Für 500 Franken im Monat hetzt sie vom schreienden Baby zum gestürzten Kleinkind, wickelt und erzieht: Die 16-jährige Ramona* arbeitet als Praktikantin in einer Kindertagesstätte. Seit einem halben Jahr. Sie hofft, dadurch eine Lehrstelle im Betrieb zu erhalten. Die Chefin hat Ramona immer gelobt und ihr eine Lehrstelle in Aussicht gestellt. Kurz vor Ende des Praktikums heisst es dann aber, man könne ihr doch nichts anbieten. Ihr Vater wendet sich an den Beobachter: Wurde meine Tochter ausgenutzt?

In der Regel reichen sechs Monate

Grundsätzlich ist ein Praktikum dann sinnvoll, wenn die praktische Erfahrung für den Berufseinstieg fehlt. Etwa wenn jemand nur eine theoretische Ausbildung gemacht hat oder den Beruf wechselt. Wertvoll kann es aber auch für Wiedereinsteiger sein.

«Im Idealfall sollte das Praktikum in eine Ausbildung eingebettet sein», sagt Jürg Zellweger, Ressortleiter Bildung beim Arbeitgeberverband. Zum Beispiel indem man ein Zwischenjahr während des Studiums einlege.

Laut Experten sollte ein Praktikum nicht länger als ein Jahr dauern. In der Regel reicht ein halbes Jahr. Zudem sollte man nicht zu viele Praktika aneinanderreihen – mehr als zwei oder drei sind selten sinnvoll. Aber wenn immer möglich sollte man den Direkteinstieg in die Berufswelt suchen.

Sinnlos, aber trotzdem verlangt

In Ramonas Fall macht ein Praktikum keinen Sinn. Denn die Fachperson Betreuung EFZ macht eine klassische Berufslehre mit einem grossen Praxisanteil. Davor sollte kein Praktikum nötig sein. Weil aber sehr viele Junge einen solchen Ausbildungsplatz wollen, erlauben sich viele Arbeitgeber, dafür bereits Berufserfahrung zu verlangen.

Der Arbeitgeberverband erachtet die Situation mit diesen quasiobligatorischen Praktika vor der Lehre als «schwierig» und würde es begrüssen, wenn die Branche diese Praxis überdenken würde, sagt Jürg Zellweger.

Checkliste «So wird das Praktikum ein Erfolg» bei Guider

Welche Lohnerwartungen darf ein Praktikant mit abgeschlossener Lehre oder mit einem Hochschulabschluss haben? Auf welche Rechte Praktikanten bestehen sollten, lesen Beobachter-Abonnenten in der Checkliste «So wird das Praktikum ein Erfolg».

Es gibt keinen gesetzlichen Mindestlohn

Beim Thema Praktikum schwingt immer die Frage mit, wo die Grenze zur Ausnutzung liegt. Auch Ramonas Vater fragt sich, ob ein Lohn von 500 Franken überhaupt erlaubt ist. Rechtlich gesehen: ja. In der Schweiz ist der Lohn in erster Linie Verhandlungssache. Es gibt in der Privatwirtschaft keinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Manche Gesamtarbeitsverträge schreiben einen solchen vor, aber längst nicht alle. Und da Ramona beziehungsweise ihre Eltern den Arbeitsvertrag unterschrieben haben, ist der Lohn rechtlich in Ordnung.

Dennoch sei ein derart tiefer Lohn ganz klar eine «Ausnutzung», sagt Nadine Hoch vom Kinderbetreuungsverband Kibesuisse. Der führende Fach- und Branchenverband gibt Lohnempfehlungen heraus, an die sich viele Arbeitgeber und Kantone halten. Für Schulabgänger ohne Berufserfahrung empfiehlt Kibesuisse einen absoluten Mindestlohn von 800 bis 950 Franken für ein 100-Prozent-Pensum, plus einen 13. Monatslohn. Zusätzlich sollten die Arbeitgeber einen Beitrag an die Schul- und die Mahlzeitenkosten leisten.

Vielen Praktikanten gehts nur ums Prestige

Jürg Zellweger vom Arbeitgeberverband möchte allgemein dennoch nicht von einer Ausnutzung von Praktikanten sprechen. Es brauche immer die Zustimmung beider Parteien, damit ein Vertrag zustande komme. Er gibt zudem zu bedenken, dass Arbeitgeber in beliebten Bereichen wie der Werbe- oder Medienbranche regelmässig von Bewerbungen für Praktikumsstellen überflutet werden. Diese Bewerber wollen oft nur den renommierten Arbeitgeber im Lebenslauf auflisten. Für das Prestige akzeptierten viele gerne einen tiefen Lohn. Wenn die Entschädigung jedoch deutlich unter der erbrachten Arbeitsleistung liegt, hält das Zellweger für problematisch.

«Von Ausnutzung kann man sprechen, wenn jemand als volle Arbeitskraft und ohne eine betriebliche Ausbildung eingesetzt wird, aber dennoch einen sehr tiefen Lohn erhält», sagt Esther Albrecht vom Laufbahnzentrum der Stadt Zürich. In solchen Fällen rät die Expertin von einem Praktikum ab.

*Name geändert

Praktikum: Das gilt rechtlich

Das Gesetz regelt Praktika nicht speziell, es gelten die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen. So gibt es beispielsweise Anspruch auf bezahlte Ferien, und die wöchentlichen Höchstarbeitszeiten sind einzuhalten.

Ein Praktikum ist ein befristetes Arbeitsverhältnis, das grundsätzlich nicht vor Ablauf der gesetzten Frist gekündigt werden kann. Möglich wird das einzig, wenn im Vertrag eine vorzeitige Kündigungsmöglichkeit vereinbart ist. Das ist besonders bei längeren Praktika oder bei Zwischenlösungen wichtig, um flexibel zu bleiben.

Darauf sollten Sie bei einem Praktikum achten
  • Praktika haben einen Ausbildungscharakter. Für beste Voraussetzungen sollte man daher klare Lernziele mit dem Arbeitgeber vereinbaren und diese schriftlich festhalten.
  • Auch der Aufgabenbereich der Praktikantin/des Praktikanten sollte im Vertrag konkret erfasst werden.
  • Die Ansprechperson sollte eindeutig definiert, kompetent und motiviert sein.
  • Vorsicht ist geboten, wenn im betreffenden Betrieb mehr Praktika- als Lehrstellen zur Verfügung stehen. Das deutet darauf hin, dass das Unternehmen auf günstige Arbeitskräfte statt auf Ausbildung aus ist, sagt Nadine Hoch vom Schweizer Kinderbetreuungsverband Kibesuisse.
  • Das gilt ebenfalls, wenn ein Arbeitgeber von potenziellen Praktikanten bereits einschlägige Berufserfahrung verlangt.
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