Auch in diesem Jahr ziehen Angestellte zum 1. Mai zusammen mit den Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen auf die Strasse. Es ist schon lange bekannt, dass mehr Stress im Job und eine Zunahme der Arbeit zu mehr Krankheitsausfällen führen.

Wenn zum Ende des Monats auch noch weniger auf dem Lohnkonto bleibt, darf die Frage berechtigt sein, weshalb man für die Chefin die «Extrameile» geht, warum die Familie nach der Arbeit kommt oder wieso man für die Firma Überstunden macht.

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Nicht alle Aufgaben müssen erledigt werden

Bei Verena Forster war es der eine Moment, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie ist langjährige Assistentin von Walter Knaus, dem Gründer und Leiter eines erfolgreichen Speditionsbetriebs.

Forster wagt es nicht im Traum, die Autorität ihres Chefs, einer angesehenen Persönlichkeit mit 17 Angestellten, infrage zu stellen oder ihm dreinzureden. Doch als er ihr erklärt, dass das Putzinstitut die Büroräume nur noch alle zwei Wochen reinigen werde und in der Zwischenzeit die Damen der Administration für Sauberkeit sorgen sollten, platzt ihr der Kragen.

Als qualifizierte kaufmännische Angestellte ist sie nicht bereit, einen Putzlappen in die Hand zu nehmen. «Kann sich ein Chef eigentlich alles erlauben?», fragt sie an der Hotline des Beobachters und will dabei anonym bleiben, weshalb beide Namen geändert wurden.

In diesem Fall ist die Antwort einfach: Nein, er kann nicht alles verlangen. Verena Forster hat einen Arbeitsvertrag als Sekretärin und Assistentin des Geschäftsführers. Sie muss daher nur Arbeiten verrichten, die zu ihrem vertraglichen Pflichtenheft gehören. Der Chef kann von ihr keine untergeordneten Hilfs- und Reinigungsarbeiten verlangen.

Kaffee machen ist zumutbar, Fenster putzen nicht

In vergleichbaren Fällen entschieden Gerichte, dass von einer Alleinsekretärin zwar erwartet werden könne, dass sie bei Sitzungen Kaffee bringt und die Blumen im Büro giesst. Fensterputzen gehöre jedoch nicht zu ihren Aufgaben. Ebenso wenig durfte ein Mechaniker angewiesen werden, die Toiletten zu putzen, und ein Kranführer musste nicht akzeptieren, dass er während der Kündigungsfrist als Hilfsmagaziner ins Depot versetzt wurde.

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Doch nicht immer ist die Sache so einfach. Denn Arbeitgebende haben sehr wohl eine Befehlsgewalt gegenüber ihren Angestellten. In aller Regel sind die Anweisungen des Chefs zu befolgen. Doch was bedeutet dies genau?

Das kann die Chefin bestimmen

Gemäss Gesetz darf die Arbeitgeberin «über die Ausführung der Arbeit und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb oder Haushalt allgemeine Anordnungen erlassen und ihnen besondere Weisungen erteilen». Die Arbeitnehmer haben diese «Weisungen nach Treu und Glauben zu befolgen».

Die Chefin darf also bestimmen,

  • wie eine Arbeit zu erledigen ist,
  • welche Qualitätskriterien und Prioritäten gelten,
  • wann Arbeitsbeginn, Sitzung und Pause ist und
  • wie sich Angestellte untereinander und gegenüber Kunden oder Lieferanten zu verhalten haben.

Die Weisungen können in einer Betriebsordnung verankert sein oder von Fall zu Fall individuell erteilt werden. Mitunter haben Vorgesetzte auch eine Weisungspflicht, etwa wenn es darum geht, Sicherheitsvorschriften durchzusetzen und Mitarbeitende und Dritte vor Unfällen oder Übergriffen (wie sexueller Belästigung) zu schützen.

Befolgen Mitarbeitende die Weisungen nicht, kann das verschiedene Konsequenzen haben, von der Abmahnung bis hin zur fristlosen Entlassung.

Das kann der Chef nicht verlangen

Das Weisungsrecht ist aber beschränkt. Weisungen des Arbeitgebers dürfen keine zwingenden gesetzlichen Bestimmungen verletzen, etwa die Regeln des Arbeitsgesetzes zu Arbeits- und Ruhezeiten. Der Chef darf Angestellte auch nicht zwingen, an strafbaren Handlungen mitzuwirken, etwa die Steuererklärung zu fälschen.

Eine weitere wichtige Grenze bildet das Persönlichkeitsrecht der Angestellten. Sie müssen keine Weisungen befolgen, die ihr Privatleben betreffen, sie demütigen oder ihre Gesundheit gefährden. Und schliesslich dürfen Weisungen den Arbeitsvertrag einer Arbeitnehmerin nicht verletzen.

Wie der Fall von Verena Forster zeigt, kann sich eine Anordnung nur auf Verrichtungen beziehen, zu denen man vertraglich verpflichtet ist. Nur in Notfällen oder wenn es nicht genug vertragskonforme Arbeit gibt, müssen die Angestellten ausnahmsweise eine vertragsfremde Ersatzarbeit akzeptieren, zum Beispiel nach einem Wasserschaden beim Aufräumen mithelfen.

Tipp: Gegen unrechtmässige Weisungen sollte man protestieren – wenn Gespräche nichts nützen, schriftlich. Begründen Sie, weshalb Sie die Weisung nicht akzeptieren können, und betonen Sie, dass Sie jederzeit bereit sind, Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten ordnungsgemäss zu erfüllen.

Wenn Sie eine Kündigung erhalten sollten, weil Sie sich auf anständige Weise gegen eine unrechtmässige Weisung gewehrt haben, dann ist sie missbräuchlich. Lassen Sie sich im Zweifelsfall beraten, zum Beispiel durch die Fachleute im Arbeitsrecht des Beobachter-Beratungszentrums.

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Was können Arbeitgeber verlangen: 7 Beispiele

1. Kann die Chefin beliebig viele Überstunden von mir verlangen?

Überstunden müssen geleistet werden, wenn sie zumutbar und notwendig sind. Unzumutbar sind solche, die zur Regel werden, die Mitarbeiterin gesundheitlich überfordern oder sie an der Erfüllung ihrer Familienpflichten hindern. In einem konkreten Fall war es gemäss Bundesgericht nicht zumutbar, dass ein Arbeitnehmer über längere Zeit täglich 1,6 Überstunden leisten musste. Er durfte die Arbeit aber trotzdem nicht einfach verweigern, so das Gericht. Es sei ihm zuzumuten gewesen, die Arbeit vorerst weisungskonform auszuführen und dem Arbeitgeber zu erklären, ab wann er die Überstunden als nicht mehr zumutbar ansehe.
 

2. Muss ich am freien Tag an einer Sitzung teilnehmen?

Ausnahmsweise ja, wenn dies zumutbar und notwendig ist (siehe Beispiel zuvor). Häufige oder regelmässige Arbeitsaufgebote an freien Tagen müssen Sie jedoch nicht akzeptieren. Gemäss einem Urteil des Obergerichts Luzern ist die Erwartung eines Teilzeitangestellten, dass er über die weitere Zeit grundsätzlich frei verfügen könne, zu schützen.


3. Kann mich mein Chef zur Vertrauensärztin schicken, obwohl ich ihm schon ein Zeugnis vom Hausarzt zugestellt habe?

Arztzeugnisse haben gemäss Bundesgericht keinen absoluten Beweiswert. Hat der Arbeitgeber Zweifel an Ihrer Arbeitsunfähigkeit, kann er Sie zu einer Vertrauensärztin schicken, allerdings auf seine Kosten. Auch die Vertrauensärztin ist ans Arztgeheimnis gebunden und darf sich nur zu Ihrer Arbeitsfähigkeit äussern und nicht zur Art Ihrer gesundheitlichen Probleme.


4. Darf mir die Chefin vorschreiben, wann ich meine Ferien nehme?

Nach Gesetz darf die Arbeitgeberin den Zeitpunkt der Ferien bestimmen. Sie muss aber so weit wie möglich auf die Wünsche der Angestellten Rücksicht nehmen. Wenn sie Ferien zuweist, muss sie dies mindestens zwei bis drei Monate im Voraus tun, damit eine sinnvolle Planung möglich ist. Mindestens zwei Wochen pro Jahr müssen zusammenhängend gewährt werden. Kurzfristig oder tageweise zugeteilte Ferien muss man nicht akzeptieren.

Das Arbeitsgericht Zürich gab einem Angestellten recht, der sich gegen den Bezug von Ferien wehrte, die der Arbeitgeber nur 14 Tage im Voraus angeordnet hatte. Und laut Bundesgericht darf der Arbeitnehmer den Ferienbezug verweigern, wenn der Arbeitgeber seine Ferienwünsche übergeht. Er muss aber unverzüglich reagieren und während der Ferien seine Dienste anbieten, ansonsten ist von einem Einverständnis auszugehen.


5. Kann mich der Vorgesetzte vom Einzel- in ein Grossraumbüro versetzen?

Ja, die Arbeitsplatzzuweisung zählt zum Weisungsrecht des Chefs. Solange er die gesetzlichen Bestimmungen bezüglich Ausgestaltung der Arbeitsplätze einhält (Fläche, Beleuchtung, Lärm et cetera), kann er entscheiden, wer wo arbeitet. Es sei denn, ein Einzelbüro wurde vertraglich zugesichert oder es sprechen gewichtige Gründe gegen den Wechsel ins Grossraumbüro.


6. Muss ich akzeptieren, dass ich mit Foto und Namen auf der Firmenwebsite erscheine?

Nein, die Vorgesetzte darf Ihr Bild nur dann online publizieren, wenn Sie damit einverstanden sind. «Da die fotografische Abbildung einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters Rückschlüsse z.B. auf Religion, Rassenzugehörigkeit oder eine körperliche Beeinträchtigung zulässt und in der Regel gar nicht nötig ist, darf sie nur mit dem Einverständnis der betroffenen Person im Internet oder Intranet abgebildet werden», schreibt der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte auf seiner Website.


7. Darf der Chef Kleidervorschriften machen?

Solange Sie sauber, gepflegt und nicht zu freizügig zur Arbeit erscheinen, dürfen Sie anziehen, was Sie wollen. Angestellte mit viel Kundenkontakt und Repräsentanten der Firma sollten jedoch den branchenüblichen Dresscode beachten.

Anders sieht es bei vorgeschriebener Schutzkleidung bei gefährlichen Arbeiten aus. Diese darf und muss der Chef streng durchsetzen. Ein Kranführer ist zu Recht fristlos entlassen worden, weil er sich beharrlich weigerte, bei der Arbeit den obligatorischen Schutzhelm zu tragen.

Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals Mitte September 2016 veröffentlicht und nun aktualisiert. (30.4.2025)

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