Ein Paar, das eine Tanzchoreografie zeigt, ein Bergpanorama im Berner Oberland, ein Teenie, der seine Lippen zu einem Popsong bewegt – all das ist Tiktok. Die App verzeichnete laut der Plattform Sensor Tower im letzten Jahr über 220 Millionen Downloads. Nur Whatsapp wurde noch häufiger heruntergeladen. 

Nutzerinnen und Nutzer können auf Tiktok kurze Videos, die mit Musik unterlegt sind, veröffentlichen. Wie bei anderen sozialen Plattformen kann man Profilen folgen und Videos Youtube Was gucken Jugendliche da ständig? , die einem gefallen, mit einem Herzchen versehen.

Laut dem Onlineblog Futurebiz sind fast 70 Prozent der Tiktok-Nutzer zwischen 16 und 24 Jahren alt. Wie verlässlich die Zahlen sind, ist unklar. Offiziell kann man sich erst ab 13 Jahren in der App Apps für Kinder Gefahr durch Werbevideos und In-App-Käufe registrieren, doch merken wohl auch jüngere Kinder, dass sie beim Geburtsdatum tricksen können. 

Die erfolgreichste Tiktokerin der Schweiz

Fest steht, dass die App bei Teenagern im Trend liegt. Das bestätigt Daniel Süss, Medienpsychologe an der ZHAW in Zürich. «Tiktok deckt viele Interessen der Jugendlichen ab, wie Musik, Humor oder Games Ballergames Welche positiven Effekte Actiongames haben .» Ausserdem könnten sich diese mit den Videos selbst inszenieren und ihre Fähigkeiten zur Schau stellen. Man müsse aber zwischen Nutzern, die sich vor allem Videos anschauen, und solchen, die sie produzieren, unterscheiden.

Zu letzteren gehört Noemi Le. Sie hat auf Tiktok unter dem Namen NoemiNikita schon über 9000 Videos gepostet. Hauptsächlich sind es Anleitungen für spezielle Video-Effekte, Streiche zwischen ihr und ihrem Freund und kurze Karaoke-Einlagen. Mit 4,1 Millionen Followern Stadtpolizei Winterthur «Das Schaf hat nichts aus dem Vorfall gelernt» ist die 17-Jährige die erfolgreichste Tiktokerin der Schweiz. Schon als Kind habe sie gerne gesungen, getanzt und Videos gedreht. «Die App vereint einfach alles» schreibt Noemi per Mail. Für ein Telefongespräch ist ihr Terminkalender zu voll.

Zu hohe Werbedichte auf Instagram und Facebook

Tiktok ist mittlerweile nicht mehr nur Noemis Hobby, sondern, seit sie die Bezirksschule abgeschlossen hat, auch ihr Beruf. «Ich bin quasi meine eigene Firma und das macht mir grossen Spass.» Noemi bekommt Geld dafür, dass sie auf ihrem Profil Werbung für Firmen und deren Produkte macht. Das ist auf Instagram schon gang und gäbe, auf Tiktok noch eher neu. 

Daniel Koss, Gründer der Social-Media-Agentur Yxterix, sieht darin einen Erfolgsfaktor der App. «Dass Tiktok jetzt so gross ist, ist nur zur Hälfte das Verdienst der App selbst und in erster Linie das Versagen von Facebook und Instagram. Dort ist die Werbedichte einfach zu hoch.» Koss, der Werbeaufträge zwischen Influencern und Unternehmen vermittelt, hofft, dass Tiktok diesen Fehler nicht macht. 

«Tiktok ist bei den Jugendlichen heute nach wie vor nicht unter den Top Ten der meistgenutzten Apps.»

Daniel Süss, Medienpsychologe

Noemi Le ist bei keiner Agentur mehr unter Vertrag, sie entscheidet selbst, für wen sie Werbung macht. Das erledigt sie neben ihrer Kernaufgabe, dem Produzieren von Kurzfilmchen. Es gilt: «Auf Tiktok muss man jeden Tag mindestens ein neues und gutes Video posten.» Das könne manchmal stressig sein. Bis zu 30 Millionen Menschen sehen Noemis Inhalte, das hat sie zu einer Berühmtheit gemacht: «Oft erkennen mich Menschen auf der Strasse und sprechen mich an.» 

Erstaunlich, denn laut einer Erhebung des Bundes 2019 nutzen in der Schweiz erst etwa zehn Prozent der 12- bis 19-Jährigen Tiktok. Daniel Süss, der regelmässig Studien zum Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen durchführt, sagt: «Tiktok ist bei den Jugendlichen heute nach wie vor nicht unter den Top Ten der meistgenutzten Apps. Aber es ist etwas, das sehr zunimmt.»

Die App wird jetzt relevant

Noemi Le nutzt Tiktok, seit sie 14 Jahre alt ist und kann mittlerweile gut davon leben. Damit ist sie in der Schweiz eher die Ausnahme. «Es sind noch nicht genug Brands auf Tiktok aufmerksam geworden», sagt Social-Media-Experte Koss. Jetzt befinde man sich aber gerade an dem Punkt, an dem die App anfange, für Werber relevant zu werden.

Das bestätigt Medienpsychologe Süss: «Auf Tiktok erreicht man die jüngere Generation, deshalb versuchen immer mehr Marken sich über die Plattform zu positionieren.» Hier sei es wichtig, dass Kinder lernten, Formate der nicht-offensichtlichen Werbung und die Überzeugungsabsichten dahinter zu erkennen. Das sei Aufgabe der Medienbildung. «So lernen Kinder, wie sich Plattformen finanzieren, die auf den ersten Blick gratis sind», sagt Süss. 

Immer wieder Zensurvorwürfe

Mit Daten, der Währung in der Welt der kostenlosen Apps, kennt sich Ursula Sury aus. Sie ist Datenschutzrechtsexpertin und Professorin für Informatik und Recht an der Hochschule Luzern. «In den AGB sieht man, dass sich Tiktok von seinen Nutzern sehr viele Einwilligungen geben lässt.» Mithilfe der dadurch aufgezeichneten Daten Datenschutz im Internet So schützen Sie Ihre Daten vor Google & Co. würden individuelle Nutzerprofile angelegt, wodurch Werbung spezifischer ausgespielt werden könne. «Das ist für Tiktok natürlich enorm wertvoll. Aber es kann dazu führen, dass versucht wird, die politische Willensbildung zu beeinflussen.»

Tiktok gehört der chinesischen Firma Bytedance, welcher eine grosse Nähe zum chinesischen Staat China auf dem Vormarsch Die Schweiz in den Fängen des Drachen nachgesagt wird. Die App hat immer wieder mit Zensurvorwürfen zu kämpfen. Beispielweise im November 2019: In einem Video sprach die Jugendliche Feroza Aziz über die chinesischen Lager, in denen Uiguren festgehalten werden. Das Video ging viral und verschwand kurz darauf von der App. Tiktok begründete das Ganze mit einer technischen Panne und stellte das Video einige Tage später wieder online.

«Ob man chinesische, russische oder amerikanische Apps nutzt, ist eigentlich egal.»

Daniel Koss, Geschäftsführer der Influencer-Marketing-Agentur Yxterix

Politische Werbung Wahlkampf auf Social Media Wie wird Facebook die Wahlen in der Schweiz beeinflussen? ist auf Tiktok verboten. Dass sich Jugendliche in Tiktok-Videos politisch äussern, kommt aber vor allem in den USA immer häufiger vor. Laut Medienpsychologe Süss ist das in der Schweiz anders. «Primär suchen die Jugendlichen auf Tiktok Unterhaltung, keine politischen Informationen.»

Es sei aber zu begrüssen, dass politische Auseinandersetzung dort stattfindet, wo Jugendliche sich aufhalten. «Aber nur, wenn es keine propagandistischen oder irreführenden Aussagen sind.» Um unangemessene Inhalte in der App zu finden, setzt Tiktok unter anderem spezielle Technologien ein. Ausserdem prüfen Moderatoren problematische Inhalte und löschen sie, wenn nötig. 

Den Influencern, die bei ihm unter Vertrag stehen, rät Daniel Koss: «Finger weg von politischen Aussagen!» Diese seien nicht gut für die Community-Bildung und die Brand-Kooperationen. Eine Ausnahme sei es, wenn die politische Meinung ganz klar zur Identität des Influencers gehöre.

Berechtigtes Misstrauen

Ob politische Inhalte und Zensurvorwürfe für Tiktok zum Problem werden? Im Februar 2019 löschten die deutschen Zwillinge Lisa und Lena Mantler ihr Tiktok-Profil mit über 32,7 Millionen Followern. Der Grund: «Wir wollen keine App unterstützen, die nicht sicher ist.» Ihr Profil war das grösste auf der Plattform gewesen. «Ich glaube, entscheidend wird sein, ob sich die App unabhängig genug von China positionieren kann», sagt Social-Media-Experte Koss. «Vor allem Eltern wollen nicht, dass die Daten ihrer Kinder in einer chinesischen App gespeichert sind.» 

Dieses Misstrauen schätzt Datenschutzexpertin Sury durchaus als berechtigt ein: «Man muss davon ausgehen, dass der chinesische Staat Zugriff auf die Informationen Datenschutz Wer darf was über mich wissen? hat, und das könnte vor allem für Leute in China oder in China-Nähe ein Thema sein.» Auf die Vorwürfe angesprochen, schreibt Tiktok: «Die chinesische Regierung hat keinen Zugriff auf Nutzerdaten von Tiktok. Diese werden in den Vereinigten Staaten und Singapur gespeichert und verarbeitet.»

Dass in Amerika mit Daten sorgfältiger umgegangen wird als in China, bezweifelt Koss. «Ob es Chinesen, Russen oder Amerikaner sind, ist eigentlich egal.» Dem stimmt auch Sury zu: «Die USA rechtfertigen ihr Datensammeln zwar mit Terrorbekämpfung, es kommt aber auf das Gleiche raus.» Daten würden aufbewahrt und je nachdem auch von den Geheimdiensten verwendet.

Was Jugendliche und Eltern tun können

«Man kann natürlich einfach die App nicht nutzen», sagt Ursula Sury, «aber das ist kein realistischer Ansatz.» Zumindest solle man aber alle möglichen Privatsphäre-Einstellungen Facebook So schützen Sie Ihre Daten , die das Smartphone biete, aktivieren. Wer Tiktok nutze, solle die App nicht mit Profilen anderer sozialer Plattformen, wie Instagram oder Facebook verknüpfen. Ausserdem könne man auch auf ähnliche Apps aus Europa oder der Schweiz ausweichen, diese seien sicherer und transparenter.

Medienpsychologe Daniel Süss rät Eltern, die mehr über die Aktivitäten ihrer Kinder auf Tiktok wissen wollen, mit diesen das Gespräch zu suchen. «Es ist wichtig, dem Kind gegenüber und dem was es macht, Interesse zu zeigen. Dass man sich anschaut, was es witzig findet oder selbst produziert hat und nachfragt, was die App für das Kind bedeutet.» 

Bei Noemi Le war ihre Aktivität auf Tiktok nie ein Problem. «Meine Eltern waren nicht skeptisch, da wir zuhause über alles reden. Weil ich ihnen anfänglich auch alle Videos und Kommentare Online-Kommentare «Es ist verheerend, wenn die Mehrheit schweigt» gezeigt hatte, vertrauten sie mir.»

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