben die auch bessere Argumente gegenüber dem Konsumenten und dem Staat, der Subventionen auszahlt.


Müssen sich die Bauern digitalisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Umstätter: Ich finde es wichtig, sie nicht dazu zu zwingen. Einige kommen mit der Technik gut klar, andere weniger. Wer wachsen und optimal produzieren will, kommt oft an digitalen Neuerungen nicht vorbei. Es gibt aber auch andere Geschäftsmodelle. Einige Bauern betreiben auf ihren Höfen Kindergärten oder Altersheime.

Adrion: Mit einem guten analogen Managementsystem kann man einen Betrieb heute auch gut führen. Und ein digitales System ersetzt analoge Aufgaben nicht ganz: Der Landwirt muss die gelieferten Daten immer noch interpretieren können. Wenn ein System etwa bei einem Tier eine Abweichung feststellt und Alarm schlägt, muss der Bauer auch immer noch selbst entscheiden, was zu tun ist. Bei zu vielen Alarmen fängt er vielleicht an, sie zu ignorieren. Dann bringt ihm das Ganze nicht viel.


Es gibt das Vorurteil, Bauern seien nicht offen für neue Technologien. Ist das so?
Umstätter:
Die Hersteller bringen ihre Systeme häufig zu früh auf den Markt, um sie zu testen. Dann sind sie oft nicht besonders benutzerfreundlich. Dem Bauern bringen sie so vielleicht noch keinen Mehrwert – das hat aber nichts mit seiner Bereitschaft zu tun, das System zu nutzen. Viele Landwirte, junge und alte, wünschen sich mehr Unterstützung und Schulungen mit den Produkten, die sie kaufen. Zusätzlich muss die Digitalisierung fester Bestandteil der Ausbildung der Landwirte sein. So werden die fachlichen Grundlagen gelegt, und die Begeisterung der nächsten Generation für diese Technologien wird geweckt.


Wertet der Landwirt künftig vor allem Daten aus, statt auf dem Feld zu arbeiten?
Umstätter: Es gibt definitiv eine Verschiebung von physischen Arbeiten hin zu Betriebsführung. Heute sitzt der Bauer mehr am Computer. Das Berufsprofil ändert sich: Manch junger Mensch wurde bisher Landwirt, weil er sich gern mit Tieren auseinandersetzte oder Traktor fahren wollte – das wird wohl weiter der Fall sein, nur kommen viel mehr technische Anforderungen hinzu.


Sind die neuen Geräte für die Bauern nicht zu teuer?
Umstätter: Nicht alle digitalen Produkte sind teuer. Es gibt auch kleine Systeme, die einem Betrieb Entlastung bringen können und günstiger sind – etwa das automatisierte Plattenherbometer, das die Grashöhe auf der Weide misst und dem Bauern bei der Entscheidung hilft, ob er die Kühe schon zum Weiden schicken soll.

Adrion: Es gibt auch Betriebe, die sich Maschinen und somit die Kosten teilen. Wenn Maschinen wie Entmistungs- oder Futterroboter körperliche Arbeit ersetzen, investieren die Landwirte sehr gern. Denn wer sein Leben lang im Milchviehstall arbeitet, hat mit 60 oft gesundheitliche Probleme.


Ist digitale Landwirtschaft auf den kleinen Flächen in der Schweiz überhaupt sinnvoll?
Adrion: Sogar ganz besonders. Man kann genauer spritzen und verhindern, dass Dünger in Gewässern Gewässerschutz Wohin mit all der Gülle? oder beim Nachbarn landet. Das ist natürlich eine Kostenfrage. Die Investitionen lohnen sich eher für Bauern, die anderen ihre Dienstleistungen anbieten.


Können auch die Bergbauern mit ihren steilen Hängen von der Digitalisierung profitieren?
Umstätter:
Die Digitalisierung soll den administrativen Aufwand auch für Bergbauern reduzieren. Zudem werden Technologien speziell für sie entwickelt. Mit dem Alptracker etwa, einem digitalen Halsband, kann der Bauer per GPS verfolgen, wo seine Tiere sind. Das Halsband kostet nicht viel, das Interesse daran ist gross. Auch virtuelle Zäune könnten den Bergbauern helfen. Sie sind aber in der Schweiz noch nicht erlaubt.


Daten sind das wichtigste Gut der Digitalisierung. Was bedeutet das für die Bauern?
Adrion: Es ist spannend, wie plötzlich Konzerne wie Airbus, Microsoft oder SAP Interesse an der Landwirtschaft haben. Solange es den Bauern hilft, wenn diese Firmen ihre Daten auswerten und bessere Produkte anbieten, ist das die eine Seite. Es muss aber transparent sein, inwieweit Daten anonymisiert behandelt werden. Es ist auch denkbar, dass die Bauern für ihre Daten bezahlt werden. Die Firmen können mit Hilfe grosser Datenmengen ihre Systeme und Vorhersage-Algorithmen verbessern – die Daten dafür gehören zuerst dem Landwirt und sollten auch ausreichend honoriert werden.


Wo steht die Schweizer Landwirtschaft in zehn Jahren?
Adrion: Vor allem repetitive Arbeiten werden immer mehr durch digitale Hilfsmittel erledigt – mit der neuen Bauerngeneration wird sich das beschleunigen. Ausserdem wird sich der Datenaustausch zwischen den Systemen verbessern. Heute sind die verschiedenen Anwendungen nicht miteinander vernetzt, der Bauer muss manchmal morgens im Stall fünf verschiedene Bildschirme anschalten. Neue Technologien wie 5G Kommentar zu 5G Im Zweifel Grenzwerte beibehalten werden dazu beitragen, dass Daten einfacher ausgetauscht werden können.

Umstätter: Denkbar wäre auch ein kompletter Quantensprung – dann aber weiter in der Zukunft: dass vielleicht keine grossen Traktoren, sondern kleine Roboter Felder bewirtschaften. So könnten verschiedene Kulturen enger zusammen angebaut werden, man würde sich vielleicht von Monokulturen verabschieden. Hier könnte gerade die Schweiz Chancen haben, weil die Landwirtschaft so klein strukturiert ist.

Zu den Personen

Felix Adrion und Christina Umstätter von Agroscope

Felix Adrion ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe von Christina Umstätter. | Christina Umstätter ist Leiterin der Gruppe Automatisierung und Arbeitsgestaltung bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung in der Schweiz.

Quelle: PD
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Dani Benz, Ressortleiter
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