Zwischen 1940 und 1980 hat der Psychiatrieprofessor Roland Kuhn in Münsterlingen nicht zugelassene Substanzen getestet – an etwa 3000 Personen. Das Ausmass dieser Tests hat letzten Herbst eine interdisziplinäre Forschungsarbeit dokumentiert, die der Kanton Thurgau in Auftrag gegeben hatte (der Beobachter berichtete).

Jetzt wird klar: Der Thurgau will keine weiteren wissenschaftlichen Forschungen in Auftrag geben. Immerhin signalisiert er, dass er neue Untersuchungen mit gesamtschweizerischem Fokus unterstützen werde.

Das geht aus einem Schreiben von Regierungsrat Walter Schönholzer (FDP) an Walter Emmisberger aus Fehraltorf ZH hervor. Emmisberger wollte wissen, ob Betroffene Entschädigungszahlungen erhalten und wie es mit der Aufarbeitung der Medikamentenversuche weitergeht. Er regte eine wissenschaftliche Untersuchung dazu an, ob und wie sich die Tests auf das Leben der unfreiwilligen Probanden ausgewirkt hat.

Lebenslange Nachwirkungen

Die Klinik Münsterlingen hatte am heute 64-jährigen Emmisberger über mehrere Jahre hinweg neue Substanzen ausprobiert – als er noch ein Kind war. Davon erfahren hat er erst vor einigen Jahren, als er seine Patientenakte einsehen konnte. Bis heute leidet er unter den Folgen der Versuche. Er kann sich kaum in einer Menschengruppe aufhalten und leidet unter Panikattacken Panikanfälle Ein dunkles Leben mit der Angst im Nacken . Als Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen erhielt er 2013 den Prix Courage des Beobachters.

Die Frage der Entschädigungen könne nur gesamtschweizerisch diskutiert und gelöst werden, heisst es im Antwortschreiben des Regierungsrats. «Dabei wäre auch die pharmazeutische Industrie mit an Bord zu holen.»

Geld vom Kanton Thurgau gibt es hingegen für ein Kunstprojekt. Für 250'000 Franken soll ein «Zeichen der Erinnerung» entstehen. Bis im September soll eine Jury das Siegerprojekt aus einem Wettbewerb krönen. Zusätzlich will der Kanton Thurgau 500'000 Franken in die Umgestaltung und Restaurierung des alten Spitalfriedhofs stecken.

Das Antwortschreiben der Thurgauer Regierung hat Walter Emmisberger gleich in die nächste Krise gestürzt: «Ich bin enttäuscht. Man beachtet die Betroffenen nicht und nimmt sie nicht ernst. Vielen geht es schlecht, und viele brauchen Hilfe, auch finanzielle.»

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Otto Hostettler, Redaktor
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