In der Schweiz können Arbeitsverhältnisse praktisch jederzeit aufgelöst werden. Einen triftigen Grund oder eine Vorwarnung braucht es nicht. Wird ein Arbeitnehmer aber aus besonders unfairen oder verwerflichen Gründen entlassen, ist die Kündigung missbräuchlich . Der entsprechende Gesetzesartikel (OR 336) enthält eine nicht abschliessende Aufzählung von solchen Gründen. Der Job ist dann zwar trotzdem verloren, es winkt jedoch eine namhafte Entschädigung. Denn Betroffene können eine Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen einfordern.

Immer wieder müssen sich die Gerichte mit der Frage auseinandersetzen, wann eine Kündigung missbräuchlich ist und wann nicht. Die folgenden sieben Fälle zeigen, wie das Bundesgericht entschieden hat.

FALL 1: Der Bankleiter muss gehen

Ein hoher leitender Bankangestellter bekam im Vorjahr noch ein hervorragendes Zwischenzeugnis und einen üppigen Bonus. Im Jahr darauf stellte sich heraus, dass einer seiner Untergebenen Betrügereien gegenüber Bankkunden begangen hatte – Schaden über elf Millionen Franken. Untersuchungen ergaben, dass den Vorgesetzten kein Verschulden traf. Trotzdem erhielt er die Kündigung. Als Chef trage er die Verantwortung.

Das Bundesgericht urteilt die Kündigung als missbräuchlich: Dem leitenden Bankangestellten wurde nur gekündigt, weil der Arbeitgeber sein Ansehen wahren wollte, indem er hart durchgriff – ohne Rücksicht darauf, dass er den Ruf des langjährigen unbescholtenen Mitarbeiters massiv schädigte.

FALL 2: Stationsleiterin widersetzt sich der Weisung

Die Leitung eines Heims erliess die Weisung, dass Geldspenden von Angehörigen der Heimbewohner umgehend in eine Personalkasse abgeliefert werden müssten. Die Stationsleiterin war mit dieser Weisung nicht einverstanden und leitete zweimal Geldgeschenke in Höhe von 500 und 300 Franken nicht weiter. Ausserdem informierte sie ihre Untergebenen, dass sie die Weisung als unrechtmässig erachte . Als ihr deswegen gekündigt wurde, klagte sie vor Gericht wegen missbräuchlicher Kündigung.

Das Bundesgericht urteilt die Kündigung als nicht missbräuchlich: Eine leitende Angestellte, die eine Anordnung der Arbeitgeberin für falsch hält, darf ihre Untergebenen nicht einfach auffordern, die Weisung zu missachten. Die Stationsleiterin hätte zuerst mit ihrem Arbeitgeber reden müssen. Ausserdem war die Weisung, Geldgeschenke in einen gemeinsamen Topf einzuzahlen, durchaus zulässig.

FALL 3: Sofortige Lohnkürzung oder schlechter Arbeitsvertrag

Nach zehn Jahren in der gleichen Firma bekam eine Sachbearbeiterin gesundheitliche Probleme. Ihre Leistung liess nach. Der Arbeitgeber wollte ihr daher ab sofort den Lohn um 500 Franken pro Monat kürzen. Als die Angestellte die kurzfristige Lohnkürzung nicht akzeptierte, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristgerecht und bot ihr gleichzeitig einen neuen Vertrag mit noch schlechteren Bedingungen für die Zeit nach der Kündigungsfrist an. Dazu schrieb er, die Änderungskündigung gelte nicht, falls die Sachbearbeiterin die ursprünglich vorgeschlagene Lohnkürzung doch noch akzeptiere. Diese lenkte nicht ein und klagte wegen missbräuchlicher Kündigung.

Das Bundesgericht urteilt die Kündigung als missbräuchlich: Der Arbeitgeber wollte mit seinem Manöver eine kurzfristige Lohnkürzung ohne Einhaltung der Kündigungsfrist erzwingen. Die Sachbearbeiterin wehrte sich zu Recht und wurde Opfer einer klassischen Rachekündigung.

FALL 4: Kündigung wegen internen Konflikten

Zwischen der langjährigen Pflegefachfrau D. und einer neuen Arbeitskollegin kam es zu einem schweren Konflikt. Ausserdem gab es auch Spannungen zwischen D. und anderen Teammitgliedern. Schliesslich wurde D. schriftlich verwarnt: Ihre Integration ins Team müsse verbessert werden, sie müsse lernen, Weisungen und Kritik zu akzeptieren. D. begann unter Stresssymptomen und Depressionen zu leiden und ging zum Arzt. Nach einer weiteren Auseinandersetzung mit der verfeindeten Kollegin verlangte D. eine Aussprache mit der Kontrahentin und den Vorgesetzten. Dieses Gespräch fand aber nie statt. Kurz darauf erhielt der Arbeitgeber einen Brief von fünf Mitarbeitenden, die sich über D. beschwerten und ihr die Schuld an unlösbaren Schwierigkeiten im Team gaben. In der Folge erhielt D. die Kündigung  – verbunden mit einem ganzen Katalog von Vorwürfen, die ihre Arbeitsweise und ihr Verhalten betrafen.

Das Bundesgericht urteilt die Kündigung als missbräuchlich: Der Arbeitgeber hat gegenüber seinen Angestellten eine Fürsorgepflicht. Er muss bei Konflikten alle zumutbaren Massnahmen ergreifen, um die Lage zu entspannen. Dies ist hier nicht geschehen. Die von D. gewünschte Aussprache hat nie stattgefunden. Ausserdem wurde nur D. verwarnt, nicht aber auch die andere Mitarbeiterin.

FALL 5: Unzutreffender Kündigungsgrund

Eine Mütterberaterin wurde nach 14 Anstellungsjahren gekündigt mit der Begründung, sie habe Mühe, Weisungen zu befolgen und habe in den letzten Jahren die Anforderungen nicht mehr erfüllt. Die Angestellte wehrte sich dagegen vor Gericht: Die Begründung sei nachweisbar unzutreffend und daher missbräuchlich.

Das Bundesgericht urteilt die Kündigung als nicht missbräuchlich: Eine Kündigung ist nicht schon deshalb missbräuchlich, weil sie falsch begründet wurde. Die Mütterberaterin hätte vielmehr belegen müssen, dass in Tat und Wahrheit ein ganz anderer Grund hinter der Kündigung steckte und dass dieser missbräuchlich sei.

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FALL 6: Recht auf ein Einzelbüro?

Der Anlageberater F. wurde im Zuge einer Reorganisation angewiesen, in Zukunft sein Büro mit einem Kollegen zu teilen. F. bestand auf das bisherige Einzelbüro. Als der Arbeitgeber seinen Wunsch zurückwies, richtete sich F. in einem für Kunden vorgesehenen Empfangsraum einen Arbeitsplatz ein. Ein Angebot des Arbeitgebers, in eine andere Filiale zu wechseln, wo er ein Einzelbüro gehabt hätte, wies er zurück. Als ihm wegen der Querelen gekündigt wurde, klagte F. wegen missbräuchlicher Kündigung.

Das Bundesgericht urteilt die Kündigung als nicht missbräuchlich: F. hatte kein Recht auf ein Einzelbüro. Mit seiner Aufsässigkeit untergrub er das Vertrauensverhältnis zu seinem Arbeitgeber. Die Kündigung war nicht zu beanstanden.

FALL 7: Kündigung eines Arbeitnehmervertreters

G. war über zwanzig Jahre für seinen Arbeitgeber tätig und seit vier Jahren Präsident der Personalkommission, als der Arbeitgeber über eine Neuorganisation und den Abbau von 57 Stellen informierte. Auch G. erhielt die Kündigung und wehrte sich umgehend: Die Kündigung eines Arbeitnehmervertreters sei missbräuchlich, hielt er fest.

Das Bundesgericht urteilt die Kündigung als nicht missbräuchlich: Der Arbeitgeber durfte kündigen. Wirtschaftliche Gründe – die von G. auch gar nicht angezweifelt wurden – sind sehr wohl ein begründeter Anlass.

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Wenn der Arbeitgeber kündigt, ist das ein Schock. Darum ist es umso wichtiger, dass Angestellte ihre Rechte kennen – insbesondere wenn die Kündigung missbräuchlich sein könnte. Als Beobachter-Abonnentin oder -Abonnent erfahren Sie zum einen in einer Checkliste, welche Punkte für diesen Umstand erfüllt sein müssen, zum anderen, wie Sie sich mit unseren Musterbriefen dagegen wehren und wie das Bundesgericht in strittigen Fällen entschieden hat.

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