Tino Senoner, 54, ist CEO der MC-T AG, die per 1. Juli den Bereich 50 plus der von Otto Ineichen gegründeten Stiftung Speranza übernommen hat. Die MC-T AG erstellt seit 2004 einen Index über das Rekrutierungsverhalten von Firmen in der Schweiz.

Quelle: Gaetan Bally/Keystone

Beobachter: Was ist heute anders, wenn man mit über 50 arbeitslos wird?
Tino Senoner: Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten fünf Jahren drastisch verändert, das zeigen unsere Untersuchungen. Es ist für alle Jobsuchenden härter geworden, speziell aber für die Leute über 50.

Beobachter: Warum?
Senoner: Früher suchte ein Patron den neuen Mitarbeiter aus, heute wird viel früher und viel härter selektioniert. Oft landet ein Dossier schon in der HR-Abteilung auf dem Stapel «Kommt nicht in Frage», bevor der Chef es überhaupt gesehen hat.

Beobachter: Eine frustrierende Aussicht.
Senoner: Und sie wird noch frustrierender dadurch, dass die heutigen 50-Jährigen vielleicht mit 35 das letzte Mal auf Stellensuche waren. Da schickte man sein Dossier an ein paar Headhunter und konnte sich dann die Stelle aussuchen. Bekommen diese Leute heute drei, vier Absagen, verzweifeln sie und fangen an, sich für alles Mögliche zu bewerben – auch wenn sie total überqualifiziert sind. Was folgt, sind noch mehr Absagen.

Beobachter: Ein Teufelskreis. Wie lässt er sich durchbrechen?
Senoner: Der grösste Fehler von Arbeitsuchenden über 50 – oft schon solchen über 45 – ist die Aussage: «Ich habe eine KV-Ausbildung, ich kann alles machen, was anfällt, wenn ich bloss wieder einen Job habe.» Besser wäre das Gegenteil, das Hervorheben von Erfahrungen, Spezialisierungen, Netzwerken. Allrounder gibt es wie Sand am Meer, und die Jungen sind günstiger, vielseitiger.

Beobachter: Weshalb fällt es den Älteren so schwer, ihre Stärken zu betonen?
Senoner: Früher galt Bescheidenheit als Tugend. Oft bekommt ein jüngerer, weniger gut qualifizierter Bewerber den Job, nur weil er halt weniger Hemmungen hat, sich gut zu verkaufen.

Beobachter: Sollte man Bewerbungsdossiers ohne Jahrgang einreichen dürfen?
Senoner: Das ist Chabis. Ohne Jahrgang wird das Dossier sowieso aussortiert. Man muss zu seinem Alter stehen und seine Erfahrung verwerten. Aber hier liegt die grösste Schwierigkeit: Die Firma muss die Kompetenzen sofort und eindeutig erkennen, damit jemand überhaupt zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird.

Beobachter: Wer hat denn überhaupt noch Chancen?
Senoner
: Grundsätzlich alle. Für Leute, die gesucht sind, etwa Stromer, Metzger, Schreiner, aber auch Pflegepersonal oder Lehrer, ist es einfacher.

Beobachter: Und was passiert mit den anderen?
Senoner: Sie müssen sich neu ausrichten, umbilden. Besonders schwer haben es IT-Leute und Banker: Banker waren lange die Kings, konnten fordern, was sie wollten. Heute haben sie oft ein schlechtes Image. Und das IT-Metier hat sich so schnell entwickelt, dass kein HR-Mensch mehr die Computersprache kennt, mit der ein 50-jähriger Fachmann damals angefangen hat.

Beobachter: Nützen da die Kurse etwas, die die regionalen Arbeitsvermittlungszentren anbieten?
Senoner: Ich kann das nicht pauschal bewerten. Aber wenn der einzige gemeinsame Nenner im Kurs ist, dass alle über 50 sind, gibt das einen sehr heterogenen Haufen mit so vielen unterschiedlichen Bedürfnissen wie Teilnehmern. Allgemein bin ich überzeugt, dass kürzeres, aber sehr viel individuelleres Coaching oft mehr bringt – ein Tag pro Person statt zehn Tagen mit zehn Personen.

Beobachter: Was sollte man denn an diesem Tag lernen?
Senoner: Man würde sich gut überlegen, welche Stärken man hat, was man selber erwartet und wie man sich entsprechend verkaufen muss. Zudem muss man verstehen, was der Markt will und wo man darin seine Chance sieht. Nicht zuletzt braucht man einen Schub Selbstbewusstsein. Man verliert ja nicht alle Kompetenzen, die man mit 49 hatte, auf einen Schlag, wenn man 50 wird. Ich bin auch 54, und ich schlage meinen Sohn im Squash – er läuft zwar schneller als ich, aber in Sachen Taktik bin ich noch immer eine Nasenlänge voraus.

Beobachter: Ist man auch noch gleich flexibel?
Senoner: Heute stellen HR-Abteilungen Leute ein, die sofort funktionieren müssen: Am Morgen tritt man die Stelle an, am Nachmittag müssen die ersten Umsatzzahlen her. Als ich mit 28 meine erste Führungsposition bekam, sagte mein Chef: «Jetzt machst du erst einmal drei Monate – gar nichts.» Diese Zeiten sind definitiv vorbei.

Beobachter: Viele über 50 machen sich selbständig, weil sie keine andere Chance sehen.
Senoner: Eine ganz schlechte Idee. Selbständigkeit muss man wollen, nicht müssen. Wenn man nicht der Typ dafür ist, wird es sehr hart. Leute über 50, die sich wohlüberlegt selbständig machen, haben allerdings eine grössere Erfolgschance – da kommen dann Erfahrung und Netzwerk wieder ins Spiel.

Beobachter: Das Hilfswerk Heks fordert mit einer Plakatkampagne «Chancengleichheit für über 50-Jährige». Das wirkt hilflos.
Senoner: Die Chancen sind nicht gleich. Punkt. Nicht für 50- und 35-Jährige, nicht für Frauen und Männer, nicht für Arme und Reiche. Da kann man so viele Papers verfassen, wie man will.

Beobachter: Wie passt man sich dem heutigen Arbeitsmarkt am besten an?
Senoner: Indem man sich regelmässig hinterfragt: Wo möchte ich in fünf Jahren stehen? Werden meine Fähigkeiten dann noch gefragt sein? In welche Richtung entwickelt sich die Branche? Man muss damit leben, dass die Qualifikationen, die man heute hat, morgen nicht mehr genügen werden.

Beobachter TV: 50+ und ohne Job!

Beobachter TV porträtierte in seiner Sendung vom 1. Juni 2014 drei Menschen über 50 auf Arbeitssuche: Peter Sprenger, vor seiner Arbeitslosigkeit erfolgreicher Manager, steht vor dem sozialen Abstieg. Claudia Maurer war Bankangestellte und strebt jetzt eine Zweitausbildung an.

Paula Pereira, ehemalige Reisebürobesitzerin, ist ausgesteuert – sie entscheidet sich für die Auswanderung nach Portugal. Beobachter-Berater Jürg Keim hat die schwierige Aufgabe, für die drei Menschen Lösungen zu finden. Finden Sie die ganze Sendung hier.

Quelle: Gaetan Bally/Keystone