Das Zusammenleben in der WG war angenehm – bis der Streit um die Nebenkosten begann. Im Sommer 2019 zieht Nora Vischer* (Name geändert) aus. Sie reagiert nicht mehr auf die falschen Anschuldigungen und Forderungen und blockiert ihren ehemaligen Mitbewohner auf sämtlichen Kanälen. Im Oktober 2020 bekommt sie die Retourkutsche: eine grundlose Betreibung über 400 Franken.

Vischer erhebt Rechtsvorschlag. «Es war reine Schikane. Mein einstiger Mitbewohner wollte mir einfach das Leben schwermachen.» Damit hat er Erfolg – denn Vischer sucht in Zürich eine Wohnung. Aber mit dem Eintrag im Betreibungsregister sind ihre Chancen auf eine neue Bleibe gleich null.

Nicht zuständig: Betreibungsamt schreitet nur bei absurden Forderungen ein

In der Schweiz kann jeder jeden betreiben. Und das geht fix: Man füllt das Betreibungsbegehren aus, sendet es ans Betreibungsamt am Wohnsitz der Schuldnerin und zahlt die Gebühr. Das Amt prüft dann, ob es zuständig ist – aber nicht, ob die Forderung tatsächlich geschuldet ist oder nicht.

Wenn das Betreibungsamt zuständig ist, stellt es den Zahlungsbefehl zu. Als angebliche Schuldnerin kann man zwar Rechtsvorschlag erheben und das Verfahren so stoppen. Die Betreibung erscheint aber im Betreibungsregister – und damit automatisch auch auf dem Auszug, den man bei der Wohnungssuche üblicherweise vorlegen muss.

Doch: Wer jemanden betreibt, nur um ihm zu schaden, handelt rechtsmissbräuchlich. Eine solche Betreibung ist nichtig. Die Betreibungsämter dürften gar keinen Zahlungsbefehl ausstellen.

«In aller Regel werden die Betreibungsämter aber tätig – auch in Zweifelsfällen», sagt Bruno Crestani, Stadtammann in Zürich. «Ob eine Forderung geschuldet ist oder nicht, kann nämlich nur ein Gericht entscheiden. Eine solche Funktion dürfen sich die Betreibungsämter nicht anmassen.» Nur wenn eine Betreibung ganz offensichtlich schikanös und haltlos sei, könne das Betreibungsamt den Zahlungsbefehl verweigern. Böswillige und damit nichtige Betreibungen seien aber die absolute Ausnahme, sagt Crestani.

Drei Methoden: Rechtsvorschlag, Aufsichtsbeschwerde und Löschungsbegehren

Gegen Schikanen kann man sich wehren – in erster Linie mit einem Rechtsvorschlag. Mit einer ebenfalls kostenlosen Beschwerde an die kantonale Aufsichtsbehörde kann man zusätzlich die Nichtigkeit der Betreibung geltend machen. Solange dieses Verfahren läuft, wird die Betreibung Dritten gegenüber nicht bekanntgegeben. Eine Anwältin braucht man nicht.

Die Aufsichtsbehörde prüft, ob die Betreibung Treu und Glauben verletzt. Das trifft grundsätzlich immer zu, wenn der angebliche Gläubiger mit der Betreibung sachfremde Ziele verfolgt; wenn es ihm nicht um Geld geht, sondern darum, etwa die Kreditwürdigkeit des anderen zu schädigen oder ihn mit einer absurd hohen Forderung zu zermürben. Falls ein solcher Rechtsmissbrauch vorliegt, stellt die Aufsichtsbehörde fest, dass die Betreibung nichtig ist, und Betroffene haben dann wieder einen «sauberen» Registerauszug.

Neben Rechtsvorschlag und Aufsichtsbeschwerde gibt es eine dritte einfache Möglichkeit: Wenn der Gläubiger den Rechtsvorschlag nicht innert dreier Monate seit Zustellung beseitigen lässt, kann man verlangen, dass der Eintrag im Betreibungsregister nicht mehr erscheint Betreibungsauszug Einträge schneller löschen – so gehts . Das Gesuch kostet 40 Franken.

Auch Nora Vischer liess den Eintrag auf diese Art löschen und suchte dann wieder zuversichtlich eine Wohnung. Doch die Freude währte kurz. Im Herbst 2021 betrieb sie der Ex-Mitbewohner erneut – über 400 und 499 Franken. Er behauptete, sie habe ihm Wein gestohlen.

Nora Vischer ist frustriert. Wieder ist die Wohnungssuche mindestens drei Monate lang blockiert, wieder muss sie 80 Franken aufwerfen. Sie hofft, dass sie nach der Löschung von Rachefeldzügen verschont bleibt.

Buchtipp
eRatgeber: Betreibung – Was kann ich tun?
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Das kann auf eine nichtige Betreibung hinweisen
  • Die angebliche Gläubigerin kann die Forderung nicht einmal ansatzweise begründen und legt auch keine Beweismittel vor.  
  • Die Betreibung lautet auf einen sehr hohen Betrag.
  • Die angebliche Gläubigerin betreibt mehrfach, lässt den Rechtsvorschlag dann aber nicht vor Gericht beseitigen. 
  • Die Betreibung erscheint als Racheakt, folgt auf eine Auseinandersetzung oder eine andere Betreibung.
So können Sie Beschwerde erheben
  • Zuständig ist die kantonale Aufsichtsbehörde. Wer das ist, regelt das kantonale Recht. Fragen Sie beim Betreibungsamt oder beim Gericht nach. Möglicherweise existiert ein besonderes Beschwerdeformular.
  • Schildern Sie aus Ihrer Sicht, warum die Betreibung schikanös ist. Legen Sie allfällige Belege in Kopie bei.
  • Die Aufsichtsbehörde holt vom Betreibungsamt eine Stellungnahme ein und stellt danach den Sachverhalt von Amts wegen fest.
  • Das Verfahren ist kostenlos. Eine Anwältin ist in der Regel nicht nötig.
So haben Gerichte bei umstrittenen Betreibungen entschieden

Fall 1: Besonderheit des Schweizer Rechts

Ein Schuldner wurde von der Gemeinde betrieben. Er versäumte es, Rechtsvorschlag zu erheben. Vor der Aufsichtsbehörde machte er geltend, die Gemeinde nutze seinen irrtümlich unterlassenen Rechtsvorschlag aus – sie wisse schliesslich genau, dass er nichts schulde. Das Bundesgericht verwies in diesem Fall auf die Besonderheit des schweizerischen Rechts: Jede Person könne einen Zahlungsbefehl erwirken – unabhängig davon, ob die Forderung geschuldet sei oder nicht. Betreibungsamt und Aufsichtsbehörden könnten nur prüfen, ob der Gläubiger rechtsmissbräuchlich betrieben habe. Das Bundesgericht erachtete die Forderung als möglicherweise strittig, die Betreibung deswegen aber nicht als nichtig.


Fall 2: Rache unter Freundinnen

Zwei Kolleginnen schlossen einen Darlehensvertrag ab. Als die Ratenzahlungen ausblieben, leitete die Darlehensgeberin die Betreibung ein. Darauf kam es zum Streit, sogar die Polizei musste ausrücken. Kurze Zeit später leitete auch die Darlehensnehmerin eine Betreibung ein. Sie forderte 3845 Franken wegen Körperverletzung, des Verlusts von Goldschmuck und einer Spitalrechnung. Für die Aufsichtsbehörde war die Betreibung nichtig. Aus dem Polizeirapport gehe nicht hervor, dass die Darlehensgeberin selbst handgreiflich geworden sei. Es gebe auch keine Hinweise, geschweige denn Belege, dass die angebliche Gläubigerin sich in Spitalpflege begeben musste. Die Betreibung sei ein Racheakt gewesen.

  • Bezirksgericht Zürich, Entscheid vom 18. August 2014
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Katharina Siegrist, Redaktorin
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